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WIEN / Burgtheater: GEÄCHTET

27.11.2016 | KRITIKEN, Theater

Geaechtet_216 Szene
Fotos: Copyright: Georg Soulek, Burgtheater

WIEN / Burgtheater:
GEÄCHTET von Ayad Akhtar
Österreichische Erstaufführung
Premiere: 26. November 2016

Wann ist man zuletzt so betroffen aus dem Theater gegangen wie nach „Geächtet“ von Ayad Akhtar aus dem Burgtheater? Dazu musste allerdings viel zusammen kommen. Beispielsweise ein Autor, der den Mut hat, sein Thema in ein „Well Made Play“ (wie verpönt!) zu verpacken, statt das Publikum wie seine deutschen Kollegen – ob sie Pollesch, Schimmelpfennig oder wie immer heißen – auf teilweise sinnlose Rätselpfade zu schicken? Dazu ein Autor, der weiß, wovon er spricht, der sein Thema an „echten Menschen“ auffädelt, auch wenn jeder von ihnen (wie es beim Theater schon einmal so ist) für etwas „steht“. Und eine Problematik, die uns hier und jetzt gewaltig unter die Haut geht – und die so reich und vielschichtig aufgeblättert wird, dass man, auch wenn man selbst notgedrungen eine Menge darüber nachgedacht hat, doch viele neue Einsichten gewinnt, die man einfach nicht wissen konnte.

Oder verstehen wir, wie sich selbst der scheinbar „integrierteste“ Moslem in unserer Welt fühlt? Können wir es begreifen, die wir nicht ahnen, wie er aufgewachsen ist, welche Erfahrungen er gemacht hat, was er hinter sich lassen musste, mit welchen ungeahnten Problemen er andauernd konfrontiert ist? Tatsächlich scheint Autor Ayad Akhtar, Jahrgang 1970, Amerikaner mit pakistanischen Wurzeln, vor allem etwas zu erzählen: möglicherweise von der Unmöglichkeit der Integration, von der Unvereinbarkeit nicht nur zweier, sondern vieler Welten in einer multikulturellen Gesellschaft, die letztendlich über die vielen Vorurteile (oder teilweise auch richtigen Urteile?) stolpern muss, die sie – gegen die anderen und am Ende auch gegen sich selbst – in sich trägt.

Gezeigt wird es am Beispiel von Amir, einem scheinbar erfolgreichen Anwalt in New York, toller Job und noch dazu das Statussymbol dessen, der es zu etwas gebracht hat, eine WASP-Frau, wobei diese Emily noch Künstlerin ist … Bezahlt hat er, indem er aus voller Überzeugung den Islam, die Religion, in der er aufgezogen wurde, gegen die „Intelligenz“ ausgetauscht hat, alles Religiöse aus Überzeugung (?) hinter sich zu lassen, wobei er – wie es Renegaten so oft passiert – dann in eine Islamophobie hinein gewachsen ist, die allerdings darauf beruht, dass er besser weiß als jeder andere, worum es in dieser Lebensform, die Religion und ihre Forderungen nie vom Leben des Menschen trennt, geht… Manchmal erschrickt man geradezu über die Radikalität dessen, was hier als Kritik ausgesprochen wird. Dass Amir dennoch in einem Nach 9/11-Amerika chancenlos ist (mehr wohl noch in einem Trump-Amerika?), das entwickelt der Autor geradezu meisterlich.

Amirs Frau hingegen, die Künstlerin, zählt zu den Romantikern, die sich in den „Orientalismus“ verliebt haben, in die Kunst, die Weisheit, die glanzvollen historischen Elemente des Islams, die sie in ihre Kunst einbringt – ja, und wahrscheinlich findet sie den dunkelhäutigen Gatten an ihrer Seite (unausgesprochen, aber eindeutig) auch sehr chic, und wo immer er ihr die aggressiven Seiten des Islam begreiflich machen will, redet sie sich gern (man kennt dieses Argument) auf falsche „Übersetzungen“ des Korans aus, der es ja nicht so meint. Nein, nein, sie besteht auf ihren Kuschel-Islam, an den die Gutmenschen so gerne glauben wollen.

