
Dies irae
Eine Endzeit-Oper
von Paul Wallfisch, Kay Voges und Alexander Kerlin
19.12.2019, Burgtheater
Markus Mayer, Elma Stefanía Ágústsdóttir, Florian Teichtmeister Foto: Horn
WIEN / Burgtheater:
DIES IRAE – TAG DES ZORNS
Eine Endzeit-Oper von Paul Wallfisch & Kay Voges & Alexander Kerlin
Premiere: 19. Dezember 2019
Auch Wiener Theaterfreunde, die über den heimischen Tellerrand hinaus blicken, hatten nie von Kay Voges gehört, bis die Kulturstadträtin ihn völlig abrupt als künftigen Volkstheater-Direktor aus dem Hut zog – ein Mann, der bei der ersten Pressekonferenz spürbar überhaupt keine Ahnung von dem Haus hatte. Wenn Wien im Gegenzug keine Ahnung von Voges hatte, so wurde das nun im Burgtheater korrigiert. Hier durfte Kay Voges bei Martin Kusej sein eigenes Projekt „Dies Irae – Tage des Zorns“ realisieren (offenbar keine Uraufführung, weil nicht als solche angekündigt), eine „Endzeit-Oper“ genannt. Paul Wallisch als Komponist und der Dramaturg Alexander Kerlin stehen auch prominent auf dem Theaterzettel, man kann aber annehmen, dass ein Großteil des „Textes“ auch auf das Konto von Regisseur Voges (hier also in Doppelfunktion) geht.
Was fällt zuerst auf? Noch nie hat man versucht, dermaßen primitiv für eine Aufführung zu werben. Bis in den tiefsten Boulevard hinab wurde „Live-Sex am Burgtheater“ in Schlagzeilen verkündet. Paare, die Geschlechtsverkehr treiben, sollten – so las man – auf eine „Vidi-Wall“ (heißt das jetzt so?) projiziert werden. Wenn das tatsächlich geschehen ist, hat man angesichts des auf der Bühne herrschenden Kuddelmuddel ohnedies nichts davon mitbekommen. Dass dergleichen dramaturgisch ohnedies eine Albernheit ist, versteht sich, denn was sagt es aus, wenn auf der Bühne, der Welt des „Als ob“, hier „In echt“ gespielt wird? Ja und? Wie Beischlaf „geht“, dürfte den meisten Erwachsenen im Zuschauerraum klar sein.
Was zweitens auffällt, ist die Optik. Eine Gestänge-Treppen-Konstruktion, vollgemüllt, aber jedenfalls mit drei riesigen Videowänden ausgestattet. Sieht nicht die „Edda“ ziemlich ähnlich aus? Und der Kusej-„Faust“ nicht auch? Und „Der Meister und Margarita“ (nur ohne Drehbühne, aber mit denselben riesigen Video-Wänden) ebenfalls? Ist das die stilistische Vielfalt, die Martin Kusej an seinem Theater versprochen hat? Man sieht nur die Einfalt. Das ist die Einfallslosigkeit pur, das sehr späte Wiederkäuen dessen, was einst Castorf und Schlingensief so ermüdend auf die Bühne gebracht haben. Die heutigen Herrn Regisseure sind nicht weiter, sie plätschern irgendwo im Teich der gleichen chaotischen Beliebigkeit. Jedenfalls hat sich angesichts der überbordenden Video-Screens Voges als der „digitale Zauberlehrling“ gezeigt, als der er sich gerne feiern lässt. Übrigens: der ewige Rauch und Nebel, der scheinbar in jeder Vorstellung des Kusej-Burgtheaters versprüht wird, ist ziemlich unangenehm…
„Dies irae – Tag des Zorns“: Ja, wir alle müssen sterben. Diese Tatsache bewegt die Menschheit von ihrer ersten bewussten Stunde an, schließlich ist sie das einzig fixe Faktum des Lebens. Das muss uns Herr Voges nicht zwei pausenlose Stunden lang einhämmern. Dabei mischt er seine Untergangsszenarien (samt Zitaten) in eine Art von Handlung. Vermutlich findet er seine Voraussetzungen noch lustig. Man nehme: ein Bühnenbild (Daniel Roskamp), wo – wie witzig – ein Hotel entweder „Eden“ oder, in anderer Version, „Ende“ heißen kann. Weiters eine Fluggesellschaft, die sich „Armageddon“ nennt und von Sodom nach Gomorrha fliegt. Der Flugzeugrumpf befindet sich auf der Bühne, die sich ununterbrochen dreht, einiges (weniges) Geschehen findet auch vor dem Theaterbesucher statt, das meiste irgendwo hinten und wird auf die Leinwände übertragen. Man hat auch kaum Chance, etwas zu erkennen, wenn da jemand in natura die Treppe herunterkommt, denn alle Stimmen sind gleich mit den Verstärkern so verfremdet, dass man gar nicht weiß, wo sie herkommen.
