Fotos: Burgtheater / © Marcella Ruiz Cruz
WIEN / Burgtheater:
DER ZAUBERBERG
Nach dem Roman von Thomas Mann,
in einer Fassung von Bastian Kraft
Premiere: 28. Jänner 2023
Die Vorgabe machte skeptisch: „Der Zauberberg“ von Thomas Mann, 1924 erschienen und ein legendäres Werk der deutschen Literatur, ein „Berg“ von einem Roman, auf die Bühne gebracht mit vier Darstellern. Wie das geht und wie das geradezu erstaunlich gelingen kann, zeigte Regisseur Bastian Kraft im Burgtheater. Dieses Konzept gefunden, durchgedacht und realisiert zu haben, übertrifft die meisten „normalen“ Theaterabende.
Das Programmheft nennt die vier Darsteller, zwei Damen, zwei Herren, alle sollen „Hans Castorp“, die zentrale Gestalt des Romans sein, im übrigen sind die wichtigsten Hauptfiguren auf die vier Protagonisten verteilt, Männer und Frauen bunt gemischt. Wie geht das? Natürlich nur in strengster Stilisierung.
Das Bühnenbild von Peter Baur ist auf den ersten Blick ein strukturierter „Berg“ mit Anstiegen und Ebenen, man kann sich dort aufhalten, eher noch mehr herumturnen. Vor allem aber fungieren die einzelnen Segmente als Videoflächen, die nahezu laufend bespielt werden und die Darsteller, die sich auf dem Berg „aufhalten“, meist überdecken. So, wie die Videos hier über die Dekoration tanzen, sich verschränken, verschwinden, auftauchen, verwirren und faszinieren, ist das eine Meisterleistung von Sophie Lux. Die Irrealität der „Zauberberg“.Situatuion findet hier eine perfekte Entsprechung.
Die beteiligten Schauspieler gibt es doppelt (bzw. vielfach) – geschminkt, verkleidet, oft bis zur Unkenntlichkeit nicht zu erkennen, als die zugespielten Figuren. Und „in echt“ vor allem damit beschäftigt, den Text, den sie in den verschiedenen Rollen scheinbar sprachen, synchron live abzuliefern. Ihre Funktion ist einen Großteil der Zeit jene von Hörspielsprechern, wobei sie angesichts der verschiedenen Figuren natürlich mit größter Differenziertheit vorgehen. Nur manchmal, selten, stehen sie als ihr lebendiges Selbst im Mittelpunkt. Keiner von ihnen, der diese ungewöhnliche Herausforderung nicht brillant realisierte.
Was sieht man nun in zweieinviertel pausenlosen Stunden? Man hört jedenfalls den Text von Thomas Mann, eine intelligent gestrichene Version des Romans mit den wichtigsten Gestalten und Themen. Dass nicht jede Figur in voller Romantiefe charakterisiert werden kann, versteht sich, aber man kann dem Bearbeiter / Regisseur keine Oberflächlichkeit vorwerfen. Vor allem geht es ihm, und das ist immer klar, nicht nur um die extrem kunstvolle Form, die er für den Abend gefunden hat, sondern wirklich und tatsächlich um das Werk.
Er will erzählen, wie Hans Castorp in das Schweizer Lungensanatorium kam und sich in diese seltsame Atmosphäre der Weltabgeschiedenheit hineinziehen lässt, wo sich alles um Krankheit und, fast achselzuckend, um den Tod dreht, wo aber angesichts der Menschen, die sich hier befinden, die großen Themen philosophischer Betrachtungen (und auch der Gefühle) nicht nur der damaligen Epoche abgehandelt werden. Wo über das Phänomen Zeit gültig nachgedacht wird und wo am Ende des Buches ein Krieg steht – auch das ist ein Thema, das uns heute mehr betrifft als noch vor einem Jahr (!).
Während die Darsteller alle gleich gekleidet (Kostüme: Jelena Miletić), mit kurzer männlicher Blondhaarfrisur und weißen Pullovern (es ist kalt in den Schweizer Bergen) auf der Bühne das Präzisionswerk des Textes übernehmen, klarer und übersichtlicher, als man es heute am Theater gewöhnt ist, schwanken sie als digitale Gestalten durch die Videosequenzen, liefern die zeitgemäße Art des Films dazu.
Jeder hat mehrere Rollen und eine, die ihm am besten steht – Dagna Litzenberger Vinet ist ganz wunderbar als Joachim , der Vetter von Hans Castorp, den er im Sanatorium besucht, um dann selbst darin zu versinken. Da ist aufrechte Jugendlichkeit, von der Krankheit angeschlagen, aber in deutschem Idealismus zum Militär drängend, um dann zum Sterben ins Sanatorium zurück zu kehren.
Markus Meyer liefert eine faszinierende Studie des Hofrat Behrens, für den das Sanatorium auch eine erstrangige Geldquelle ist, in der man die Patienten so lange wie möglich festhält. (Auch als bärtig-schrulliger Dr. Krokowski ist er originell).
Sylvie Rohrer holt alles aus der wirkungsvollen Figur des „vernünftigen“ italienischen Literaten Settembrini, inklusive dem Akzent. Wenn sie dann freilich auch den fanatischen Naphta spielt und die beiden Männer hitzige Dialoge führen, da entgleitet manchmal die Souveränität, die beiden im Zwiegespräch ausreichend zu differenzieren.
Und da ist Felix Kammerer, fast schon mit „Oscar“-Glanz überstrahlt, denn zumindest ist der Film „Im Westen nichts Neues“, in dem er die Hauptrolle spielt, doppelt nominiert, unter den „Besten Filmen“ und den „Besten ausländischen Filmen“, und so etwas passiert nicht alle Tage. Wenn Hans Castorp selten genug selbst im Video erscheint (vor allem in dem Todesangst-„ Schneetraum“ (wo die Kamera hier durch die Räume des Sanatoriums rast und ihn am Ende in einem Sarg findet), ist es Kammerer (als der Jüngste und Passendste), der ihn verkörpert. Aber er ist auch das „erotische“ Interesse des jungen Mannes in Gestalt von Madame Chauchat, die er mit mysteriösem Lächeln gestaltet, und, nicht ganz so überzeugend, der hier kurz gehaltene Mynheer Peeperkorn. Da beeilt sich der Abend dann zu einem Schluß zu kommen, der „offen“ bleibt (wie auch im Roman), aber etwas wirkungsvoller hätte inszeniert werden können.
Es ist ein bemerkenswerter Theaterabend, den Bastian Kraft hier als Kraftakt gestaltet hat. Selten fügen sich Vorlage, Konzept und Realisierung zu solch überzeugender Einheit. Und selten wird Schauspielern so viel an Konzentration, Präzision, Gedächtnisleistung, also schlechtweg an handwerklichem Können abverlangt wie hier. Das sollte man sich ansehen. Und wer den Roman nicht gelesen hat, bekommt noch – Viewer’s Digest – eine sehr gute Ahnung davon. Viel Beifall.
Renate Wagner