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WIEN / Burgtheater: DER UNTERGANG DES HAUSES USHER

10.10.2021 | KRITIKEN, Theater

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Fotos Burgtheater © Matthias Horn

WIEN / Burgtheater: 
DER UNTERGANG DES HAUSES USHER
Nach Edgar Allan Poe 
Koproduktion mit der Ruhrtriennale
Premiere in Wien: 10. Oktober 2021  

Wenn zu Beginn zwei Pianisten an Flügeln – nein, nicht Klavier spielen, wie man es versteht, sondern auf die Tasten hacken und donnern, minimalistisch die Tonleiter hinauf und hinunter – dann dauert das. Gewiß gekonnt, aber nicht, wie es im Programmheft steht, „mehrminütig“, sondern gut an die 20 Minuten lang, Das wirkt fast wie ein Test, was ein Publikum sich alles gefallen lässt. Und wenn im Lauf des Abends sechs Personen, die keinen Autor gefunden haben, sich grundsätzlich total unnatürlich gerieren und immer wieder zu singen beginnen – ja, da wäre man wohl bei Marthaler, möchte man meinen.

Aber nein, es ist Barbara Frey, nach acht vorangegangenen Inszenierungen am Burgtheater keine Unbekannte (wenn auch nichts davon als besonders gelungen im Gedächtnis geblieben ist), ehemalige Intendantin in Zürich, die nun die Ruhrtriennale übernommen hat. Sie stellt sich bei der Gelegenheit dieses Abends als Musikerin heraus bzw. vor, zusammen mit Josh Sneesby (einer der Herren am Flügel, der andere ist Thomas Hojsa) für den musikalischen Teil des Abends verantwortlich.

Vorlage für die pausenlose zweistündige Aufführung ist Edgar Allan Poes „Der Untergang des Hauses Usher“, aber das ist mehr oder minder der Vorwand für „eine mehrsprachige und musikalische Reise in den Gedankenkosmos Poes“, wozu auch Pink Floyd, The Doors und andere beitragen dürfen und man sich nicht fragen soll, was ein Schauspieler, der zu weißer Gitarre zuckend singt, mit Poe zu tun hat. Alles ist möglich, wenn man jemanden findet, der es einen machen lässt, und diesmal waren es mit der Ruhrtriennale und dem Burgtheater gleich zwei Instituionen.

Man kennt Edgar Allan Poe (1809 -1849) als den Schriftsteller, der Horror und Panik in Seelen und im Leben wie wenige sonst darzustellen wusste. Welche Ängste die Menschen auch hetzen und peinigen können, Poe kannte sie.  Im „Haus Usher“ leidet der Held aus guten Gründen an Wahnvorstellungen, begräbt er doch die inzestuös geliebte Zwillingsschwester bei lebendigem Leib, bis sie als Zombie wieder dasteht und sich den Bruder holt – unter den Trümmern des über ihnen zerfallenden Hauses. Eher Kino als Theater, aber Reales gibt es in der Inszenierung von Barbara Frey ohnedies nicht.

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Bei der Ruhrtriennale spielte man das Stück, das keines ist, sondern der aufgesagte Poe-Text mit verteilten Rollen (angereichert mit anderen Werken, am besten erkennt man „Die Morde in der Rue Morgue“), in einer Maschinenhalle, die offenbar als Schauplatz schaurig genug war. Das hat man in Wien nachgebaut, und das Bühnenbild von Martin Zehetgruber und die schwarzen Kostüme von Esther Geremus sind tatsächlich das Einzige, was an diesem Abend schaurig wirkt.

Zu sehr viel, zu zu viel Musik wanken die schon erwähnten sechs Darsteller herbei, alle schwarz gekleidet wie zu einem Begräbnis, aus der Erde emporsteigend und immer wieder dort verschwindend. Keiner wird dezidiert zu irgendjemandem in der Geschichte, mit der Ausnahme einer Szene, wo Jan Bülow und Katharina Lorenz  das Geschwisterpaar Roderick und Madeline Usher verkörpern, deren exzessiven Gemütszustand durch sprachliche Exzentrik charakterisierend, die den Nachteil hat, dass man gar nichts versteht.

Das passiert an diesem Abend öfter, der vermutlich unter dem neuen Modewort „divers“ auf Multikulti zurück gegangen ist. Da werden Passagen des Textes von Debbie Korley im englischen Original rezitiert, was man noch einsieht. Weniger klar ist, warum es ungarischen Text geben muss (eine besondere Zumutung, weil man die Übersetzung hoch über dem Bühnenrahmen nur mit Falkenaugen lesen könnte). Die Begründung, dass Annamária Láng ihre Muttersprache Ungarisch sicher besser spricht als Deutsch, würde einleuchten, aber wer braucht das in diesem Zusammenhang?

Und da sind dann noch Michael Maertens und Markus Scheumann, die manchmal die Figur des Erzählers (jener, der Roderick Usher besucht, Augenzeuge der Ereignisse wird und sie berichtet) übernehmen, aber sonst im ritualisierten, singenden Darsteller-Pulk eingebunden sind. Wer bei diesem doch recht gewaltsamen Theaterkunststück, das sich so um Bedeutungsschwere bemüht, wirklich Poe erkennt, wird zufrieden sein. Man kann aber auch den ganzen Abend zwischen Langeweile und Gereiztheit schwanken. 

Die Premiere war wieder äußerst schwächlich besucht, dabei muss man im Burgtheater jetzt während der Vorstellung keine Masken mehr tragen. Derzeit kann man sich bei schlechtem Besuch immer noch auf die Pandemie ausreden. Aber was dann, wenn sie wirklich vorbei sein sollte? Für den Premierenbeifall ist jedenfalls stets gesorgt (das war auch früher so), aber was, wenn sich herumspricht, dass in diesem Fall der Horror weniger von Edgar Allan Poe, sondern von einer nervenschädigenden Inszenierung kommt?

Renate Wagner

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  1. Oktober 2921
    Burgtheater

Der Untergang des Hauses Usher
nach Edgar Allan Poe 

Deutsch, Englisch und Ungarisch. Mit englischen und deutschen Übertiteln.

Regie Barbara Frey  
Bühne Martin Zehetgruber 
Kostüme Esther Geremus 
Musik Josh Sneesby , Barbara Frey  

Mit
Jan Bülow  ,   
Stacyian Jackson/ Debbie Korley , 
Annamária Láng ,   
Katharina Lorenz ,   
Michael Maertens  / Bibiana Beglau
Markus Scheumann  
Live-Musik Thomas Hojsa ,  Josh Sneesby

 

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