(c) Matthias Horn / Burgtheater
WIEN / Burgtheater.
DON KARLOS von Friedrich Schiller
Übernahme vom Residenztheater München
Wiener Premiere: 31. Oktober 2019
Man muss schon sagen, er hat viel an das Burgtheater mitgebracht, der Martin Kusej, und es ist viel Martin Kusej im Geschenkkorb drinnen. Nach „Virginia Woolf“ und „Faust“ ist „Don Karlos“ die dritte Produktion, die man in Wien von seiner vorigen Wirkungsstätte, dem Münchner Residenztheater, „geerbt“ hat. Ein viereinhalbstündiger Brocken, der an Karajans „schwarze Scheinwerfer“ erinnert. Gott, welch Dunkel hier! Ein Nachtstück, wenn es je eines gab. Nun, es ist ja eine düstere, bittere, ja schwarze Geschichte, schon bei Schiller. Kusej reizt sie zumindest optisch bis zum Extrem aus.
Es beginnt natürlich nicht mit den „schönen Tagen von Aranjuez“ (der Regisseur scheint eine echte Abneigung gegen allzu berühmte Zitate zu haben; er verwendet übrigens auch nie den so wichtigen Begriff „Infant“: Meint er, das Publikum würde das nicht verstehen)? Es beginnt mit Scheinwerfern, die bedrohlich in die Augen des Publikums stechen, und einer Anzahl halbnackter Menschen, die schreiend vom Bühnenhintergrund nach vorne gejagt werden. Da findet sich links ein viereckiges Loch im Boden, offenbar mit Wasser gefüllt. Hier werden die Flüchtenden hinein gestoßen. Später findet auf diese Art auch das Autodafé statt. Die Prinzessin Eboli begeht Selbstmord, indem sie da hinein springt. Und 4 Stunden und 35 Minuten nach Beginn des Abends lässt sich auch Don Karlos in das Loch fallen, sein symbolischer Tod…
Vergleicht man den Schiller mit dem so herumgewirbelten Goethe-„Faust“, so hat Kusej hier gewissermaßen geringfügig bearbeitet, da ein wenig an der Sprache, dort gelegentlich an der Handlung, aber im großen und ganzen bleibt es das Stück – ganz und gar, in voller Länge und Breite, mehr ausgewalzt als schnell und präzise gespielt, was ja immer wieder ganz sinnvoll wäre. Vor allem aber: im Dunkeln. Das Bühnenbild von Annette Murschetz ist nur bedingt eines, meist ist alles leer schwarz, gelegentlich leuchtet ein rechteckiger Kronleuchter eine Szene in der Mitte der Bühne aus, und manchmal schieben sich zur Abwechslung zwei Seiten einer Raumandeutung herein. Was diese zahllosen blauen, spitz herausragenden Zacken bedeuten sollen, warum einzelne Szenen hier spielen oder nicht, es gibt keinen dramaturgischen Hinweis dafür. Ein wenig Blau von Zeit zu Zeit – es lockert die schreckliche, ermüdende Düsternis, in der sich die Aufführung bewegt, kaum auf. Was Bert Wrede beisteuert, wird als „Musik“ bezeichnet, es sind aber nur Geräusche, die die einzelnen Szenen trennen. Atmosphärisch ist an diesem Abend gar nichts.
Er deklariert sich auch nicht weiter, die Kostüme von Heide Kastler (Schwarz in Schwarz natürlich) beginnen heutig und landen am Ende im Spanien des 16. Jahrhunderts, also dort, wo das Stück historisch hingehört. Im Grunde fühlt man sich wie Rilkes Panther, wo es auch hinter tausend Stäben „keine Welt“ gibt. Aber diesen Nihilismus peilt Kusej zweifellos an. Wobei er – soweit die Schauspieler mit können – durchaus an klarer Textartikulation festhält: Man merkt es, wenn einem manchmal infolge der dauernden Düsternis die Augen zufallen, dann kann man der Geschichte immer noch wie einem Hörspiel folgen… Allerdings sollte man vor dem letzten Bild wieder hinschauen, denn das ist überzeugend: Da sitzt König Philipp nämlich zwischen lauter Leichensäcken, sucht den toten Posa und lässt sich vom Großinquisitor herunter putzten. Da ist der Mann schon ziemlich am Ende.