Um den kulturellen Mix komplett zu machen, der sich aber sehr logisch in diese New Yorker Geld- und Kunstszene fügt, gibt es den jüdischen Kunsthändler und dessen farbige Frau, die eine Anwaltskollegin von Amir ist. Ja, und da ist noch Amirs Neffe Abe, anfangs so angepasst, dass man ihn gar nicht als jungen Moslem erkennen würde, am Ende so radikalisiert, dass einem Angst und Bang werden könnte…

Geaechtet_215 die vier
Katharina Lorenz, Fabian Krüger, Nicholas Ofczarek, Isabelle Redfern

Was sich nun in zeitlich weit auseinander liegenden Szenen in der Wohnung von Amir und Gattin Emily abspielt, sind scheinbar alltägliche Geplänkel, die klar machen, wie wenig Amir, so sehr er sich auch bemüht, dem entkommen kann, was er ist – für die anderen nämlich immer noch „der Moslem“, nicht das selbstverständliche Mitglied der Gesellschaft, sondern der „Andere“ eben. Und was in Szenen der Konfrontation mit dem zweiten Paar dann aus dem Unterbewussten hochgespült wird, an weggesteckten, tot geglaubten Emotionen und auch Handlungen, das gibt dem Stück, das nur scheinbar auf Konversationsbasis läuft, eine erschreckende Härte und Grausamkeit. Wie das Leben eben sein kann …

Für Fabian Krüger hat das Burgtheater endlich – nach so vielen Jahren – die Rolle, in der er alles zeigen darf, was er kann (und das ist sehr, sehr viel), abgesehen davon, dass nur ein Schnurrbart, nur eine charakteristische Frisur ihm auch das absolut glaubhafte Äußere geben. Man sieht ihm den Orientalen an, der äußere Mensch ist da, auch wenn er den inneren Menschen bis zur Selbstaufgabe der neuen Umgebung anpassen wollte. Krüger zeigt allein schon in seiner Haltung, einer leicht verkrampften Körpersprache, dass sein Outfit, die superteuren Hemden, ihm nicht dabei helfen, ein permanentes Unbehagen zu vertreiben, und seine Versuche, sich nicht provozieren zu lassen, bröckeln unter dem Ansturm der Realität.

Neben ihm sieht man Nicholas Ofczarek als jüdischen Kunsthändler Isaac (mit Weißhaar und Trump-Schmolle) in einer seiner besten Rollen seit langem: Mit größter Selbstverständlichkeit, ohne Überzeichnung und Krampf, hat er sich diesen Mann mit dem öden, angeberischen Wortgeklingel der Kunstbranche und der Selbstverständlichkeit des Juden, der keine Probleme innerhalb der Gesellschaft mehr hat, souverän übergestülpt – inklusive der nicht ganz freundlichen Geplänkel mit seiner Gattin und den erotischen Absichten Emily gegenüber.

Und da ist dann noch Christoph Radakovits mit der beängstigenden Verwandlung des scheinbaren American Boys zu Beginn in einen verbissenen, die Argumente der Feindseligkeit herbetenden Radikal-Islamisten…

Katharina Lorenz hat als Emily die schwerste Rolle, sie schwankt zwischen Exzentrik und Übertreibung, was aber in der Figur liegt, und ihr Beharren, sich die Welt und den Gatten nach Wunsch zurechtzubiegen, löst die ganze Katastrophe aus, in die das Geschehen mündet. Wenn der Autor damit auch sagen möchte, dass die Idealisten in ihrer blinden Verbohrtheit die Gefährlichsten überhaupt sind, mag er nicht so Unrecht haben.

Souverän hingegen Isabelle Redfern (die diese Rolle auch im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg gespielt hat) als Isaacs glatte, kluge Anwaltsgattin, die es aus dem (schwarzen) „Ghetto“ heraus geschafft hat und sich, wie der jüdische Gatte, in den USA mittlerweile wohler in ihrer Haut fühlen darf als der Moslem, der Geächtete, den jeder mit dem Gefühl des heimlichen Unbehagens betrachtet…

Tina Lanik hat den Abend inszeniert, der von seinem Charakter her ins Akademietheater gehören würde, auch weil die offene, an sich höchst überzeugende „Möbel“-Dekoration von Stefan Hageneier die Sprache verweht und man extrem schlecht versteht (gerade hier, wo es auf jedes Wort und jede Nuance ankommt). Manchmal hätte man der Inszenierung etwas mehr Spannung und auch Schärfe gewünscht, andererseits macht das Durchhängen im Alltags-Parlando (mit allerdings prächtiger psychologischer Ausformung aller Figuren) dann den Knalleffekt des Endes noch schärfer…

Das Publikum jubelte aus Überzeugung und bekam dafür einen Autor präsentiert, der angesichts des Riesenerfolges ebenso glücklich wie überrascht schien. Wieso eigentlich? Er hat das Stück für hier und heute geschrieben, und das gelingt in unseren Tagen nur wenigen Autoren.

Renate Wagner

 

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