Fotos: Copyright Reinhard Werner/Burgtheater
WIEN / Burgtheater:
EIN SOMMERNACHTSTRAUM von William Shakespeare
Deutsch von Frank Günther
Premiere: 10. September 2017
Im Jahre 1905 sagten die Berliner am Abend: „Jetzt dreht sich bei Reinhardt der Wald“, denn der scheinbar „echte“ Wald auf der Drehbühne war die Sensation seiner „Sommernachtstraum“-Aufführung im Neuen Theater. Nun dreht sich auch im Wiener Burgtheater der Wald, ein gar nicht so sehr verfremdeter, viele Bäume (in einem kann Puck auch hängenbleiben, wenn man ihn per Seilen „schweben“ lässt), sogar ein antikes Tempelchen steht darin, vielleicht ist man doch in Athen oder auch nicht… Von gestern ist der „Sommernachtstraum“ des Leander Haußmann trotz drehenden Waldes natürlich nicht, dazu klingt er viel zu heutig. Nicht einmal so wirklich nach Shakespeare. Offen gesagt, man fühlt sich wie in einem Leander Haußmann-Film, der irgendwo in Kreuzberg spielt…
Nun hatte er also Premiere, der Abend, den das Burgtheater buchstäblich in letzter Minute (am Tag vor dem vorgesehenen Termin am Abend) abgesagt hat, um der Produktion die Möglichkeit zu geben, noch geprobt zu werden und in drei Voraufführungen in Szene zu gehen. Ein paar offene Enden gibt es immer noch – Dinge, die man probiert hat und dann offenbar verworfen, den Galgen, der im letzten Bild links aufgestellt wird, braucht man nicht mehr, und die jungen Damen tragen in der ersten Szene auch keine Schleier mehr, die sie Muslima-ähnlich gemacht hätten: Davon zeugen nur noch Fotos im Programmheft, die ja bei einem Teil der Presse schon die Hoffnung erweckt hatten, Haußmann werde in diese Richtung „zeitgeistig“ interpretieren.
Aber mit Frauenrechten kann man dem „Sommernachtstraum“ nicht kommen, dafür hat schon Shakespeare gesorgt, der alle vier Damen zu durchaus bissig-kämpferischen Geschöpfen macht, die den Männern die Zähne zeigen. Von Unterdrückung kann da nicht die Rede sein. Das einzige, was jetzt noch „islamisch“ vorkommen könnte, ist Oberon in einem Gewand, das aus ihm eine Art Kalif von Bagdad macht, sozusagen der Oberzauberer aus dem Nahen Osten und ein gar nicht gemütlicher Herr. Aber die Geschichte spielt, so wie der Wald sich dreht (Bühne: Lothar Holler) und angesichts der bunt gemischten Fetzen, die jeder trägt (Kostüme: Janina Brinkmann) in einem undefinierbaren Heute – oder, wie Peter Matic einmal als scheinbarer Lapsus sagen muss: Wir sind die Handwerker von Berlin, pardon Athen…
Er weist uns selbst darauf hin, der gute Leander Haußmann, dass sein Shakespeare nicht „shakespearisch“ zaubrisch ist, in einem Theater-Athen und einem Märchenwald, sondern grob gestrickt, dass seine jungen Leute, so wie sie sprechen, wie sie sich anpöbeln, so wie sie in ihren Fetzen herumfletzen (übrigens: Wieso ziehen die Damen sich im Wald, in dieser Nacht, eigentlich um???), das eher in einer Kneipe tun könnten, gerade, dass sie nicht ihre Smartphones herausziehen, um per Facebook zu verkünden, wen sie gerade lieben und wen sie gerade verlassen… so sehr von heute sind sie.
Und Puck? Ja, was Christopher Nell da als Puck auf die Bühne stellt (in einem irrwitzigen grünen Strickkostüm), das ist vielleicht ein Obdachloser aus einer Bulettenbude (er spricht auch so), aber kein Geist, der hier durch Zauberwelten flutscht. Gut, es gibt diese ja nicht in dem vom Dichter gemeinten Sinn bei Haußmann, der auch ökonomisch genug ist, dass er das ganze ausufernde Elfenvolk auf eine Dame zusammen gschmolzen hat – Elisabeth Augustin darf jetzt als „Feld-, Wald- und Wiesengeist“ herumschweben. „Wunderbar“ ist an der Aufführung dennoch nichts, da hilft kein Mendelssohn-Bartholdy.
