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WIEN / Burgtheater: CYRANO DE BERGERAC

06.04.2022 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: © Nikolaus_Ostermann

WIEN / Burgtheater:
CYRANO DE BERGERAC
von Martin Crimp nach Edmond Rostand
Deutschsprachige Erstaufführung
Premiere: 5. April 2022

Klassiker sind arme Hunde. Rechtlos schweben sie im luftleeren (tantiemenfreien) Raum und sind jeder interpretatorischen Willkür ausgesetzt. Nicht nur Regisseure vergreifen sich an ihnen, sondern auch nachgeborene Dramatiker-Kollegen (egal, welcher Größenordnung). Wo bildende Künstler „übermalen“, werden Stücke von einst „überschrieben“. Warum? Na ja, das gibt billige Tantiemen für die Zerstörung teurer Werke. Die Neudichter geben an, uns überhaupt erst den Zeitbezug klar zu machen (weil jedes Publikum ja von den Theaterschaffenden konstitutionell für dumm gehalten wird), und das Ergebnis…

… sieht im schlimmsten Fall so aus wie das, was man unter dem irreführenden Titel „Cyrano de Bergerac“ derzeit im Burgtheater erlebt. Martin Crimp, der Brite, von dem man weiß, dass er eigene Stücke schreiben kann, hat die große Mantel-und-Degen-Tragikomödie von Edmond Rostand mit der unnachahmlichen sprachlichen Brillanz und seelischen Zartheit zu einer Minifassung eingedampft (sieben Darsteller reichen ihm), die viele Nachteile hat.

Zwar wird immer wieder (sinnloser Weise!) betont, man befände sich schließlich in den „Sechzehnhundertvierziger Jahren“, aber alles an dem neuen Stück ist von hier und heute. Das spiegelt sich vor allem in der Sprache. Nicht nur Genderfragen und jede Mange Gegenwartsausdrücke schwirren herum, es geht von „Du willst sie auch nur flach legen“ bis zu „Vollkoffer“ herunter, was die Frage der Übersetzung aufwirft, da man das Crimp-Original nicht kennt. Bei Edmond Rostand ist es die Elastizität der gereimten Sprache, die immer wieder Bewunderung hervorruft. Was hier an gereimtem Deutsch zu hören ist, klingt einfach nur plump und hölzern im Ohr (Reim dich oder ich fress dich…). Vielleicht soll es so sein, es ist ja auch handlungsmäßig (schon durch die Kürzungen) vieles anders. So anders, dass man einen Teil der Geschichte gar nicht versteht, weil die Figuren keine Umrisse und keinen Hintergrund haben. Dass es natürlich keine „Gascogner Kadetten“ gibt, muss man gar nicht erwähnen. Bis zur Pause wankt der Abend, von Stück und auch Regie verlassen, hoffnungslos und seltsam ungeschickt wirkend dahin.

Nach der Pause wird es für den vierten Akt etwas leichter, denn da herrscht Krieg, und wer angesichts dieser Tatsache nicht betroffen wird, weiß nicht, was in der Welt vorgeht. Da hängt man nicht nur weiße Hemden auf, die mit einem großen roten „x“ keinen Zweifel daran lassen, dass ihre einstigen Besitzer es nicht geschafft haben, da erbebt scheinbar das ganze Burgtheater unter Bombeneinschlägen, das Licht im Zuschauerraum flackert mehrfach erschrocken auf… So weit so gut, um dann wieder in das Unglück dieser Bearbeitung zurück zu fallen: Eine der schönsten Sterbeszenen der dramatischen Literatur wird miserabel umgedichtet  – perdu.

Sicher ist das Unglück dieser Aufführung auch auf die völlig konzeptlos erscheinende, vor sich hinwackelnde Regie von Lily Sykes zurückzuführen, in einem Bühnenbild ohne weitere Aussagekraft (Márton Ágh) und schäbigen Gegenwartskostümen (Lene Schwind). Viel Musik, nicht nur a capella-Chöre der Darsteller (auf Englisch, aber man würde sie auch auf Deutsch nicht verstehen), sondern auch eine (gelegentlich, nicht oft Krawall) erzeugende Band auf der Bühne. (Musik: Wouter Rentema, Jan Schoewer), Das ist der Gegenwartsbezug? Nur weil es sinnlos wirkt?

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Franz Pätzold spielt mit sehr großer Nase angeblich den Cyrano – aber wer ist er? Er darf nicht forsch und furchtlos sein, nicht brillant und vollmundig, kein Mann, der seine schöne Seele schamhaft hinter der herausfordernden Fassade verbirgt. Pätzold steht geradezu ratlos als Mann ohne Eigenschaften auf der Bühne, völlig durchschnittlich, der sich von keinem anderen abhebt. Aber Cyrano muss der in jeder Hinsicht Besondere sein, sonst macht das Stück keinen Sinn. Ob Franz Pätzold im echten Stück unter kompetenter Regie ein „echter“ Cyrano wäre – wir werden es wohl nie erfahren. Wir sehen nur den Nasen-Zwerg, den die Crimp-Fassung aus ihm machte.

Die Roxane von Lilith Häßle ist durch und durch eine Frau von heute (die hier am Ende natürlich nicht im Kloster zu finden ist). Gerade darum erscheint die Kernaussage des Werks, dass ein „schöner“ Verstand einem schönen Gesicht vorzuziehen ist, hier völlig irrelevant – welche so moderne Frau verlangt von Männern schon hochrangige Lyrik als Liebesbeweis? Das 21. Jahrhundert ist nun einmal nicht das schöngeistige 17…

Der Rest des Ensembles bringt Stichworte, aber keine Figuren – am wenigsten Tim Werths als der „schöne“ Christian, der so gut wie nicht vorhanden ist. Am ehesten bringt noch Markus Scheumann als De Guiche einen Hauch von gefährlicher Obrigkeit ein, aber dieses Handlungselement wird nur im Programmheft, nicht auf der Bühne vermittelt. Alexandra Henkel spielt alle Frauenrollen, Bless Amada und Gunther Eckes stehen auch auf der Bühne.

Der Abend war nicht weniger als kaltblütiger Mord an allem, was das Original des „Cyrano de Bergerac“ schön, wunderbar und besonders macht. Was man statt dessen geboten bekommt… aber das ändert nichts am Beifall. Die Wiener beklatschen gleichmäßig alles, was man ihnen vorsetzt, als gäbe es keine Frage der Qualität.

Renate Wagner

 

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