Foto: Belvedere
WIEN / Belvedere / Unteres Belvedere:
WIEN – BERLIN
Kunst zweier Metropolen
Vom 14. Februar 2014 bis zum 15. Juni 2014
Zwei Städte – eine Epoche
Von der verführerischen Welt des Fin de Siecle bis in die Wilden Zwanziger und die nächste „Vorkriegszeit“ der dreißiger Jahre – da kann man etwas erzählen, zumal für unsere Zeit, die gerade heuer den Ersten Weltkrieg aufarbeitet. Künstlerische Zentren und wahre Großstädte waren damals Wien und Berlin, gleichwertig unter den anderen europäischen Metropolen. Das Gegensatzpaar machte Weltgeschichte und Kunstgeschichte. Letztere wird in einer Kombinationsausstellung von Wien und Berlin vorbildlich dokumentiert. Nun ist „Wien – Berlin“ im Unteren Belvedere gelandet.
Von Heiner Wesemann
Verbunden – getrennt Für den Beginn der Ausstellung hat man Gemälde von Bahnhöfen gewählt: Zeichen von Verbindung, denn man konnte Wien – Berlin und Berlin – Wien auch schon vor mehr als hundert Jahren ohne weiteres (und nicht einmal entschieden langsamer als heute) mit dem Zug reisen. Zwei Städte, in denen vorwiegend Deutsch gesprochen wurde, denen man aber auch – wie es Shaw von England und Amerika formulierte – nachsagen konnte, sie seien durch die gleiche Sprache getrennt. Vor allem aber durch den Lebensrhythmus, das Tempo: Das „Harmoniebestreben des Salons“ in Wien gegen den „Geschwindigkeitsrausch der Industriegesellschaft“ in Berlin, wie es in der Ausstellung so treffend formuliert wird. „Unsüße, unbarmherzige Stadt“, hat der Wiener Alfred Berlin genannt.
Ausstellungsansicht / Foto: Belvedere
Bis das Elende alles nivellierte Gegensätze werden immer wieder angedacht, Wiener Blut gegen Berliner Schnauze, konservativ und fortschrittlich, weich gegen hart, elegant gegen grell, mildes Lüfterl gegen scharfen Berliner Luft, aber wenn man aus der Ausstellung etwas lernt, dann auch dieses: Wie sehr die historischen Ereignisse die Welt und die Kunst von der Ästhetik zur bösen Sachlichkeit geführt haben – und auch die Unterschiede zwischen den scheinbar so auseinander liegenden Welten Wien – Berlin nivellierten. Denn Armut und Krieg sehen dann überall gleich aus.
Die Gegensätze Schon der erste Raum arbeitet höchst programmatisch Gegensätze am Ende des 19. Jahrhunderts auf. Da hängt prominent Gustav Klimts Porträtgemälde von Johanna Staude und mehr noch, vor ihr, in einem Glaskasten, befindet sich genau jener Stoff der Wiener Werkstätte, den sie auf dem Bild trägt. Jene „Wiener Werkstätte“, deren Geist gelobt wurde als „heiter, graziös, elegant, sorglos, lebensfreudig, diskret und unaggressiv wie das Wiener Leben“. Und wenn man dieses Urteil von 1908 auch nicht in allen Punkten unterschreiben würde, entspricht es doch einem Wiener Selbstbild. Man hatte noch Zeit für das Schöne, wenn auch möglicherweise Unwesentliche. Aber ein paar Schritte weiter schreit einem im gleichen Raum das Plakat entgegen, das Emil Orlik als düstere Lithographie für Hauptmanns „Die Weber“ geschaffen hat, wo sich der Dichter für das Elend der Arbeiter im Schlesischen interessierte. Und so kontrapunktisch wird immer gearbeitet. Dabei zieht sich die „nostalgische“ Schönheit sehr schnell zugunsten eines gnadenlosen Blicks auf die Wirklichkeit zurück.
Künstler: Österreich Kurator Alexander Klee setzt von Raum zu Raum thematische Schwerpunkte, die querschnittartig verlaufen (etwa Porträts, Landschaften), aber auch chronologisch fortschreiten. Zu Beginn kann Wien Klimt und Schiele als Zeugen heranziehen, aber das Belvedere hat auch darüber hinaus tief in die eigene Schatztruhe österreichischer Kunst gegriffen. Sind es anfangs – noch ein wenig „betulich“ – Josef Engelhart, Ferdinand Andri, Kolo Moser, Josef Hoffmann, Carl Moll, die hier Beiträge leisten, kommt man zu Max Oppenheimer und Albert Paris Gütersloh, die schon einen anderen Ton anschlagen, Herbert Boeckl, Anton Kolig und Oskar Kokoschka, die im Grunde zumindest ideologisch dem „deutschen“ Expressionismus angehören, Christian Schad oder Sergius Pauser bei der Neuen Sachlichkeit, Rudolf Wacker, bei dem der Surrealismus grüßen lässt, Carry Hauser, Wilhelm Traeger, um bei weitem nicht alle zu nennen. Dazu kommen „Wanderer zwischen den Welten“ wie Emil Orlik, in beiden Metropolen tätig, der aus Wien stammende, in Berlin tätige Raoul Hausmann oder Albert Birkle, der den Weg von Berlin nach Salzburg nahm, Helmut Ploberger hingegen ging – zugunsten der Sachlichkeit – von Wels nach Berlin.
