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WIEN / Burgtheater: AUSLÖSCHUNG

Rezitieren beim Treppensteigen

17.10.2025 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Tommy Hetzel 

WIEN  /  Burgtheater. AUSLÖSCHUNG. EIN ZERFALL
nach dem Roman von Thomas Bernhard
In einer Bühnenfassung von Therese Willstedt und Jeroen Versteele
Premiere: 16. Oktober 2025

Rezitieren beim Treppensteigen

Man kann ein Werk wie den Roman „Auslöschung“ von Thomas Bernhard biographisch erklären. Als Jahrgang 1931 erlebte er als Kind den Anschluss, als Junge den Weltkrieg, als junger Erwachsener eine Nachkriegszeit, wo die Österreicher den Blick nach vorne richteten, ohne das Bedürfnis, das Geschehene aufzuarbeiten. Dass in ihm ein ewiger Hass auf den Nationalsozialismus wohnte, eine tiefe Verachtung seiner Landsleute und, durch persönliche Umstände (er hatte es mit seiner Familie nicht sehr gut getroffen) eine Verkrampfung menschlicher Beziehungen – das hat in seinem Fall zu einem gewaltigen Werk geführt, das ihn allerdings auch nicht glücklich gemacht hat.

Thomas Bernhard war als Prosautor ebenso begabt wie als Dramatiker, aber dass man seine Romane und Erzählungen dauernd auf die Bühne bringen muss, ist nicht unbedingt einzusehen. Aber nun ist die „Auslöschung“ an der Reihe, und auf der großen Burgtheaterbühne laufen acht Darsteller eine rote Riesentreppe auf und ab und rezitieren den (stark gekürzten) Originaltext.

Denn die schwedische Regisseurin Therese Willstedt hat mir ihrem Dramaturgen Jeroen Versteele keine wirkliche Dramatisierung versucht, sondern eine Art Bewegungsregie für den auf acht Darsteller aufgeteilten Text gesucht und gefunden. (So wie sie Virginia Woolfs „Orlando“ einst auf sieben Darsteller verteilte, was allerdings weniger gelungen war als die Bernhard-Adaption, die sie formal besser in den Griff bekommen hat.)

Es fehlt so einiges an der Geschichte des Franz-Josef Murau, der vor seiner Familie und dem verachteten Österreich nach Rom geflüchtet ist und dort als Privatlehrer lebt. Sein Schüler Gambetti, seine Freundin Maria und auch der wichtige Onkel Georg kommen so gut wie nicht vor. Andererseits ist die Familiengeschichte das Zentrum des Romans – und das wird dreistufig erzählt.

Aufbruch aus Rom, als er die Nachricht vom Unfalltod der Eltern und seines Bruders erhält, Da bangt man um den Abend, denn die acht Darsteller (alle gleich, braun in braun gekleidet) stehen hier wirklich nur auf der roten Treppe (Bühnenbild: Mårten K. Axelsson) herum und bemühen sich, bei den „verteilten Rollen“ ihre Anschlüsse nicht zu verpassen. So darf es nicht weiter gehen.

Daheim auf Schloss Wolfsegg wird es entschieden lebendiger, da sind die Stufen dann mit Erinnerungsartefakten aller Art zugemüllt und der Protagonist bzw. die acht Protagonisten beginnen, sich in ihre nationalsozialistische Rage hinein zu reden. „Auslöschung“ erschien 1986, es war das Jahr des „Falls Waldheim“, die Problematik der „Ehemaligen“ in hohen Positionen, straflos durchgerutscht, brodelte in den Medien wie selten zuvor. Und Franz-Josef Murau hat seine persönlichen Erinnerungen daran, wie seine Eltern ehemalige Nazis bei sich versteckten, bis sie in der Republik wieder zu Amt und Würden kamen – da können sich der Held und sein Autor in einen Empörungs-Wirbelsturm hineinreden. Da verlangt die Regie den Darstellern nicht nur körperliche Zuckungen aller Art, sondern auch stimmlich einen Kosmos der Häme ab – schreiend, kreischend, flüsternd, infernalisch kichernd, Stimmen kippend… ein Horrorszenario.

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Nach der Pause dann das Begräbnis, wofür drei Särge auf die Stufen geschoben werden und Murau sich ebenso in Nekrophilie vergräbt, wie den Hass auf seine Mutter geradezu auskotzt. Man weiß, wie schwer es Thomas Bernhard  als Kind mit seiner Mutter hatte (in dem Roman „Ein Kind“ hatte er es vier Jahre davor nur unzureichend aufgearbeitet), hier tobt nun die gnadenlose Rache des Ungeliebten. Wie man weiß, hat er sich nie zurück gehalten…

Aber Bernhard hat noch ein Hühnchen zu rupfen, die Katholische Kirche hat es ihm angetan, und in der Person des Priesters Spadolini (der nebenbei der Geliebte der Mutter war…)  kann er gar nicht genug tun, vor allem die Verlogenheit anzuprangern (was die Darsteller mit bösartig-parodistischem italienischem Akzent zum Kabinettstück machen). Dass noch ein riesiges Weihrauchfass (er erinnert stark an jenes in Santiago de Compostella) vom Schnürboden herabsinken und dann über die ganze Bühne schweben muss, ist ein Effekt, der vermutlich teurer war, als er wirklich einbringt.

Knappe drei Stunden lang sind acht Schauspieler, vier Damen (Lilith Häßle, Alexandra Henkel, Andrea Wenzl und Ines Marie Westernströer) und vier Herren (Aaron Blanck, Norman Hacker, Seán McDonagh und Jörg Ratjen) auf der Bühne und müssen Ungeheures leisten, ohne je als Individuen zur Geltung zu kommen. Einige unter ihnen sind prägnante, präzise Sprecher, andere nudeln eher undeutlich, was das akustische Ergebnis des Abends – immerhin wird original Bernhard gesprochen – etwas uneben macht.

Vielleicht ist es sinnvoll, in einer Welt des neuen linken Antisemitismus die alte Schuld wieder aufzukochen. Murau schenkt sein Schloss der Jüdischen Kultusgemeinde. In Österreich gibt es wieder Lokale, die offen erklären, Juden seien unerwünscht, jüdische Künstler werden ausgeladen, wie anno Nazi-dazumal. So erlebt man im Grunde – ob im Hinblick auf Bernhard, ob mit Blick auf die Gegenwart – einen Abend großen Unbehagens.

Renate Wagner

 

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