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WIEN / Burgtheater: DAS LEBEN EIN TRAUM

12.09.2020 | KRITIKEN, Theater


Fotos: Burgtheater/Pohlmann

WIEN / Burgtheater:
DAS LEBEN EIN TRAUM von Pedro Calderón de la Barca
Premiere: 11. September 2020  

Eigentlich hat man Calderons „Das Leben ein Traum“ als gewissermaßen „farbiges“, vielschichtiges Barockstück (1635) in Erinnerung. Hier die Haupt- und Staatsaktion am Hof des Königs vom Polen, von großer philosophischer Gedankentiefe, daneben ein Element, das Tirso de Molina beigetragen haben könnte – junges Mädchen zieht Männerkleider an, um begleitet von einem lustigen Diener ihren ungetreuen Geliebten zu suchen. Sie findet und bekommt ihn und einen adeligen Vater noch dazu… das Leben changiert vielfältig zwischen Tragik und Komik. Bei Calderon.

Nicht so bei Martin Kusej im Burgtheater, wo die erste Premiere der „Corona“-Saison im Zuschauerraum sehr strukturiert vor sich ging und das Haus, da man offenbar viel an Paare verkauft hatte, auch gut besetzt war. Immerhin musste man im Endeffekt dreieinhalb Stunden durchhalten. Und dass es besonders unterhaltend gewesen wäre (oder darf Theater das nicht mehr sein?), könnte man nicht behaupten…

Denn die Buntheit des Originals wich bei Kusej einer permanenten Düsternis, sowohl in der Optik wie im Spielstil. Geradezu hölzern leblos wurde die an sich doch spannende Geschichte herunter deklamiert. Der heikle psychologische Bogen, den der Autor vor allem für den jungen Prinzen Sigismund spann – man erlebte ihn kaum.

Kurz gesagt geht es um ein Experiment. Logisch ist es ja nicht (wenn man das angesichts von Calderon so einfach sagen darf): König Basilius von Polen hat seinen Sohn in einen Turm weggesperrt, weil die Sterne dessen schlechten Charakter prophezeit haben. Nicht gerade ein Kaspar-Hauser-Schicksal, aber schlimm genug, denn der im Turm gefangene junge Mann kann seinen Zorn über die Ungerechtigkeit seines Schicksal wahrlich empfinden. Wie kann man nun glauben, dass er auf Anhieb ein guter und gerechter Herrscher sein würde, wenn man ihn versuchsweise aus dem Turm holt und ihn „König“ spielen lässt? Natürlich macht er alles falsch (wenn auch in dieser Inszenierung so gemäßigt, dass der explosive Charakter dieser Szenen völlig unter den Tisch fällt), so belässt man es bei „König für einen Tag“ – und als Sigismund sich im Turm wiederfindet, redet man ihm ein, es sei nur ein Traum gewesen.

Verwirrend genug, und doch ein ganz altes Problem des Menschen. Seit er Zeit gefunden hat, über sich nachzudenken, ist ihm immer wieder die Idee gekommen, ob sein „wahres Leben“ vielleicht im Traum stattfände, und ob das, was er für sein Leben hält, vielleicht nur ein Traum sei? Grillparzer hat es paraphrasiert, Pirandello hat eine ganze Kompagnie von Theaterstücken über solche Zweifel geschrieben, das Thema ist schon sehr echt.

Was ist es bei Martin Kusej? Sicherlich einmal ein Leichenbitter. Dazu hat ihm Bühnenbildnerin Annette Murschetz eine Welt geschaffen, die nur grau, abstrakt und geradezu tödlich ist. Sigismund liegt nackt auf einem Metalltisch wie eine Leiche in der Prosektur, rund um ihn graue Wände, die gelten aber nicht nur für sein Gefängnis, sondern auch für den Palast des Königs, den man nicht zu sehen bekommt. Ja, und da ist auch noch der Turm, in dem Sigismund gefangen gehalten wird („Der Turm“ hat ja auch Hofmannsthal seine Paraphrase des Stücks genannt) – ihn erlebt man immer wieder von außen, er ist in sich zusammen gestürzt, ein riesiger, hoher Ziegelhaufen. Darauf herumzuklettern erscheint noch beängstigender als die Baumstämme, über die Kusej einst seine Protagonisten im „Weibsteufel“ turnen ließ…

