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WIEN / Burgtheater: DER TARFUFFE

Quälende Leblosigkeit

27.01.2025 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: c)Tommy Hetzel

WIEN / Burgtheater: 
DER TARFUFFE von Molière<
Premiere: 26. Jänner 2025   

Quälende Leblosigkeit

Was bedeutet uns Molières „Tartuffe“ – zweifellos eines seiner bedeutendsten Werke – heute? Sicher keinen Skandal wie bei der Uraufführung 1664 am Hof von Ludwig XIV., wo so viele religiöse Heuchler sich offenbar betroffen fühlten, dass das Stück verboten wurde. Heutzutage drückt in Europa niemanden die Notwendigkeit, Religiosität zu heucheln, also ist dieses Thema vom Tisch (zumal in einer Aufführung, die sich nicht im geringsten historisierend, sondern reizlos heutig gibt). Dennoch ist da noch vieles – eine grimmige, grausame, dabei doch enorm komische Tragikomödie über Verstellung hier, Verblendung dort, was ja nun immer wieder vorkommen kann.

Aber was sieht man derzeit in zweieinviertel pausenlosen Stunden im Burgtheater? Es mag Leute geben, die vor der Regisseurin Barbara Frey zurückschrecken – man muss sich nur erinnern, wie sie Schnitzlers großartiges Menschen-Gemälde „Das weite Land“ zu einem schwarzen, leblosen Leichenbitter gemacht hat. Und Leblosigkeit als Stil ist auch das Kennzeichen dieser Molière-Aufführung, die in einer nicht definierten Welt grauer Vorhänge und zelebrierter Düsternis  (Bühne: Martin Zehetgruber, schäbige heutige Kostüme: Esther Geremus) stattfindet. Immerhin hat die Regisseurin im Haus des Monsieur Orgon, das es kaum andeutungsweise gibt, einen „Hausmusiker“ eingeführt, der am Klavier und mit einigen anderen Instrumenten übermäßige und zutiefst sinnlose  Musikuntermalung beisteuert, für die die Regisseurin selbst verantwortlich zeichnet.

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Das Stück geht die längste Zeit darum, dass Monsieur Orgon offenbar einem Heuchler hereingefallen ist, den jeder in seiner Familie durchschaut, nur er nicht. Seine Begeisterung für diesen Mann (Mann!!!) ist so groß, dass er keine Argumente gelten lässt und sich lieber von seiner Familie entfernt als von diesem Tartuffe. Es ist eine Studie der Besessenheit, und obwohl auch Michael Maertens die längste Zeit dem gelangweilten Ton folgen muss, den Barbara Frey dem Stück auferlegt, gelingen ihm doch Verzweiflungsausbrüche, die aufhorchen lassen.

Die anderen Familienmitglieder haben weniger Chancen, obwohl Maria Happel – als Orgons Gattin im rosa Minikleidchen (hat sie das aus der „Toto“-Produktion mitgebracht?) und mit verrücktem Haarteil geradezu denunzierend verunstaltet – hie und da das Regiekonzept sprengt und in der berühmten Szene, wo Tarfuffe sie verführen will und Orgon unterm Tisch steckt, um hier mitzuhören, kurzfristig komödiantisch explodiert. Aber bei weitem nicht so, wie Stück und Rolle es verdienten.

Völlig verloren ging die Rolle des vollmundigen Kammerkätzchens Dorine, Katharina Lorenz darf kaum präsent sein, und auch die übrigen versinken in einer faden Mezzavoce-Welt: ob Markus Scheumann als beschwörender Schwager, Justus Maier als empörter Sohn, Ines Marie Westernströer als farblose Tochter, sogar die immer so persönlichkeitsstarke Barbara Petritsch als Großmutter, denn auch in ihrer Rolle wäre viel mehr drinnen gewesen.

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Und Herr Tartuffe? Wollte man die Cross-Over-Besetzung mit einer Frau (wie es bereits dem Eingebildeten Kranken und dem Liliom in diesem Bachmann-Burgtheater geschah) ungefragt hinnehmen, hätte der Wokismus schon widerstandslos gesiegt. Also die Frage: Warum? Wie argumentiert man das? Was bringt es? Wem bringt es etwas, dass Bibiana Beglau den Tartuffe spielt? Am wenigsten ihr selbst, denn so, wie sie schmal und in Schwarz auf der Bühne steht, mit milder Stimme konventionell wie aus dem Bilderbuch, kommt weder die Faszination der Figur zur Geltung (die zerstört keine Leben!) noch die Frage danach, wie ernst dieser Tartuffe seine „Rolle“ nimmt, was hinter diesem Mann stecken mag. Molière deutet nur an, dass er ein Berufsverbrecher ist, mehr erfährt man nicht – und hier interessiert es einen auch nicht.

Noch ein genderfluides Opfer: Wenn man sich recht erinnert, ist Sarah Viktoria Frick am Burgtheater einst als Protagonistin angetreten, mittlerweile muss sie offenbar froh sein, wenn sie Nebenrollen bekommt, hier sind es drei Männer, darunter einer, der sinnlos theatralisch kichert…

Der Abend hatte keine Pause, so sahen sich doch einige Leute aus Langeweile oder Ärger veranlasst, eben während der Vorstellung wegzugehen. Wer bis zum Ende ausgeharrt hat, das Stück kennt und weiß, was es ist und kann, blieb mit der unbeantworteten Frage zurück, was im Kopf von Barbara Frey wohl vorgeht, dass sie die schönsten Stücke mit solcher Zerstörungswut vernichtet.

Renate Wagner

 

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