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WIEN / Burgtheater: DER NACKTE WAHNSINN

31.12.2019 | KRITIKEN, Theater

DER NACKTE WAHN SINN
von Michael Frayn
v.l. Till Firit, Katharina Pichler, Arthur Klemt, Norman Hacker, Genija Rykova, Sophie von Kessel, Paul Wolff-Plottegg     Alle Fotos: Burgtheater / Horn

WIEN / Burgtheater:
DER NACKTE WAHNSINN von Michael Frayn
Wiener Premiere (aus dem Münchner Residenztheater)
Premiere: 31. Dezember 2019

In München war es seine Abschiedspremiere. In Wien ist es sein Geschenk zu Silvester. Martin Kusej versetzte – als Letzte der Übersiedlungen aus München? – „Der nackte Wahnsinn“ von Michael Frayn an das Burgtheater (mit kleinen Retouchen ins „Österreichische“). Der Erfolg war schrankenlos.

Das Stück ist zurecht berühmt, ein Spaß, der vor allem einmal das Handwerk aller Beteiligten herausfordert – bis zum Letzten sogar: Dieses „Noises Off“ ist Schwank, Posse, Tohuwabohu pur. Man hat es in Wien oft gesehen (dreimal !!! an der Josefstadt, einmal im Volkstheater), die Inszenierungen sind nicht immer voll geglückt. Man muss dazu einfach zu viel können. Martin Kusej und sein Ensemble schlugen sich glorreich.

Worum geht es? Dass Personen den Boden unter den Füßen verlieren, dass Geschehen aufs höchste ins Wanken gerät, dass man es auch noch quasi spiegelverkehrt betrachten kann, muss, soll: Ein Theaterstück, das als solches kenntlich gemacht wird, handelt davon, dass zwei Paare gleichzeitig ein leeres Haus okkupieren wollen und heftig gestört werden. Von der Haushälterin, von einem Einbrecher und von einander.  Im ersten Akt wird die Turbulenz geprobt – mit allen Scherzchen über dumme Schauspieler, affektierte Regisseure, verschüchterte Assistentinnen, übereifrige Inspizienten, was man will. „Genau so geht es auf dem Theater zu“, versicherte Martin Kusej, als er am Ende, zum Schlußapplaus, ein Mikro ergriff, sich beim Publikum und seinem Team bedankte und allen 2020 weiterhin viel Erfolg (und Burgtheater) wünschte.

Akt 1 ist also die Probensituationen, schon diese komisch genug. Akt 2 ist abgründig. Da ist man in einer Vorstellung dieser Tourneeaufführung (für Österreich ist man gerade in Dornbirn), man ist schon lange unterwegs, die persönlichen Animositäten, Eifersüchteleien und Liebesgeschichten der Protagonisten haben sich entschieden verschärft. Während auf der Bühne das Stück läuft, sind wir auf der Hinterbühne, sehen nicht nur, wie die Darsteller auf ihre Auftritte warten (und diese mehr schlecht als recht absolvieren), sondern auch, wie die Schauspieler untereinander agieren – wüst, Slapstick pur, nicht nur, weil sie sich jedes Mal bücken müssen, wenn sie an einem Fenster vorbei kommen, damit sie für das Publikum nicht sichtbar werden. Wer da aller mit wem ein Verhältnis hat (der Regisseur, der inkognito zu Besuch kommen will, mit mindestens zwei Damen, mindestens), muss man gar nicht im Detail begreifen. Man lacht sich schief, wie Frayn hier mit einer Meisterschaft, die in die höchsten Regionen steigt, Theater und seine Opfer parodiert…

Akt 3 zeigt dann die letzte Vorstellung der Tournee-Aufführung, wo alle schon so erschöpft, genervt und auch verwirrt sind, dass sie sich schon selbst nicht mehr auskennen, wo alles schief geht (nicht zuletzt, weil sich das Bühnenbild auch schon langsam zerlegt), wo die Absurdität der Situation nicht mehr nur zum Lachen, sondern fast zum Verzweifeln ist. Da transzendiert sich der Wahnsinn.