Wie stets bei Kusej wird umgewichtet. Manches Politische fehlt – die Idee der „Gedankenfreiheit“ kommt so wenig klar heraus wie der Enthusiasmus, Flandern vom spanischen Joch zu befreien. Dafür wird extrem auf die (oft undurchsichtige) Intrige gesetzt. Dramaturgisch könnte man dem Stück wahrlich helfen (vom Kürzen ganz abgesehen): Das ist hier nicht geschehen. Manche Figuren werden psychologisch nicht wirklich fassbar wie die Eboli. Ein paar (oder auch viele) klärende Akzente hätten nicht geschadet.
Die drei wichtigen Männerfiguren wurden von der originalen Münchner Besetzung bestritten: Thomas Loibl (dessen Gesicht uns irgendwie fernseh-vertraut wirkt) ist alles andere als der eisenharte König, als der Philipp II. berüchtigt war. Er poltert vielleicht herum, aber im Grunde spürt man die Schwäche des Mannes mit der schrägen Schmachtlocke von Anfang an. Er spielt weder die Zweifel am Sohn noch den Enthusiasmus für Posa spürbar aus. Wenn er in einer Szene ultimativer Verzweiflung fast nackt in der Unterhose am Boden herumrutschen muss, hat ihn Kusej schon vernichtet, bevor er ihn am Ende (wirkungsvoll) unter die Leichen setzt. Dort könnte – um es gleich vorwegzunehmen – die Predigt, die ihm der Großinquisitor (Martin Schwab) hält, um einiges schärfer und gnadenloser ausfallen. Und „Zitate“ zu unterspielen, damit sie nicht schulfunkmäßig aufdringlich werden („Kardinal, ich habe das Meinige getan. Tun Sie das Ihre!“) – dann bringt man sie auch um die Wirkung…
Nils Strunk, auch er neu für Wiens Theaterbesucher, ist ein sehr überzeugender Don Karlos, bringt Jugend, Stimmungsschwankungen, Verwirrungen sehr überzeugend über die Rampe, während der allseits so gelobte Franz Pätzold als Marquis von Posa Schwierigkeiten bereitet – schon durch seinen affektierten Sprachduktus, der es Österreichern glatt schwer macht, ihn zu verstehen. Abgesehen von einer gewissen Schnöselhaftigkeit seines Wesens, was wahrlich keine eindrucksvolle Persönlichkeit aus ihm macht, und schon gar keine idealistische. Und darum ginge es doch auch?
Um bei den Herren zu bleiben – Marcel Heuperman als allzu intriganter Alba (geht’s noch ein bisschen vordergründiger?) und Bardo Böhlefeld als hinkender Lerma, der scheinbar so wohlmeinend Böses sät, treten da am stärksten hervor.
Die drei Damen des Stücks bekamen eine Wiener Besetzung, wobei sich Marta Kizyma als Marquise Mondekar ja bekanntlich bald verabschieden muss (auch wenn Philipps Zornausbruch nicht besonders eindrucksvoll ausfällt). Katharina Lorenz muss sich in der Rolle der Eboli buchstäblich verbiegen, niemand nimmt an diesem Abend so viele extreme Stellungen ein wie sie, ohne dass die explosive Gefühlsskala zwischen verrückter Liebe, Empörung, dass sie verschmäht wird, Rachegelüsten und Reue unter die Haut ginge. Akrobatik statt echter Emotion.
Marie-Luise Stockinger ist die Elisabeth, wehrt sich ihrer Haut, macht das Zänkische zum Hauptwesenszug ihrer Figur. Allerdings sollte man bedenken, wie sehr man in dieser düsteren spanischen Hofgesellschaft seine Gefühle verbergen muss…
Alles in allem: Man könnte den „Don Karlos“ als Stück klarer, als Aufführung nicht nur farbiger, sondern auch äußerlich wirkungsvoller machen. Keine Frage, dass Kusej genau das nicht will. Man muss sich auf ihn einstellen, sonst ist man verloren.
Renate Wagner