Fotos: Tommy Hetzel
WIEN / Burgtheater:
DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM von Heinrich Böll
Eine Produktion des Schauspiel Köln
Wiener Premiere: 13. September 2025
Eine Geschichte von gestern
Vor gut einem halben Jahrhundert, 1974, war Heinrich Bölls Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ fast eine Erregung – wenn auch natürlich nicht in dem Ausmaß, wie Thomas Bernhard sie später so effektvoll inszeniert hatte. Aber immerhin zwei Aspekte verstörten – dass Böll in Gestalt seiner Heldin die permanente Unterdrückung der Frau durch die (Männer-)Gesellschaft thematisierte und Katharina Blum gestattete, sich durch einen Schuss, einen Mord, von ihrem Elend zu befreien. Und dass Böll gegen eine Boulevard-Presse los ging (gemeint war die BILD-Zeitung, mit der er auch persönlich schlechte Erfahrungen gemacht hatte) und ihr teilweise verbrecherisches Agieren anklagte.
Nun haben sich beide Themenschwerpunkte überholt. Man kann sich nicht immer und immer über dasselbe erregen – dass Frauen (wie eine wahrscheinlich durchschnittlich hübsche Katharina Blum, damals in ihren Zwanzigern) Freiwild der Männer waren. Zumal wenn sie, wie Katharina als Haushälterin / Kellnerin einen Status einnahmen, bei dem Männer wie selbstverständlich voraus setzten, sie hätten die Lizenz zur permanenten Belästigung. Es war so und wird nicht besser und schlechter, wenn man die ewig gleiche Anklage dreht und wendet.
Katharina Blum wird auch Opfer der Behörden, die ihre Beziehung zu einem vermeintlichen Straftäter zum Vorwand nehmen, sie regelrecht zu quälen – wobei man ehrlich sagen muss, dass Deutschland in den frühen Siebziger Jahren unter dem Druck der RAF stand und die Polizei vermutlich überall einen Terroristen sah, auf der Jagd nach ihnen rücksichtslos über Menschen hinwegtrampelnd…
Was uns an dem Text am meisten interessiert, ist das schamlose Vorgehen der Presse – Vorverurteilung in Schlagzeilen, das effektvolle Verdrehen von Aussagen, ja, sogar das Schleichen ans Krankenbett von Angehörigen. Abscheulich – aber im Grunde ein Klacks gegen das, was die Sozialen Medien heute leisten, die Menschen in den Tod treiben, lustvoll Karrieren ruinieren, Hetzjagden veranstalten, die kaum jemand durchstehen kann, jede Menge von Hass und Häme, Bösartigkeiten und Gemeinheiten absetzen. Kein Hauch Entschuldigung für das, was der Boulevard einst trieb (und vielfach kann er es noch immer – solange gedruckte Zeitungen gelesen werden), aber unsere Probleme sind ungleich größer geworden.
Und damit verliert der Text, den das Schauspiel Köln auf die Bühne brachte und den Direktor Stefan Bachmann nun ans Burgtheater holte, sein Interesse. Formal kunstvoll hat Böll das Schicksal der Katharina Blum quasi nur aus Dokumenten und Protokollen zusammen gesetzt. Das ließ sich von Schlöndorff / Trotta 1975 im Kino als chronologische Geschichte erzählen. Auf der Bühne ist es nicht so einfach.
Aber man muss konzedieren, dass Regisseur Bastian Kraft (dessen eindrucksvolle Umsetzung des „Zauberbergs“ am Burgtheater man noch in Erinnerung hat) einen Weg gefunden hat, vor allem die Personen des Romans mit drei Schauspielerinnen allein vielschichtig auf die Bühne zu bringen. Die Problematiken selbst – von Terrorismus-Panik bis Zeitungs-Gewissenlosigkeit – kommen weniger deutlich zum Vorschein, man ist mit der dauernden Bewegtheit auf der Bühne beschäftigt.
Drei Schauspielerinnen also, anfangs als Männer (in Anzug und mit Bärtchen) „verkleidet“, gegen Ende dann als Frau, als Katharina Blum erscheinend, haben die Aufgabe, den Originaltext nicht nur zu sprechen, sondern auch zu spielen. Eine dreigeteilte Rückwand gibt ihnen Gelegenheit, in aufgezeichneten Szenen per Video in die verschiedenen Rollen zu schlüpfen (natürlich so, dass nie der Eindruck der Echtheit entsteht) – und die Damen auf der Bühne sprechen die Texte der Herrschaften am Video (eine Präzisionsaufgabe). Stehen sie an einem Tisch und ordnen Dokumente, werden diese von der Live-Kamera auf die Wände geworfen. Es ist ein unruhiges, permanentes Hin und Her, das Lebendigkeit eher simuliert als liefert.
Immerhin, die drei Damen – Lola Klamroth. Rebecca Lindauer und Katharina Schmalenberg – liefern tatsächlich Virtuosenstücke, kommen aber, wie es Schauspielern in heutigen Inszenierungen immer wieder passiert, nie als sie selbst, mit ihrer eigenen Persönlichkeit zur Geltung, sondern stets nur als Regie-Erfüllungsgehilfen. . Angesagt ist weit eher Verzerrung als Klarheit. Dennoch – den großen Applaus haben sie sich zumindest für ihren selbstlosen Einsatz verdient.
Renate Wagner