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WIEN / Burgtheater: DREI SCHWESTERN

25.03.2016 | KRITIKEN, Theater

Burgtheater Drei Schwestern_Bühnenbild Dach x
Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Burgtheater:
DREI SCHWESTERN von Anton Tschechow
Premiere: 24. März 2016

Wien hatte nie Mangel an „Drei Schwestern“-Aufführungen. Es ist kein Stück, das man dem Publikum unbedingt nahe bringen muss. Wenn also ein großes Haus eine Produktion plant, kann das eigentlich nur zwei Gründe haben. Entweder man kann die drei Titelrollen (und möglichst auch noch die anderen) exemplarisch besetzen. Das war nun absolut nicht der Fall. Oder ein Regisseur bietet ein so überzeugendes Konzept, dass man es dem Publikum nicht vorenthalten darf. Auch das konnte man nicht erkennen. Tschechows „Drei Schwestern“ im Burgtheater sind quälende drei Stunden lang und auch immer wieder sehr langweilig, aber warum man sich ihre Schicksale antun soll – diese Antwort blieb Regisseur David Bösch schuldig.

Im Programmheft findet sich ein hoch interessanter Artikel von Gerhard Bauer (aus seinem Tschechow-Buch), in dem er die berechtigte Frage stellt, warum wir eigentlich immer glauben, dass wir aus der Beschäftigung mit Tschechow ultimative Wahrheiten ziehen könnte und dass er der Besitzer der profundesten Einsichten und Erkenntnisse sei. Gewiss, in vielen Figuren der „Drei Schwestern“ finden sich Grundkonstellationen menschlicher Schicksale, aber Tatsache ist doch, dass er konkret seine Zeit und seine Gesellschaft geschildert hat und die Sache vorne und hinten nicht mehr stimmt, wenn man sie – wie es hier geschieht – quasi in den luftleeren Raum stellt.

Denn auf der Bühne von Harald B. Thor bewegen sich die Menschen in einem Zelt aus Plastik (eine Wand wird zur Pause von Irina heruntergerissen, ohne dass man weiß, was es bedeuten soll), in Kostümen (Meentje Nielsen), die irgendeine Art von heutiger, allerdings muffiger Zeitlosigkeit versprühen, die Uniformen ohne jegliche Abzeichen, die es ermöglichen würden, das Geschehen zu verorten. Ein wackliges Piano braucht die ansonsten weitgehend leere Bühne nur, damit gelegentlich jemand kurz darauf klimpert, denn schrecklich überflüssige Musik gibt es genug. Sie wird am Anfang und am Ende und zu allen Zwischenakten von Karsten Riedel / Bernhard Moshammer veranstaltet, schier unerträgliches Gejaule eines à la Tschuschen-Kapelle-Sounds. Wenn dies „Stimmung“ machen soll – welche Botschaft schrillt uns da ins Ohr?

Als Übersetzer wird Werner Buhss genannt, vieles klingt sehr Un-Tschechowisch, flapsig, heutig ins Ohr, und obwohl der Abend am Ende lange, lange drei Stunden dauert, hat man immer wieder das Gefühl, er sei inkomplett, lasse Entwicklungen ebenso vermissen wie Übergänge. Und dass in diesem Rahmen keine nachvollziehbare Psychologie von Menschen geboten wird, mit denen man mitfühlt, versteht sich. Von Anfang an benehmen sich alle so, wie es ein Regisseur ihnen gesagt hat. Künstlich.

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Sie scheinen alle seltsam auf einen Ton gestimmt. Hat man die Olga je so ausschließlich larmoyant in Erinnerung wie in der Gestaltung durch Katharina Lorenz? Nur die stete Beschwerde an das Schicksal steht im Vordergrund.

Und Mascha mit ihrer Sehnsucht nach Liebe, an deren Verlust der Liebe man normalerweise so leidet? Aenne Schwarz ist mondäne Affektation in (nomen est omen) Schwarz, eine sich stilisierende Trauerweide.

Besonders zu bedauern ist Marie-Luise Stockinger als Irina. Erstens, weil David Bösch offenbar nicht verwinden kann, dass ihm (aus welchen Gründen auch immer, ist auch egal) jene Darstellerin nicht mehr zur Verfügung steht, die er wie keine andere formen konnte – Sarah Viktoria Frick, sein Stallerhof-Mädchen, seine Salome Pockerl, seine stumme Katrin, sein Käthchen. (Diesmal saß sie bei der Premiere im Zuschauerraum.) In Schwabs „Präsidentinnen“ hat er versucht, Stefanie Dvorak zur Ersatz-Frick zu formen, diesmal kommt Marie-Luise Stockinger an die Reihe, diese immer etwas abwesend wirkende Kindlichkeit der Frick künstlich nachzumachen (inklusive gelegentlich debil heraushängender Zunge). Irina, die so besonders bedauernswert ist, wird auf diese Art nur – seltsam. Man weiß nichts mit ihr anzufangen. Zweitens hatte die Schauspielerin am Premierentag ihre Stimme verloren, wie Karin Bergmann vor der Vorstellung berichtete. Sie mühte sich mit Kopfmikrophon, aber ab Mitte des dritten Akts stieg hörbar die Anstrengung und fiel hörbar die Verständlichkeit ab. Sie hat die Premiere gerettet und für diese Tat hoffentlich ihrer Stimme keinen Schaden zugefügt.

Auch die anderen Damen überzeugten nicht, kaum Elisabeth Augustin, die für die bedauernswerte Anfissa schon gar nicht alt genug wirkte, am allerwenigsten Stefanie Dvorak, die als Schwägerin an sich die „beste“ Rolle von allen hat, wandelt sie sich doch vom völlig verwirrten kleinen Mädchen zur Herrin des Hauses, die ihre Macht auskostet, ja missbraucht, und von der man nicht weiß (man könnte es natürlich spielend „klären“), ob sie ihre Kinder nur als Mittel des häuslichen Psychoterrors benützt, oder ob diese wirklich ihre Schwachstelle sind… Diese Figur funktionierte gar nicht.

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Etwas überzeugender die Männer, voran Philipp Hauß als gequälter Bruder Andrej, der die Verzweiflung über ein verfehltes Leben (Lebenslügen inklusive) stark klar machte. Auch der versoffene Doktor des Falk Rockstroh war überzeugend. Weit unter seinem Wert als Schauspieler und weit unter dem Wert der Figur agierte Fabian Krüger als geradezu gänzlich unauffälliger Werschinin. Dietmar König bemühte als Maschas kläglicher Gatte seine Begabung zur Karikatur. Michael Masula als Soljony und Martin Vischer als Tusenbach gaben einigermaßen glaubhaft die Umrisse ihrer Rollen.

Dass übrigens noch Ferapont, der Bote der Kreisverwaltung, in Gestalt von Peter Matić auftauchen sollte, entnahm man nur der Website des Burgtheaters – bei der Premiere kam er jedenfalls nicht. Vielleicht hat er den Zug versäumt, oder womit immer man in der Nicht-Welt des David Bösch sich weiterbewegt.

Tschechows Menschen bis an den Rand ihres Seins zu jagen, das schafft parallel Regisseur Victor Bodo bei „Iwanow“ im Volkstheater. Im Burgtheater wird das ganze Nihilismus-Gejammere, das sich hier entfaltet, zur Pose ohne Widerhall.

Renate Wagner

 

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