Foros: c-marcella–ruiz-cruz
WIEN / Burgtheater:
DAS FERIENHAUS von Simon Stone nach Henrik Ibsen
Eine Adaption von IBSEN HUIS von Simon Stone,
Originalproduzent am Internationaal Theater Amsterdam 2017
Premiere: 18. Dezember 2025
Totentanz der Neurotiker
Im Jänner 2018 hat Regisseur Simon Stone, der Australier mit Schweizer Wurzeln, das Wiener Publikum in das „Hotel Strindberg“ eingeladen. Davor schon hatte er sich in Amsterdam ein „Ibsen Haus“ erdacht, das nun auch an das Burgtheater gekommen ist. Allerdings in einer dezidiert „eingeösterreicherten“ Form (vor 2022 zahlt man noch mit Schilllingen). Das nunmehrige Ferienhaus steht in einem schönen Feriengebiet mit See und Bergen, und es wurde für die Familie von Carl Albrich, dem Architekten, selbst errichtet – mit sehr viel Glas, lauter hohe Fenster, die Einblick gewähren.
Dieses Haus (Bühnenbild: Lizzie Clachan) dreht sich nun ausführlich auf der Bühne des Burgtheaters, um zwischen 1964 und 2016 mehr als ein halbes Jahrhundert lang (wobei die Zeitebenen der kurzen Szenen bunt und wild durcheinander springen) die Geschichte der Familie zu erzählen, die – das sei vorausgeschickt – eine extrem unglückliche ist. Wo in der Handlung der „Ibsen“ steckt, vermöchte man allerdings nicht zu sagen (außer dass ein an AIDS sterbender Sohn möglicherweise an den Oswald in den „Gespenstern“ erinnert – hier erstickt ihn übrigens seine Mutter). Aber sonst – man könnte keine Nora, keine Hedda Gabler, keinen Borkman, schon gar keinen Peer Gynt ausmachen. Das alles ist einfach – Simon Stone. Von Ibsen hat er die Stimmung: düster, düsterer, am düstersten.
Nun war schon das „Hotel Strindberg“ einst (als Aufführung übrigens weit eindrucksvoller als diese) ein inhaltliches Tohuwabohu erster Klasse, und das wiederholt sich hier. Zumal innerhalb eines halben Jahrhunderts Menschen von jung zu alt werden bzw. die nächste Generation erscheint. Das Programmheft bietet einen Stammbaum der fiktiven „Albrichs“, den man spätestens in der Pause intensiv studiert, um dann immer noch nicht alle Details der Familienzusammenhänge heraus zu bekommen. (Zumal alle Darsteller mit Ausnahme der zentralen Figur mehrere Rollen spielen, was auch nicht zur Übersicht beiträgt,)

Wichtig ist, dass es natürlich ein Familiengeheimnis geben muss, und das ist ebenso natürlich der Mißbrauch, den sich Carl, das unliebenswürdige Familienoberhaupt, leistet, nicht nur an fremden kleinen Mädchen, auch an der eigenen Nichte Caroline (als sie neun Jahre jung war) und sogar am der Enkelin – und die Gattin nimmt es hin, sagt kein Wort. Und nach und nach stellt sich heraus, dass alle es wussten und schwiegen. Nur Caroline, die geschändete Nichte, randaliert gelegentlich… das Bild einer zutiefst verstörten, gestörten Personlichkeit, die das Geschehene auch im Erwachsenenalter noch nicht verarbeitet hat.
Man muss ehrlicherweise sagen, dass den Figuren des Stücks jede tiefere Glaubwürdigkeit fehlt. Sie alle agieren in einer übersteigerten Theatralik, die sie als einen Club der Zwangsneurotiker darstellt, geprägt von befremdlicher Künstlichkeit. Dabei geht es anfangs vor allem um Beziehungen, auch lesbische, und um familiäre Streitigkeiten.
Nach der Pause wird ein neuer Ton angeschlagen, der allerdings genau so theatralisch ist. Nun ist man im Jahr 2016, das Haus ist abgebrannt (später erfährt man, wer es angezündet hat und warum), und Caroline, nun alt geworden, will es wieder aufbauen. Warum? Man schreibt das Jahr 2016, Migranten strömen ins Land, sie will möglichst viele aufnehmen und ihnen Wohnraum geben. Da brandet dann die aktuelle Diskussion auf, Caroline bleibt der einzige „Gutmensch“, während ihre gesamte Umwelt hartherzig argumentiert. So wird der Abend kurzfristig zum fadenscheinigen Agitprop, bis er zur nächsten Tragödie überschwenkt, nämlich dem schier endlosen Schwanken von Carls Sohn Sebastian in den AIDS-Tod… Ja, und ganz am Ende (die Szenen purzlen wie erwähnt bunt durcheinander, diskret eingeblendete Jahreszahlen signalisieren einem halb verwirrten Publikum, wann die Sache gerade spielt) geht es wieder zurück zu dem Brand. Das ist dann zwar kein Wagner’scher Feuerzauber (auch ja, in den „Gespenstern“ brennt es bei Ibsen auch), sondern gewissermaßen die reinigende Kraft des Feuers, die die Sünden einer Familie auslöschen soll, in der es so viel Unrecht gab. Und das Ganze ist eine ziemlich knüppeldicke, meist unübersichtliche Story voll von Klischees.
Simon Stone setzt in seiner Inszenierung nicht auf Klarheit (die angesichts der Vorlage not täte), sondern auf zusätzliche Konfusion, sprachlich wie szenisch. Verlassen kann er sich natürlich auf die Schauspieler, wobei einige von ihnen schon in seinen bisher vier Burgtheater-Produktionen dabei waren.

Birgit Minichmayr ist das unruhevolle Zentrum des Stücks, nicht als die vergewaltigte junge, wohl aber als die rabiate ältere und die ideologiegetränkte alte Carolina. Was sie an Schreiorgien und Ausbrüchen bieten muss, ist ohrenschädigend (und hoffentlich nicht stimmschädigend).
Caroline Peters, ebenfalls immer treu an der Seite von Stone, hat als lesbische Freundin von Carls Tochter keine wirklich tragende Rolle, immerhin mit einem großen Ausbruch gegen Ende, wenn sie vom vertuschten Mißbrauch erfährt. Sie darf auch noch als coole Bürgermeisterin auftreten, die schöne Fassade der hässlichen Politik.
Elisabeth Augustin ist für die älteren Damen zuständig und einigermaßen von Exzessen verschont. Auch Franziska Hackl, teils als Tochter, teils als Gattin von Carl, bleibt vor allzu viel Exhibitionismus verschont. Fabia Matuschek und Leonie Rabl schwirren als diverse junge Damen (who is who?) herum.
Michael Maertens als Carl ist teils unliebenswürdig, teils gefährlich gemein, der Mann mit den verbrecherischen Neigungen schlechthin, während Roland Koch als sein Bruder ganz am Rande bleibt und kaum zur Geltung kommt. Das junge und das sterbende Ich des unglückseligen Sebastian geben Tristan Witzel (teils berührend) und Thiemo Strutzenberger (in einem ausgewalzten, aber nichtsdestoweniger eindrucksvollen Sterbe-Marathon). Michael Wächter in mehreren Rollen überzeugt vor allem als Carolines unglückseliger Gatte. Sie alle tanzen den Totentanz der Neurotiker, den sich Stone hier ausgedacht hat.
Am Ende sind es vier Stunden geballten menschlichen Elends geworden. Wer sich das antun will, nur zu. Er soll allerdings nicht sagen, man habe ihn nicht gewarnt.
Renate Wagner