Und das muss man können – ein Regisseur, der hier alle mit eiserner Präzision und doch scheinbar so „echt“ über die Bühne schickt, zumindest im ersten Akt, und der dann die Schraube unaufhörlich andreht. Man soll, wenn man beim Lachen Luft holt, nicht eine Sekunde vergessen, wie unglaublich schwer das ist, auch für die Schauspieler (die echten, die da auf der Bühne Schauspieler spielen), sich jede Nuance dessen zu merken, was in drei verschiedenen Versionen eines Aktes verschieden läuft. Das sind Konzentrations- und Präzisionsleistungen erster Ordnung, die hier verlangt werden. Und sie können es, alle. Und Kusej kann … „normales“ Theater.

„Frau Klacker“, die Frau, die das Haus hütet (immer eine Glanzrolle, in Wien u.a. von Elfriede Ott und Maria Bill gespielt), ist Sophie von Kessel. Das glaubt man ja anfangs nicht – ist das die blonde Schönheit des Fernsehens, Jedermanns elegante Buhlschaft in Blau anno dazumal? Mit schwarzen Locken, im Unterschichts-Outfit und mit ebensolchem Benehmen, muss man die Dame erst unter der Verkleidung erspähen, um bewundern und genießen zu können, was sie da leistet. Besonders jener Teller mit Sardinen, von Frayn eingefügt, um die Sinnlosigkeit von Stücken und Inszenierungen zu belächeln, wird von ihr mit Virtuosität gehandhabt.  

Die zweitkomischste Rolle ist immer „Vicki“, die gelegentlich ihre Kontaklinsen verliert (eine Katastrophe!), wofür Genija Rykova nicht nur ihre unglaubliche Figur in schwarzer Minimal-Bekleidung spazieren führt, sondern auch noch so hinreißend Dummheit sprüht, dass es viel darstellerische Intelligenz erfordert, um das zu erreichen. Die anderen Damen sind Katharina Pichler als betriebsame Schöne und Deleila Piasko als verhuschte Assistentin, beide ideal besetzt.

Norman Hacker als Regisseur hat viel von der Großmannssucht des (körperlich) kleinen Mannes, der sich wichtig vorkommen will. Thomas Loibl (war der wirklich Philipp II. in „Don Karlos“?) blödelt einen liebenswert-wehleidigen Zeitgenossen mit vielfach Nasenbluten und anderen Wehwehchen, Arthur Klemt macht sich als Inspizient drollig wichtig, Paul Wolff-Plottegg als schwerhöriger Zeitgenosse, der logischerweise viele Einsätze verpasst, hat seine komischen Momente.

Den Vogel aber schießt Till Firit mit blondem Lockenkopf und einer schlechtweg brillanten Zappeligkeit ab. Er war schon in Schottenbergs Volkstheater einer der besten Schauspieler des Hauses (es zeugte von der Instinktlosigkeit der Nachfolgerin, sich dieses Talent nicht zu sichern), und bei Kusej ist er offenbar noch ein paar große Schritte weiter gekommen. Ein Schauspieler, der spürbar zwischen seinem privaten Ich und den Problemen seiner Rolle zerrissen ist und brüllend komische Effekte erzeugt. (Ganz abgesehen von der Virtuosität, mit der er eine Treppe hinunter fällt.)

Das Publikum applaudierte glücklich. Der Direktor dankte, wünschte allen das Beste und holte sich mit dieser kleinen Ansprache alle Sympathien. Beschwingt begab man sich auf den Silvesterpfad. Ja, so darf Unterhaltungstheater sein. So gut, so brillant, so lustig. Und noch ein bisschen mehr ist es auch. Gerade, dass man nicht beginnt, über das Narrenhaus namens Theater zu philosophieren…

Renate Wagner

 

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