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WIEN / Belvedere: WIEN 1450 – DER MEISTER VON SCHLOSS LICHTENSTEIN

13.12.2013 | Allgemein, Ausstellungen

Belvedere Lichtenstein Text x

WIEN / Unteres Belvedere / Orangerie:
WIEN 1450 – DER MEISTER VON SCHLOSS LICHTENSTEIN UND SEINE ZEIT
Vom 8. November 2013 bis zum 23. Februar 2014

„Namenlos“ und doch bekannt

Der Künstler als Individuum ist eine Erscheinung der Renaissance. Im Mittelalter arbeitete man noch zur höheren Ehre Gottes, Tausende und Abertausende von höchstrangigen Künstlern, Tafelmaler, Holzschnitzer, Buchmaler sind „namenlos“ auf die Nachwelt gekommen. Doch erkennbar sind sie – Stil, Eigenheiten, Besonderheiten. Einer kam aus der Welt des Wiens um 1450 und fällt der Nachwelt gleicherweise durch Meisterschaft wie Innovation auf. Man nennt ihn den „Meister von Schloss Lichtenstein“ und das Belvedere widmet ihm in der Orangerie eine bemerkenswerte Ausstellung.

Von Heiner Wesemann

Belvedere Lichtenstein Marienkroenng

Ein anderes „Lichtenstein“ Wer hier zulande „Liechtenstein“ sagt, denkt an das Nachbarländchen und sein Fürstenhaus mit den beiden gewaltigen Palais’ in Wien, denkt vielleicht auch an die schöne Burg in Maria Enzersdorf (wo jetzt nicht mehr Nestroy gespielt wird), aber im Belvedere ist man mit einem „Lichtenstein“ ohne „ie“ konfrontiert. Es handelt sich um „Schloss Lichtenstein ob Honau“ in Baden-Württemberg, und dorthin gelangten zwei Tafeln mit den Darstellungen von „Marientod“ und „Marienkrönung“, die vom „Lichtenstein“-Meister stammen.

Der verlorene Altar Bei diesen Marienbildern, die von besonderer Schönheit sind, handelt es sich um Teile eines im 19. Jahrhundert in seine Bestandteile zerlegten Altars, der nun in der Ausstellung im Belvedere versuchsweise „rekonstruiert“ wird. Was von den an sich 26 Originalen zusammengetragen werden konnte (das Belvedere besitzt sechs der Tafeln), findet sich hier, und am Ende des Raum ist der einst gut sechs Meter breite Altar (von dem zwei Teile unwiderruflich fehlen) quasi virtuell rekonstruiert. Eine große wissenschaftliche Leistung. Man hat hier ein Meisterwerk der Spätgotik zwar nicht als Original, aber doch als Idee und Leistung wieder gewinnen können, indem man die Einzelstücke aus Augsburg, Basel, Esztergom, Moskau, München, Philadelphia, Stuttgart, Tallinn und Warschau zusammen holte. Nur eines konnte Kuratorin Veronika Pirker-Aurenhammer bei aller Forschungsarbeit nicht herausfinden – wo dieser Altar vor seiner Zerstörung ursprünglich gestanden ist, bevor die Schandtat passierte, ihn für den Kunsthandel zu „zerstückeln“.

Belvedere Lichtenstein Plastiken

Das verlorene Mittelalter In der Barockstadt Wien dokumentiert man in Ausstellungen immer wieder die Moderne, am liebsten die klassische, und natürlich die großen Meister. Das Mittelalter ist ein Stiefkind der Betrachtung, obwohl wir immerhin den Stefansdom zu bieten haben und das Belvedere selbst über eine permanente, stets im Rahmen des Tickets zugängliche und inhaltlich hochkarätige Mittelalter-Sammlung verfügt. Aber Ausstellungen wie die nunmehrige, die sich in so breitem Rahmen (es sind 78 hochwertige Exponate) mit Kunstwerken des 15. Jahrhunderts auseinandersetzt, sind selten.

Wien um 1450 Das Belvedere hat für diese Großausstellung nicht nur auf eigene Bestände zurückgegriffen, sondern ein weites Netz (neben internationalen Leihgebern haben auch Österreichs Klöster und Stifte reichlich entlehnt) ausgeworfen, um hier – mit dem Thema des Marienaltars im Zentrum, aber breit darüber hinaus dokumentierend – zu zeigen, was an Wien Mitte des 15. Jahrhunderts neu und besonders war: Die Thematik war noch ausschließlich religiös, aber die angewandten Mittel, vor allem von Seiten des Lichtenstein-Meisters, der den Marien-Altar zweifellos in Wien hergestellt hat, wenn er auch für den süddeutschen Raum bestimmt war, waren innovativ.

Fast das Gesamtwerk Das Belvedere kann vom Lichtensteiner Meister beinahe sein ganzes bekanntes Werk zeigen, auch seinen Passionszyklus. Gerade, weil man ihn in dieser Ausstellung mit wesentlich „steifer“ und konventioneller arbeitenden Kollegen vergleichen kann, wird die Bewegtheit, Belebtheit und Plastizität seiner Bilder deutlich, die beseelten, ausdruckstarken Gesichter, die räumlich empfundenen Hintergründe. Er hat vermutlich die Fortschritte der Niederländer auf diesem Gebiet gekannt und persönlich antizipiert. Interessant nicht nur sein Realismus in vielen Belangen, sondern auch die quasi dramaturgische Einbringung weltlicher Güter – kostbare Kronen, Kleidungsstücke – in die Bilder. Auffallend immer wieder ungewöhnliche Details: So werden bei der „Marienkrönung“ Gottvater und Jesus als gleich jugendliche Männer mit braunem Bart rund um Maria dargestellt, mit Szepter und Reichsapfel als Machtinsignien: Könige des Himmels. Hoch interessant auch der Umstand, dass der Maler Herodes beim Kindermord von Bethlehem persönlich zusehen lässt, über eine Brüstung gelehnt, mit roten Handschuhen, deren Bänder wie Blutstropfen in eindeutiger Symbolik herabhängen… Wenn man Zeit hat, wird man mit vielen Details besonderer Art fündig.

Belvedere Lichtenstein_kaschauer_papst Belvedere Lichtensteinalbrechtsaltar_epitaph

Vorläufer und Zeitgenossen Jede Kunst muss in ihren Kontext gestellt werden, und die Ausstellung des Belvedere bietet hier „schöne Madonnen“ und andere bemerkenswerte Plastiken, etwa einen höchst lebendigen „Thronenden Papst“ aus der Werkstatt von Jakob Kaschauer. Natürlich ist auch der „Meister des Albrechtsaltars“ (der heute in Klosterneuburg zu sehen ist) vertreten, seinerseits ein Großmeister der Epoche, der Meister der St. Lambrechter Votivtafel oder der Meister der Darbringung – immer wird ihre „Spezialität“ für die Nachwelt zu ihrem Namen als Künstler. Sie haben mit dem Meister von Lichtenstein gemeinsam, dass man nur ihre Werke, nicht sie selbst kennt. Eine Ungerechtigkeit der Geschichte. Aber die Würdigung im Belvedere fällt so nachhaltig aus, wie man sie sich nur wünschen kann.

Orangiere, Unteres Belvedere, Bis 223. Februar 2013 täglich von 10 bis 18 Uhr, Mittwoch bis 21 Uhr

 

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