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WIEN / Burgtheater: BÖHM (Gastspiel Graz)

26.11.2019 | KRITIKEN, Theater


© Lupi-Spuma

WIEN / Burgtheater:
BÖHM von Paulus Hochgatterer
Gastspiel Schauspielhaus Graz
25. November 2019

Das Burgtheater lud das Grazer Schauspielhaus ein – und die große Burg füllte sich in einem erstaunlichen Ausmaß. Mit „Böhm“. Für „Böhm“. Weil Wien (neben Graz) vielleicht die letzte Stadt ist, wo dieser Name noch etwas bedeutet? Karl Böhm, wer sonst. Der Mann mit den großen Karrieren – vor dem Krieg, während des Krieges, nach dem Krieg. Das verbürgte Ekelpaket für seine Umwelt, vor allem Orchester und Sänger. Dabei ein Dirigent, der schon zu Lebzeiten in den Himmel gehoben wurde. An den brauen Flecken hat man erst später gekratzt.

„Böhm“ auf der Bühne ist von zwei Seiten zu betrachten. Die eine betrifft das Stück von Paulus Hochgatterer. Das eiert ein bisschen, vor allem durch die vielen dramaturgischen Verschränkungen. Einerseits bringt er Karl Böhm selbst auf die Bühne, im Gespräch mit Wolfgang Schneiderhahn, im Gespräch mit Karl Löbl (der ihm die Bemerkung entlockte, er werde der Wiener Staatsoper nicht seine Weltkarriere opfern – was ihm in seiner Eigenschaft als Wiener Operndirektor den Hals brach), wenn er Walter Berry in der Rolle des Wozzeck zusammen staucht, und manches mehr. Auch wenn er beim Dirigieren seine berühmt-berüchtigten Sottisen und Unliebenswürdigkeiten los ließ, soll es wohl er selbst gewesen sein…

Aber der Mann im Rollstuhl, der die dramaturgische Klammer für die vielen kleinen Szenen des Stücks liefert, soll nicht Böhm selbst sein. Ein Doppelgänger. Bewunderer. Kenner des Maestro. Einer, der Böhm spielt. Einer, der von einem Pfleger und dessen Schwester betreut wird (sie wiederum soll ihm politische Korrektheit beibringen, nein, man sagt nicht mehr „Eskimo“ und „Neger“). Eine nicht wirklich sinnhafte Ebene des Geschehens – zumal wenn der Pfleger den Reserve-Böhm am Ende zur Büste des Dirigenten bringt und diese (zu den Klängen des „Rosenkavaliers“) klirrend zu Boden fällt. Das war’s.

Der Abend, der nur hundert (pausenlose) Minuten dauert und dennoch zu lang wirkt, könnte auf viele Wiederholungen ebenso verzichten wie auf die Verdoppelung durch den Doppelgänger. Er hat hingegen äußerst wirkungsvolle Szenen – auch eine, in der Böhm gar nicht vorkommt. Dort erklärt der von Nazis aus seinem Dresdener Amt entfernte Fritz Busch, er werde in der Stunde der Not seine Freunde nicht verraten. Böhm hingegen, als man ihm den Dresdener Posten gibt (ablehnen konnte er nicht wirklich), zerbricht sich nur den Kopf, was die Leute sagen werden…

Man muss Hochgatterer zugestehen, dass er nicht versucht hat, Böhm „brauner“ zu malen, als er war. Viele der österreichischen Künstler, die den Nationalsozialismus als fait accompli nahmen (der Fall Wessely / Hörbiger lag ähnlich, bei Karajan war es sicher genau so), waren keine leidenschaftlichen Ideologen und Verfechter des Nationalsozialismus. Sie waren Mitläufer, die taten, was man verlangte, um ihre Karrieren zu sichern. Böhm zog sich hinter seine Musik zurück – und tat nicht mehr und nicht weniger als nötig. Die Attacke auf ihn hätte schlimmer ausfallen können. (Ärgerlich sind nur – bewusste? – Fehler, man sollte doch meinen können, das Stück sei sauber recherchiert. Aber Karl Böhm hat in Wien nicht in der – jüdischen – Villa Regenstreif gewohnt, die übrigens auch nicht in der Sternwartestraße lag…)

„Böhm“ als Stück ist ein Puzzle, von dem man nicht genau weiß, worauf es eigentlich hinaus läuft. Mitleid muss man keines haben, ein wirklich verächtlicher Schurke war er auch nicht, der große Künstler als kleiner Mensch…? Immerhin hat das Stück viele Szenen, die für den Opernfreund witzig sind, etwa wenn auch Elisabeth Schwarzkopf, Christa Ludwig und Walter Berry gewissermaßen als Böhm-Zeugen auftreten. Übrigens, ein seltsames Erlebnis, die Konfrontation mit der Vergangenheit, die man anders in Erinnerung hat: Der Zeit-Monolog der Marschallin klingt so, wie die Schwarzkopf ihn singt, für unsere heutigen Ohren in der Artikulation ausgesprochen gestrig und pathetisch…

Was immer man für oder gegen das Stück sagen mag, es ist an diesem Abend nicht die Hauptsache. Dieser gehört dem einzigen Interpreten, dem Schauspieler und Puppenspieler Nikolaus Habjan, der nicht nur mit der Böhm-Puppe im Rollstuhl agiert, sondern insgesamt elf Stab-, Hand- und den Klappmaulpuppen bedient. Wäre schon das (auch noch in Eigenregie erarbeitet) ein Virtuosenstück erster Ordnung – er „ist“ jede einzelne Figur durch seine Sprache, er gibt das charakteristisch Knetschige des schrillen Böhm-Tons (den man von Originalaufnahmen kennt), er ist brillant als Schwarzkopf und noch herrlicher als Christa Ludwig (tatsächlich verwechselbar, so vollendet ist er in der Nachahmung der Charakteristika), er differenziert alles und alle in einem Alleingang, der seinesgleichen sucht, nur unterstützt von Musik und gelegentlichen Projektionen.

Wenn man persönlich zugibt, dass einem Habjan-Inszenierungen, in denen er seine Puppen „normalen“ Stücken aufzwingt, bisher weidlich auf die Nerven gegangen sind, so hatte man noch nie die Gelegenheit, die volle Künstlerschaft dieses Menschen- und Puppenspielers zu erkennen. Dazu musste schon „Böhm“ kommen.

Das Wiener Publikum, das virtuose Schauspieler liebt, jubelte sich die Seele aus dem Leib und trug Nikolaus Habjan (metaphorisch) auf den Händen. Verdient.

Renate Wagner

 

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