Das ist die Welt, in die der Regisseur das von ihm gewissermaßen skelettierte Stück stellt. Und weil alles so öde und tragisch ist, stehen die Darsteller meist herum wie die Ölgötzen und sagen weitgehend bewegungslos ihren Text auf. Nicht einmal von Sigismund ist echte Erregung zu erfahren, und er hat doch wahrlich immer wieder Grund dafür. Da wäre ein großer Bogen zu spannen, von der Verzweiflung des Beginns, von der Unsicherheit, die das König-Experiment bei ihm auslöst und zu den Willkürakten führt, die der plötzliche Caesarenwahn mit sich bringt, bis zu der (gar nicht so leicht zu erspielenden) Umkehr – denn bei Calderon geht es darum, dass die zweite Chance auch die Erkenntnis dessen bringt, was gut und richtig ist…

Die Wiener Aufführung, die hie und da gereimte Verse bietet (wie das Original), aber weder ihren Übersetzer noch den Bearbeiter nennt, ist ein ziemlicher dramaturgischer Willkürakt – nicht nur wegen Kusejs Vorliebe, Szenen zu kleinen Stücken zu zerhacken, dazwischen das Licht ausgehen zu lassen und anderswo weiter zu machen. Er hebt auch das eindeutige Happyend des Stücks auf, indem er die Figur der Rosaura (sie wäre eigentlich für den heiteren Teil der Handlung zuständig) am Ende nicht nur nihilistisch philosophieren, sondern auch zugrunde gehen lässt: mit Pasolini-Text in den Untergang.  Das ist der klassische Fall einer Inszenierung, wo der Zuschauer einen ziemlich falschen Eindruck von dem Stück bekommt, wenn er es nicht kennt.

Als Prinz Sigismund ist Franz Pätzold eingesetzt (das hohe Lob für seinen Marquis Posa im Vorjahr ist nicht von jedermann nach zu empfinden): Bei seinem Sigismund hatte man deutlich das Gefühl, dass er, von der Regie gebremst, unter seinen Möglichkeiten bleiben musste, dass er für das Schicksal des unglückseligen Prinzen mehr Emotion und Temperament aufzubieten gehabt hätte (so muss er vor allem viel splitterfasernackt herumlaufen, man sollte sich zu der Figur doch mehr merken).

Besonders seltsam fällt die Figur des König Basilius aus: Norman Hacker erscheint zu Beginn in der Unterhose und zieht sich mit etwas Mühe an (seltsam, dass in dieser „Nicht-Welt“, die das Bühnenbild symbolistisch kreiert, die Kostüme von Heide Kastler andeutungsweise historisierend sind) – und erweist sich den ganzen Abend lang als knieweicher Schwächling. Nur am Ende darf er einem Verräter auf der Bühne die Kehle durchschneiden – nein, das steht nicht im Stück (Sigismund würde den Mann im Turm einkerkern). Dieser König ist so unbegreiflich, dass man nicht weiß, was man mit ihm anfangen soll.

Seltsam auch die Rosaura: In dieser Rolle lernt man die Salzburgerin Julia Riedler kennen, die schon eine bemerkenswerte Theaterkarriere hinter sich hat, eine gute Figur macht – und sprachlich einfach grauenvoll alle Dialekte zu mischen scheint und malträtierend hässliche Töne von sich gibt (verzerrte Vokale, verschluckte Endsilben) . Wie wär’s mit ordentlichem Sprechen?

Der Rest der Darsteller bekommt kaum Gelegenheit, sich zu profilieren – nicht die im Hintergrund bleibende Andrea Wenzl als Estrella, noch weniger Roland Koch als Clotard, der Sigismund bewacht, eine Spur mehr der Astolf des Johannes Zirner (der Rosaura erst zu heiraten bereit ist, als sich herausstellt, dass Clotard ihr Vater und sie folglich adelig ist – das steht auch so bei Calderon). Wenn man bedenkt, was mit der Figur des Clarin, Rosauras komischem Diener, möglich wäre, darf Tim Werths auch kaum etwas zeigen.

So, da haben wir es, Theater als düsteres Gleichnis. Zähe, bleiern, großteils ein Schattenspiel. So viel Stil killt einen Theaterabend mühelos.

Renate Wagner

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Fr. 11. September 2020 19:30 / Premiere
Burgtheater

Das Leben ein Traum
Pedro Calderón de la Barca

Regie Martin Kušej  
Bühne Annette Murschetz  
Kostüme Heide Kastler  
Musik Bert Wrede  

Basilius, König von Polen      Norman Hacker  
Sigismund, dessen Sohn    Franz Pätzold  
Astolf, Herzog von Moskau    Johannes Zirner
Estrella, Nichte des Königs      Andrea Wenzl  
Clotald, Sigismunds Aufseher      Roland Koch  
Rosaura      Julia Riedler  
Clarin, Rosauras Diener      Tim Werths  
Soldat      Wolfram Rupperti  
Diener      Gunther Eckes  

 

 

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