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WIEN / Burgtheater: DER STURM

30.03.2022 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Burgtheater, © Matthias Horn

WIEN / Burgtheater: 
DER STURM von William Shakespeare
Premiere: 12, März 2022,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 29. März 2022 

Wieder einmal (wie neuerdings so oft) hat sich ein Regiekonzept verselbständigt und ist total am der Vorlage vorbei gesegelt. So geschehen im Burgtheater, wo der isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson angeblich Shakespeares „Sturm“ inszeniert hat, aber eigentlich nur dick mit Musik getränkte Absurdität à la Beckett herauskam, ohne dass man besonderen Gewinn daraus gezogen hätte.

Musik spielt eine besondere Rolle an diesem Abend, Gabriel Gazes zeichnet für den Live-Sound verantwortlich, unterstützt von einer Menge von Live-Musikern, die auf der Drehbühne immer wieder „herbeigedreht“ werden und immer hörbar sind. Geboten wird da allerdings nichts Besonderes, sondern ein Medley aus Populärmusik, das man schwer mit dem Stück zusammen koppeln kann. Die ersten 20 Minuten des Abends verlaufen ausschließlich musikalisch, die Darsteller schlendern herum, singen gelegentlich, der Sinn erschließt sich nicht.

Der  „Sturm“ spielt bekanntlich auf der einsamen, aber magischen Insel, auf die es Prospero, den vertriebenen Herzog von Mailand, mit seiner Tochter Miranda verschlagen hat. An sich einzige Gefährten der beiden sind der Luftgeist Ariel und das höchst „erdige“, fast nibelungengleiche Geschöpf Calbian, Hexensohn und böser Geist.

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Vielleicht beginnt man gleich mit diesen Interpreten, denn gerade sie sind (mit Ausnahme von Miranda) total gegen den Strich besetzt. Da steht eine nicht mehr ganz junge Dame in einem weißen Fetzengewand auf der Bühne und behauptet, sie sei der von einer politischen Intrige gestürzte Herzog von Mailand. Die Dame ist Maria Happel, und man glaubt ihr kein Wort (höchstens andeutungsweise die Sorge um die Tochter). Wer sie ist und was sie will, bleibt völlig unklar, was nicht an Maria Happel liegt, sondern an jenen, die sie besetzt haben (aufgehobene Gendergrenzen hin oder her, es muss ja auch Sinn machen). Bedenkt man, dass Prospero neben Hamlet, Lear oder Richard III. eine der berühmtesten Shakespeare-Figuren überhaupt ist, hat man sie für diese Inszenierung faktisch weggeworfen.

Desgleichen Ariel – das ist, wie der Waldgeist Puck, einer der Ausflüge Shakespeares in Märchen-Magie, dieser Luftgeist darf sich nicht, wie Mavie Hörbiger es tut, zentnerschwer an Prospero hängen, sondern müsste eigentlich „schweben“ und nicht so viel negative Schwingungen aussenden, wie es hier geschieht. Und dass es zaubern kann – das glaubt man diesem drögen Geschöpf nie und nimmer.

Caliban hingegen müsste schon das Böse an sich ausstrahlen, für das er steht, aber Florian Teichtmeister sitzt gemütlich in einem Dreckhaufen, und man fragt sich, was seine Funktion sein soll und ob er überhaupt mitspielt. Damit sind die drei zentralen Figuren des Werks schon einmal bis zur Unkenntlichkeit (und auch Unbedeutendheit) verfremdet.

In einem Bühnenbild von Elín Hansdóttir, das aus Versatzstücken besteht, die ihre Funktion nie offenbaren, die sich aber häufig drehen, stolpern nun die durch den „Sturm“ auf die Insel gewehten alten Feinde Prosperos desorientiert herbei. Für das Publikum wird Verständnis optisch und akustisch schwierig, einerseits, weil die meisten Szenen von Rauch vernebelt sind oder im Halbdunkel (und noch dunkler) spielen, andererseits weil immer wieder (auch zu Blödelzwecken) Musik dazwischen funkt. Dass hier eine Abrechnung erfolgt – nein, man kriegt es wirklich nicht mit.

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Dass man den „bösen“ König und seinen Ratgeber doppelt besetzt  hat und auch das „Komödiantenpaar“ Trinculo und Stephano spielen lässt, ist eigentlich nicht einzusehen, denn man hat noch nie den Eindruck gewonnen, das Burgtheater leide unter Personalmangel. Aber die – nennen wir sie – politischen Szenen versinken ohnedies. Da mühen sich Dietmar König und Daniel Jesch (der an diesem Abend als Einspringer für Johannes Zirner die  Aufführung rettete) gemeinsam mit Michael Maertens und Roland Koch gewissermaßen vergeblich, nämlich ins Leere, ab. Die beiden Letztgenannten ziehen dann noch routiniert ihre Spaßmacher ab, gewissermaßen mit Gesang und Tanz (und natürlich Mikrophon in der Hand). Das könnte auch auf ehrlichere Weise lustiger ausfallen.

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Aber fraglos hat das Konzept des Regisseurs darin bestanden, diese einsame Insel als „absurden“ Raum zu betrachten und seine Figuren einfach nur darin herumirren zu lassen. Verlorene Beckett-Gestalten, auch wenn sie einander gelegentlich anbrüllen und natürlich nichts von deren echt trauriger, echt nihilistischer Poesie haben. Da freut man sich der kurzen Szene, wo Miranda (Lili Winderlich) und Ferdinand (Nils Strunk) einander in vollem Wortsinn „entdecken“, denn das machen sie sehr hübsch. Und man muss ja noch dankbar sein, dass das Ausziehen vor der Unterhose halt macht  – bei dem, was man sich im Burgtheater diesbezüglich schon alles ansehen musste…    

So gab es wieder einmal ein saftiges Stück Regietheater, dem es nur um sich selbst ging. Wer gekommen war, um Shakespeares „Sturm“ zu sehen, vielleicht zu begreifen, was da verhandelt wird und worin der Zauber und die Weisheit dieses Stücks bestehen – für den war es ein verfehlter Abend.

Renate Wagner

 

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