Eine Zeitlang versucht man sich, im bewussten Dradiwaberl-Chaos auf der Bühne zu orientieren. Dann gibt man es auf. Wenn unter den vielen zitierten Texten des Abends auch mal Artaud fragt, wann er den schlafenden Zuschauer bekommt – hier kriegt er ihn. Wenn das Publikum nicht schon während der Aufführung abbröckelt…
Was sieht man nun vordringlich auf den Videoschirmen: ein altes Paar in Gestalt von Barbara Petritsch und Martin Schwab, wobei er sich im Lauf des Abends zum Sterben hinlegen darf und sie nicht sehr schön ein paar besinnliche, zusammengestrichene Zeilen der Rosenkavalier-Marschallin aufsagen darf. Ja, es ist verdammt hart, alt zu werden…Andrea Wenzl und Felix Rech sind ein jüngeres Paar, keine Ahnung, ob ihr Sex echt ist, sie darf jedenfalls mit gewaltigem Gebrüll eine Geburt imaginieren. Dörte Lyssewski sitzt als Mutter im Flugzeug und sorgt sich ziellos um eine Tochter, die verschwindet und dann doch wieder da ist. Wie zwei Clowns im schwarzen Anzug mit Hut tapsen Mavie Hörbiger und Katharina Pichler einher, beide mit grotesken Nasen so verunstaltet, dass man sie kaum erkennt. Florian Teichtmeister ist ein schriller Flugkapitän, ein Popstar und wer weiß, was noch, und Markus Meyer genießt es, sadistisch, schrill und gruselig vom Tod zu palavern. Elma Stefanía Ágústsdóttir (in fließendem Weiß als einzige irgendwie attraktiv eingekleidet von Mona Ulrich) zählt zu jenen Mitgliedern des Ensembles, die nicht ordentlich Deutsch sprechen müssen und dennoch auf der Bühne des Burgtheaters stehen dürfen (es findet, das sei gesagt, ein großer Teil der Handlung auch auf Englisch statt), und Kaoko Amano singt, durchdringend.
Man darf ja nicht vergessen, dass dieses aufgeblasene und doch so seichte, vor allem aber einförmige und schnell langweillige Untergangsspektakel eine „Oper“ ist, also gibt es viel Live-Musik, darunter auch vom Komponisten realisiert. Es sei die fachliche Schilderung des Burgtheater-Textes vermittelt, um dem Gehörten gerecht zu werden – ein „endloser Loop vor dem DOOMSDAY“, wobei „heftige Rocksounds auf feinen Elektro prallen“. Man hat schon Schlimmeres gehört.
Schwer beschäftigt sind die Herrschaften an den Live-Kameras. Zu Beginn hat es auf einer Riesenleinwand, die die ganze Burgtheaterbühne umspannte, einen enormen Countdown gegeben, wobei ein Mann quasi im luftleeren Raum strampelte. Das Ende fällt vergleichsweise ratlos aus.
Ungeachtet des heftigen Beifalls (wie immer, das bedeutet bei Premieren nichts) sollte man nach diesem Beispiel des Voges’schen Theaterverständnisses auf die schnellste Art seinen Volkstheater-Vertrag annullieren. Und die Kulturstadträtin, die dafür verantwortlich ist, gleich mit entfernen.
Renate Wagner