Fotos: Burgtheater / c_Horn
WIEN / Burgtheater:
DÄMONEN
Nach dem Roman von Fjodor M. Dostojewskij,
Fassung: Sebastian Huber
Premiere: 25. November 2022
Über Sinn und Unsinn von Roman-Dramatisierungen muss man nicht mehr diskutieren, längst haben die Theater so viele davon auf die Bühne gebracht, dass man vor einem fait accompli steht – gegen Tatsachen kann man sich nicht wehren. Was macht man also mit einem dreiteiligen Riesenwerk (zwischen Buchdeckeln immer gut 1000 Seiten lang) wie den „Dämonen“ von Fjodor M. Dostojewskij (die ja schon Albert Camus zur Dramatisierung gereizt haben?).
Nun, das was uns an dem Buch vordringlich interessiert, ist der ideologische Überbau. Dostojewskij hat gerne diskutiert (bzw. ließ es seine Personen tun) – über Religion und Gott, über Lebensentwürfe und Weltanschauungen, über politische Systeme und revolutionäre Konzepte. Erstaunlich, wie vieles davon aus der Distanz von 150 Jahren (sein Roman erschien 1873) davon noch anrührt und interessiert. Und wenn Einzelnes überholt ist – nun, wir haben keine Leibeigenen mehr, aber andere Formen von gnadenloser Ausbeutung.
Wenn also der „Dämonen“-Abend, den Regisseur Johan Simons auf die Bühne des Burgtheaters stellt (in der Fassung des Dramaturgen des Abends, Sebastian Huber), mit einer dieser Grundsatzdiskussionen beginnt, ist das ein überzeugender Einstieg.
Allerdings kann man nicht immer nur Theoretisches verhandeln, und wenn es um das reine Geschehen geht, um das Beziehungsgeflecht rund um Hauptfigur Stawrogin, dann verliert der Abend schnell an Überzeugungskraft und hat Mühe, die volle Spieldauer hindurch – 4 Stunden, 10 Minuten – den Zuschauer bei der Stange zu halten. Außerdem wird derjenige, der den Roman nicht kennt, schnell die Übersicht verlieren, denn durch besondere Klarheit zeichnet sich die Fassung nicht aus, obwohl die Personenfülle des Werks nicht ungeschickt reduziert ist
Dennoch hängt vieles in der Luft. Leider wurde auf Dostojewskij s „Erzähler“ verzichtet (der hätte hilfreich sein sollen), wie auch einiges Wichtige fehlt (etwa Stawrogins Gespräch mit Tichon). Gleich zu Beginn wird, wenn man es nicht weiß, absolut nicht klar, warum Warwara Stawrogina ihre Ziehtochter Dascha Schatowa unbedingt mit dem alten Hauslehrer Stepan Werchowenskij (den sie selbst an der Leine hat) verheiraten will… und es ist nicht das Einzige, was der Erklärung bedürfen würde. Kurz gesagt, die Fassung des Abends ist kein Preis.
Prinzipiell ist die Bühne (Nadja Sofie Eller) einfach gehalten, Möbel (vor allem Sessel) stehen herum, kein Russland-Realismus, dafür unendlich viele Spielereien mit Licht (und Schatten), mit unvermuteten Blackouts, mit Geräuschen und teils Gänsehaut-erzeugender Live-Musik, also viel Formalismus, dessen Sinnhaftigkeit sich selten erschließt. Warum Johan Simons nervtötenderweise (ja, auch Zadek tat es) während der Vorstellung das Saallicht (wenn auch gedämpft) brennen lassen muss, ist auch nicht klar – der Konzentration des Publikums hilft das nicht, und gerade Konzentration hat man nötig, nicht nur, um der Handlung zu folgen, sondern auch den Ideen der Inszenierung. Die sich auch in den Kostümen (Greta Goiris) ein undurchsichtiges Chaos zwischen Lächerlichkeit und mangelnder Kleidsamkeit leistet.
