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WIEN / Burgtheater: DER MENSCHENFEIND

18.11.2023 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Matthias Horn

WIEN / Burgtheater:
DER MENSCHENFEIND von Molière
Premiere: 18. November 2023,
besucht wurde die Voraufführung

Im Hintergrund der Bühne sitzt ein weiß gekleideter Mann am Flügel und spielt eine melancholische Melodie. Er tut es zu Beginn und am Ende des pausenlosen zweistündigen Abends, der am Burgtheater Molières „Menschenfeind“ gewidmet ist. Wieder einmal eine Arbeit des Direktors, denen man bekanntlich mit besonderem Interesse entgegen blickt.

Und ein Stück, wie es aktueller nicht sein könnte.

Denn es zeigt eine durch und durch korrupte und verlogene „bessere“ Gesellschaft, die sich lustvoll in ihrer eigenen Niedrigkeit suhlt – daran hat sich wohl seit Molières Zeiten nichts geändert. Auch nicht, dass ein anständiger Mensch, der dagegen anläuft, nur untergehen muss… Wenn also Molière auch kein Nestroy ist, den man legitim stets nach dem herrschenden Zeitgeist bearbeiten kann, so sind „moderne“ Übertragungen in diesem Fall unbedingt gerechtfertigt. Obwohl man das Gefühl nicht los wird, dass das, was hier unter „Übersetzung Hans Magnus Enzensberger“ figuriert, für diese Aufführung noch tüchtig nachadjustiert wurde. Der „Sebastian mit seinen Chats“ kommt in der originalen Übersetzung wohl nicht vor – und ob sie immer so platt ist, wie sie auf der Bühne des Burgtheaters erklingt, möchte man auch bezweifeln. Die Dynamik der gereimten Alexandriner entfaltet sich nicht richtig – nicht von der hier gebotenen sprachlichen Fassung her und schon gar nicht aus den Kehlen der meisten Schauspieler…

Molière heutig also, das braucht – so meinte offenbar Martin Kušej – keine fassbare Dekoration, sondern nur einen minimalistischen Spielraum. Martin Zehetgruber baute diesen allerdings recht interessant, indem er das Geschehen (nicht neu, aber wirksam) vor einer Spiegelwand ablaufen lässt, die gelegentlich auch transparent wird. Die Bühne selbst ist leer bis auf eine Art Wasserloch – Castorf lässt grüßen (ob er diesen für ihn unverzichtbaren Feuchtraum auch auf die Bühne bringen wird, wenn er im Februar Bernhards „Heldenplatz“ am Burgtheater inszenieren wird?). In heutigen Gewändern (Kostüme Heide Kastler) gibt es also Steh- und Sprechtheater auf der Bühne.

Das könnte funktionieren, ließe man dieses Stück, in dem so viel Leben und Galle wohnt, auch wirklich von der Sprache vorantreiben. Denn hier wird gestritten – der ehrenwerte Menschenfeind Alceste, der nur in Philinte einen treuen Freund hat, gegen die ganze Welt, sprich: die saturierte Gesellschaft, in der er sich bewegt. Er hält ihnen ihre Verlogenheit vor, und sie lachen ihm ins Gesicht. Und Célimène, die er liebt, weil man sich seine Liebe nicht aussuchen kann, ist dieser Gefühle wahrlich nicht wert. Warum regt er sich so auf, dieser Alceste, statt das Spiel einfach mitzumachen?

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Das müsste gallbitter und tragikomisch zugleich sein, aber in Martin Kušejs Inszenierung schleppt es sich ziemlich leblos dahin. Es tut sich einfach nichts an diesem Abend, nicht szenisch, nicht psychologisch. Das liegt auch stark  an der Besetzung des Alceste mit Itay Tiran. Niemand wird dem Israeli vorwerfen können, er spräche nicht ordentlich Deutsch – aber es beschäftigt ihn so, dass er (im Grunde in allen Rollen, in denen man ihn bisher gesehen hat) völlig verkrampft auf der Bühne steht. Nun könnte auch Alceste in seiner selbstgewissen Anständigkeit verkrampft sein (es wäre möglich, die Figur durchaus zu hinterfragen und einen angeberischen „Ich bin der Gute“ aus ihm machen), aber das geschieht auch nicht. Itay Tiran steht im weißen Anzug da und strahlt gar nichts aus.

Ähnlich enttäuschend übrigens auch Mavie Hörbiger als  Célimène, die nicht aus sich herausgehen wollte oder durfte (und man darf gar nicht denken, was für ein herrlich  „schillerndes“ Frauenzimmer andere Kolleginnen aus der Rolle gemacht haben). Nicht einmal die Szene, wenn sie und Arsinoé sich ganz im Zeichen weiblicher „Freundschaft“ alle nur möglichen Gemeinheiten sagen, zündet richtig, obwohl  Alexandra Henkel das Flair der Bosheit und spitze Sprache dafür mitbringt.

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Etwas, wenn auch nicht viel von der Elastizität der Sprache  hört man auch bei Markus Meyer als schleimig-intrigantem Oronte und Christoph Luser als der sympathisch-solide Philinte, zwei Schauspieler, die fest in ihrer Sprache und damit in ihren Rollen stehen (der Rest der Besetzung versinkt in Bedeutungslosigkeit).

Damit der Abend nicht zu „billig“ wird, setzt Martin Kušej wieder ein Riesenensemble von Statisten ein, die gelegentlich im Hintergrund rhythmisch tanzen – Symbol für eine „Society“, die keiner braucht und die nach Geldverschwendung aussieht.

Kušej hätte besser verschwenderischen inszenatorischen Einfallsreichtum eingesetzt, dann hätte er den „Menschenfeind“ nicht so bedauerlich verschenkt und in zwei langweiligen Theaterstunden, die man sich nicht merken wird, versenkt.

Renate Wagner

 

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