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WIEN / Burgtheater; DIE GEFESSELTE PHANTASIE

30.03.2023 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Burgtheater / c_Matthias Horn

WIEN / Burgtheater; 
DIE GEFESSELTE PHANTASIE von Ferdinand Raimund
Premiere: 29. März 2023 

Anders als sein Rivale Johann Nestroy, der wirklich nicht nach dem Dichterlorbeer schielte, hatte Ferdinand Raimund große Ambitionen. Er litt darunter, nur ein Dichter von „Volkskomödien“ zu sein und schielte nach dem (damaligen!) Burgtheater. Und nach William Shakespeare. Sein Stück „Die gefesselte Phantasie“ war der Versuch, wie dieser Divergierendes unter einen dramatischen Hut zu bringen – das Edle und das drastisch Komische, das Mystische und natürlich einen Narren (der hier mit seiner Königin so umspringt wie der Narr in „Was ihr wollt“ mit Olivia).

Eine idyllische griechische Insel dachte Raimund sich aus mit einer verliebten Königin namens Hermione, deren erwählter Schäfer im Dichterwettbewerb (der doch recht ironisch aufgefasst wird) siegen und ihre Hand gewinnen soll. Daneben gibt es ein urwienerisches Vorstadt-Wirtshaus mit einem groben Volkssänger, der Harfenist Nachtigall- Zwei tückisch-böse Zauberschwestern kidnappen die „Phantasie“ (an sich als eine entzückende junge Dame gedacht), um die Dichter sprachlos zu machen und die verhasste Hermione dem Vorstadt-Prolo in die Arme zu werfen…

Das Ganze hat Charme und ist über weite Strecken wirklich  komisch, wenn der angestrebte Shakespeare-Mix auch nicht ganz geglückt ist. Das Stück fiel schon bei der Uraufführung durch und zählt heute zu den notorisch selten gespielten Raimunds (im Gegensatz zu seinen drei ewigen Hits, „Der Bauer als Millionär“, „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ und „Der Verschwender“). Vielleicht, weil man sich inszenatorisch nicht ganz dahin durchkämpfen kann, was Raimund eigentlich wollte.

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Aber eines wollte er mit Sicherheit nicht – dass alle auf der Bühne sich gebärden wie zappelnde Idioten, wie es nun  im Burgtheater geschieht. Allerdings ist dies das  immer wieder abgespulte Rezept von Regisseur Herbert Fritsch, der ja bekanntlich (zuletzt in der Staatsoper beim „Barbier“ zu sehen) seine Figuren immer hoch stilisiert und als Exempel der Unnatur herumtrippeln lässt. Huch, wir machen Theater! Es gibt auch Theaterfreunde, denen die Reputation und der Ruhm dieses Regisseurs unbegreiflich ist, aber das hindert keinen Direktor, sich eine seiner typischen Produktionen zu holen. Jetzt hat man sie wieder einmal im Burgtheater.

Dafür, dass die Premiere um mehr als einen Monat verschoben wurde, ist der „Chor“ nicht sehr präzise, aber das sollte die geringste Sorge sein. Tatsächlich entfesselt Fritsch in eigenen Bühnenbildern und teils schauerlichen Kostümen (Geraldine Arnold) eine wilde Show, die nie darauf aus ist, irgendetwas des Stücks zu realisieren (dem auch noch alle mögliche „Pointen“ hinzu gefügt wurden), sondern nur ziellosen Jokus im Sinn hat. Billige Münze in einer Welt, wo billige Unterhaltung hoch geschätzt wird (siehe Fernsehen).

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Die Schauspieler wirken alle wie absichtsvoll gegen den Strich gebürstet – was immer da schräg läuft, ist dem Regisseur anzulasten. Maria Happel, die als Hermione auftreten muss, als sei sie besoffen oder stoned, ist der Antityp einer Königin, sondern nur eine wandelnde Lächerlichkeit. Die „poetische Phantasie“ hat in Tim Werths Männergestalt angenommen, wobei er gar nicht anders kann, als sich ununterbrochen slapstickartig zu verrenken.

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Der Nachtigall ist alles andere als ein Wiener Volkssänger, aber Sebastian Wendelin schafft neben einer Popstar-Parodie auch noch so etwas wie Wiener Kabarettisten-Schmäh. Dass Markus Scheumann das Solo des Narren nicht hinbekam, erstaunte.

Sarah Viktoria Frick als Vipria und Elisa Plüss als Arrogantia benahmen sich wie zwei boshafte Teenager und mussten auch in einer Szene vom Schnürboden hängend agieren – allerdings nicht so heftig wie Arthur Klemt als Apollo, der dabei wahre Zirkuskunststücke vollbrachte. Gunther Eckes, Marcel Heuperman und Tilman Tuppy gaben unterschiedlich lustiges Insel-Personal (und verwandelten sich im Wirtshaus in ordinäre Wiener), und Bless Amada war als Hirten-Liebhaber farbiger als die Rolle sonst gesehen wird.

Studierende des Max Reinhardt Seminars warfen sich mit Verve in ihre verrückten Chorrollen, sangen und rappten auch bei Bedarf und bekamen bei all dem Unsinn, der ihnen abverlangt wurde, wohl das rechte Vorgefühl dafür, wie der Beruf des Schauspielers heute aussieht.

Will man das Ganze als „artistisches Kunststück“ nehmen – sei’s drum. Das Beste daran war der Verbeugungs-Laufsteg. Fritsch selbst kam mit einer kleinen Harfe im Arm, stoppte gebieterisch den Applaus, strich einmal kurz über das Instrument – und es wurde weiter geklatscht. Das Publikum zeigte wieder einmal, dass es sich alles vorsetzen lässt, es gab keinen Hauch von Widerstand. Nur Ferdinand Raimund, dem seine Stücke so lieb und wert waren, weint bitterlich in seinem Grab.

Renate Wagner

 

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