Otto Dix: Kriegsverletzter, 1922, © Kunsthaus Zug, Stiftung Sammlung Kamm / © Bildrecht, Wien, 2014
George Grosz: Daum marries her pedantic automation George in May 1920. John Heartfield is very glad of it (Meta-Mech. Constr. nach Prof. R. Hausmann), 1920, © Berlinische Galerie, Berlin / © Bildrecht, Wien, 2014
Schwerpunkte Deutschland Parallel zu den Österreichern liefert „Berlin“ (auf Deutschland auszuweiten) eine überwältigende Fülle von Meisterwerken: Max Liebermann, Käthe Kollwitz (immer für die gequälte Kreatur zuständig), der interessante Conrad Felixmüller, Max Beckmann, Ernst Ludwig Kirchner mit seinen „spitzen“ Großstadtbildern, Max Pechstein, Ludwig Meidner, Otto Dix, mit dem die Fratzen ins Bild kommen, Georg Grosz mit seiner teilweise faszinierenden Verschmelzung von scharfem Realismus und Absurdem, um nur die berühmtesten anzuführen.
Der Anteil der Frauen Sie sind meist „Modelle“, oft hässlich oder auch auf seltsame Art schön wie jene strenge Porzellanbüste der aus Wien stammenden, in Berlin berühmt gewordenen Schauspielerin Tilla Durieux, die Ernst Barlach schuf. Doch der Anteil weiblicher Künstlerinnen in der Ausstellung ist so auffallend groß, dass der (positiv zu betrachtende) Verdacht nahe liegt, man hätte bei der Gestaltung hierauf gesteigerte Aufmerksamkeit gewendet. Man sieht mit Interesse die Werke von Jeanne Mammen (die bei ihren Gesichtern keine Gnade walten lässt und die hektischen Frauentypen der Zwanziger Jahre unvergleichlich einfängt), Erika Giovanna Klien (teils abstrakt, teils revolutionärer Thematik verpflichtet) , Lotte Laserstein (deren Frauenporträts man „cool“ nennen könnte), Hannah Höch (mit ihren verstörenden, collagierten Beiträgen im Sinn von Dada), Friedl Dicker (die mit ihren Collage die Nachkriegszeit abbildete) und andere mehr.
Lotte Laserstein: Im Gasthaus, 1927, Privatsammlung, Foto: © Walter Bayer
Jeanne Mammen: Revuegirls, 1928/1929,© Berlinische Galerie, Berlin / © Bildrecht, Wien, 2014
„Die Aktion“ und „Der Sturm“ Der „Preußische Erzengel“ hängt in Uniform und mit Schweinskopf von der Decke (1920 von Rudolf Schlichter / John Heartfield gestaltet) und ist Teil jenes Agitprop, mit dem Europa nach dem Ersten Weltkrieg in wildem Aufruhr einen Weg aus seiner Vergangenheit suchte. Dazu gehört (im Gang vor den beiden letzten Räumen) die ausführliche Darstellung der beiden Zeitschriften „Der Sturm“, 1911 von Herwarth Walden gegründet, Postille des Expressionismus, für deren Titelbild einmal Oskar Kokoschka die weltberühmte Graphik von Karl Kraus geschaffen hat; und „Die Aktion“, 1911 als Postille der Linken Bewegung ins Leben gerufen.
Ausstellungsansicht / Foto: Belvedere
That’s Entertainment Ob im Wiener Prater, ob im Berliner Lunapark, das Bedürfnis nach Unterhaltung war in beiden Städten immer gleich stark, wenngleich das Berlin der „Roaring Twenties“ da natürlich Besonderes beizutragen hat. Heute noch bekannte Namen steigen aus der Welt des Films, des Sportes auf – Luis Trenker, gemalt von Sergius Pauser, Max Schmeling als Fäuste hebende Statuette. Die Hektik des Sechs-Tage-Rennens fing Max Oppenheimer ein.
Katalog Der Katalog der Ausstellung, im Prestel Verlag erschienen, ist diesmal – und das in einer Kunstbuchwelt, wo schöne Kataloge quasi Ehrensache der Verlage sind – besonders anregend ausgefallen, ein Kunststück auch in der Gestaltung des überreichen, an Bildern und Information überquellenden Inhalts. Vorbildlich die Künstlerbiographien mit Angabe der ausgestellten Werke am Ende (plus Objektzahlen zum Schnellfinden im Katalog) – nicht immer kann man mit solchen Büchern so vorzüglich arbeiten.
Wien – Berlin, Kunst zweier Metropolen.
Unteres Belvedere
Bis 15.Juni. Täglich von 10 bis 18 Uhr, Mi bis 21Uhr.