Das Heil müsste von den Schauspielern kommen, aber vor allem Nicholas Ofczarek in der zentralen Rolle des Stawrogin bekommt von der Fassung viel zu wenig Möglichkeiten, diese Figur (die übrigens jünger und auch – es wird angesprochen – attraktiver sein müsste) in den Griff zu bekommen. Er hat eine wirklich große Szene nach der Pause, in der Dostojewskij (was er nicht ungern tat) mit dem Entsetzen darüber spielt, wozu Menschen fähig sind. Da erzählt Stawrogin, wie er ein kleines Mädchen missbraucht hat, das sich daraufhin umbrachte (das wäre an sich die Szene bei Tichon). Der Mann, der mit seinem Leben experimentiert und es in die seelische Hölle geführt hat – das glaubt man dem ältlichen Mann, der in einem unglückseligen rosa Kasack auf der Bühne steht, nicht. Nein, sonderlich von Dämonen getrieben wirkt er nicht. Und das ist eigentlich die Essenz des Romans – dass ein intelligenter Mensch sich für das Böse entscheidet und darin untergeht.
Hingegen ist Pjotr Werchowenskij schon im Roman a priori als der „Mephisto“ des Geschehens angelegt, und Jan Bülow funkelt die Lust am Bösen aus den Augen. (Sein Schicksal wird übrigens, im Gegensatz zu dem Stawrogins, den man bis zu seinem Selbstmord begleitet, nicht zu Ende erzählt.)
Eine der schönsten, wenn nicht die schönste Gestalt des Abend ist Oliver Nägele als sein Vater Stepan Werchowenskij, der verhinderte Dichter, der die berühmte idealistische Aussage trifft, Shakespeare sei für die Menschheit wichtiger als Stiefel für die armen Leute… (Die armen Leute sehen das anders, aber sub specie aeternitatis hat er natürlich recht.)
Itay Tiran war selten so überzeugend wie als der gläubige Idealist Schatow, Marcel Heuperman muss nach Kräften übertreiben, hat aber keine Möglichkeit, dem Ignat Lebjadkin Kontur (geschweige denn eine Funktion) zu geben. Ernest Allan Hausmann spielt jenen Kirillow, der den Nihilismus in die letzte Konsequenz seines immer wieder angekündigten Selbstmords treibt. Markus Hering als Liputin muss sozusagen Dutzende gestrichener Nebenrollen (vor allem die Revolutionäre, die von Pjotr Werchowenskij manipuliert werden), übernehmen, Dazu trägt er flatternde orangenfarbene Hosen, weiß der Himmel, warum.
Dass alle vier Frauen, die von dem Roman übrig geblieben sind, sich um Stawrogin drehen, muss man auch wiederum wissen, sonst wird es nicht klar. Maria Happel verkörpert, gehandicapt von einem lächerlichen Kostüm (hinten 19. Jahrhundert, vorne ein Minirock, was schlechtweg albern aussieht) Stawrogins Mutter, aber eigentlich wird diese reiche Warwara vor allem dabei gezeigt, wie sie ihren „Untergebenen“ Stepan Werchowenskij demütigt.
Eine Groteskfigur ohnegleichen muss Birgit Minichmayr als die reiche Lisa Tuschina auf die Bühne stellen. Als ob deren Eiseskälte bei Dostojewskij nicht genügte, erscheint sie mit schwarzer Kurzhaarfrisur, nacktem Bauch und Peitsche, um hier als strenge Herrin mit Neigung zu hysterischer Lache die reine Künstlichkeit zu verkörpern.
Ähnlich umgedeutet wurde die bei Dostojewskij geistig und körperlich behinderte Marja Lebjadkina durch Sarah Viktoria Frick, in weiß-rotem Kleinmädchen-Outfit mit Hotpants und einer Mischung von debiler Kindlichkeit und tückischer Schlauheit. So schauen Menschen nur auf der Bühne aus.
Was Dagna Litzenberger Vinet betrifft, so geht ihre Dascha Schatowa weitgehend unbeachtet im Geschehen unter.
Was hat man nun an einem sehr langen Abend gesehen? Gewiß, die eine oder andere Diskussion ließ aufhorchen, aber dieses Element blieb doch am Rande. Im übrigen rudimentäre Anklänge an den Roman, jede Klarheit vermeidend, eine Inszenierung, deren Formalismen dem Werk nicht helfen, Stückwerk, das sich nie zum Ganzen fügt.
Wie immer in Wien gab es vom – absolut nicht ausverkauften – Haus viel Beifall.
Renate Wagner