Es geht auch mehr als sonst gezeigt um Sex – Lysander sagt „Blasen“ und Hermia ist sofort bereit, dazu in die Knie zu gehen, und wenn Demetrius nächtlich auf Helena fällt, benützt sie sofort die Gelegenheit, ihm die Hosen aufzumachen… Und wie Königin Titania ihren Esel reitet… ja so. Sei’s drum. Und das alles in einem offenbar ganz normalen Wald mit Gelsen. Darum hat man ja auch eine Büchse Insektenschutz dabei.
Sarah Viktoria Frick und Mavie Hörbiger als Hermia und Helena sind zwar keine jungen Mädchen mehr, aber als freche, herumtobende Rotznasen mehr als überzeugend, während ihre beiden Herren (Matthias Mosbach als Demetrius, Martin Vischer als Lysander) gänzlich ohne besondere Kennzeichen am allgemeinen Berliner Gezänk teilnehmen. Auch nicht überprofiliert sind die Königinnen mit Alexandra Henkel als Hippolyta (der man die Amazone nicht so recht glauben will) und Stefanie Dvorak als Titania.
An Theseus (Daniel Jesch) fällt vor allem auf, dass er während der Vorstellung der Handwerker diese mit der Pistole bedroht (man weiß nämlich nicht, warum), und am alten Egeus (Franz J. Csencsits) fällt gar nichts auf, aber die Rolle gibt ja auch nichts her – und solcherart kann Johannes Krisch als Oberon das ganz große Theater abziehen, was er erfolgreich tut. Allzu viel kommt ihm da an schauspielerischem Potential nicht in die Quere.
Natürlich, da sind die Handwerkerszenen. Da hat die Direktion nicht an Besetzungs-Power gespart. Wie Johann Adam Oest versucht, Zettels Traum aus dem Kopf zu bekommen, bzw. ihn zu begreifen, das ist kostbar. Dennoch der Höhepunkt der Schar: der unglaublich filigrane Peter Matić als Flaut, zuerst so kindlich schüchtern, aber wenn man ihm das rosa Gewand der Thisbe anzieht, gefällt er sich ungemein, kann gar nicht aufhören, sich zu bewundern und dann wichtig zu machen – wunderbar. Apropos Wichtigmachen: Das versteht auch der Peter Squenz des Martin Schwab in hohem Maße. Und Hans Dieter Knebel als Tom Schnauz bekommt eine hinreißende (stumme) Szene, wenn die Liebenden den Spalt in der Mauer, die er verkörpert, zwischen seinen Beinen finden… Warum sich Hermann Scheidleder als Schlucker und „Mond“ das Hemd vom Leibe reißen und warum Dirk Nocker als Schnock und „Löwe“ im Rollstuhl sitzen muss, das erschließt sich nicht.
Für diesen letzten Teil des Stückes, vor dem wirklich lange und seltsam „umgebaut“ wird, hat Leander Haußmann (keine Neuigkeit, aber bitte) den Zuschauerraum des Burgtheaters auf der Bühne spiegeln lassen. Und hier wird der Übersetzer Frank Günther, der – wie gesagt – alle recht heutig flachsen lässt, ganz direkt. „Wir sind fröhlich. Keine Maus Störe dies geweihte Haus“, heißt es im Text. Für die Aufführung hat man noch hinzugefügt: „Und kippe ihr die Suppe aus…“. Ja, das wird Martin Kusej wohl bis zu seinem letzten Tag als Direktor zu hören bekommen… und sich irgendwann über die Dummheit dieser Formulierung die Haare raufen.
Puck, der wahrlich nicht der Mann war, das Publikum zu fangen und zu bezaubern, durfte im Schlußmonolog noch ersuchen: „Und verschont ihr uns dazu / Mit dem wohlverdienten Buh“ – so wurde dieser Wunsch erfüllt. Es gab freundlichen Applaus für den dreieinviertelstündigen Abend, der, weil’s ja eine „Sommernacht“ war (wenn auch mitnichten traumhaft), großteils ziemlich dunkel verlief. Und dergleichen macht bekanntlich müde…
Renate Wagner