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WIEN / Belvedere: INTO THE NIGHT

16.02.2020 | Ausstellungen, KRITIKEN

WIEN / Unteres Belvedere und Orangerie:
INTO THE NIGHT. DIE AVANTGARDE IM NACHTCAFÉ
Vom 14. Februar bis zum 1. Juni 2020

Im Wirbelwind der Künste

„Nachtleben“ bedeutet nicht nur Alkohol und Sex, es ist eine „Szene“, die sich alternativ zu jener des „Tages“ ausbreitet. Und in diesem Sinne bunter, schriller, extremer, verrückter und natürlich auch liberaler ist, kurz: ein politisches Phänomen. Das Belvedere hat, in Zusammenarbeit mit dem Barbican Center in London, das auch die Kuratorin Florence Ostende stellte, die Ausstellung „Into the Night“ gestaltet, und dieser Blick auf „Die Avantgarde im Nachtcafé“ ist durch die Vielfalt der Schauplätze und Objekte so opulent ausgefallen, dass sie nicht nur das Untere Belvedere, sondern auch noch die daneben liegende Orangerie füllt. Eintauchen in die alternative Welt der Künste ist angesagt.

Von Heiner Wesemann

In Kellern wuchs das Neue     Nicht alle, aber viele der Kabaretts, Theater, Varietés und Bars, die in den Großstädten nachts zum Leben erwachten, waren Orte, wo man Neues ausprobierte. Vieles, was heute unter dem Begriff „Avantgarde“ läuft, wurde dort geboren. Dabei streckt die Ausstellung den zeitlichen Radius weit – von den 1880er Jahren, wo man sich in Paris noch in der Welt des Toulouse-Lautrec befindet, bis zu dem 1960er Jahren, wo man in Teheran einen Privatclub eröffnete, der noch zu Zeiten des Schah, die damalige Kunstszene des Landes reflektierte.

Die Vereinigung der Künste      Nie war man dem Gesamtkunstwerk näher als in diesen Clubs, die schon von der architektonischen Gestaltung her als Kunstwerke gedacht waren, gleichfalls im Design des Raums und des Mobiliars, ebenso in den Performances, die Literatur, Musik und Tanz vereinigen. Hier schuf man dann auch Neues – im Pariser „Chat Noir“ etwa ein Schattentheater, das das Kino voraus zu ahnen scheint. Und wo hätte „Dada“ aufblühen können wenn nicht in einer dieser alternativen Szenen, dem Züricher Cabaret Coltaire.

Der Freiraum der „anderen“   Nicht erst im Berlin der Zwanziger Jahre explodierte eine Schwulen-, Lesben und Transgender-Szene, in den Clubs konnte man Anders-Sein nicht nur ausleben, sondern zelebrieren.

Dieses Berlin, das in Künstlern wie Otto Dix vor allem einen Chronisten ohnegleichen fand, ist nur ein Fixpunkt für die „Modernen“, die sich im Zusammenhang mit der „Nacht-Szene“ entwickelten. Hier wirbelten, wie die Ausstellung zeigt, Secession und Expression, Abstraktes und Futuristisches bunt durcheinander. Alles war erlaubt, alles hat Platz im Rahmen dieser Welt, die selbstverständlich das Bürgertum aller Städte, die damit konfrontiert waren, empörte….

Blick auf Europa   Paris, Wien, London, Zürich. Moskau, Rom (wo der Club sich „Göttliche Komödie“ nannte und Himmel, Fegefeuer und Erde bot), Straßburg (dessen „geometrischer“ Künstlerclub L’Aubette andeutungsweise nachgebaut wurde) und Berlin sind die Städte-Schwerpunkte der Ausstellung, die sich dann jeweils auf signifikante Zeitpunkte konzentrieren – beim Pariser Chat Noir auf die 80er, 90er Jahre des 19. Jahrhunderts, in Berlin auf die zwanziger Jahre. Das künstlerische Ergebnis ist stets reich, im Wirbelwind der Künste und Kunstformen, die heute natürlich den einstigen (und damals so wichtigen) Schockeffekt verloren haben. Für den heutigen Besucher ist es Kunst und Kulturgeschichte in hohem Ausmaß.

Nicht nur die „weiße Welt“   Möglicherweise hätte man sich noch vor zwei Jahren nicht den Kopf darüber zerbrochen, eine Ausstellung wie diese einzig an Schauplätzen in Europa und den USA zu lokalisieren. Da hat sich Entscheidendes geändert. Nun ist auch Schwarzafrika vertreten (wer hätte je von einer Nachtclubszene in Nigeria gewusst?), Lateinamerika mit Mexiko City, Asien mit Teheran, was ein Kapitel für sich ist. In Harlem rüttelten die New Yorker Jazz Clubs an der Rassenfrage, und in Nigeria schloß sich ein Mbari Artists and Writers Club den internationalen intellektuellen Bewegungen an. Und im Cafe de Nadie in Mexiko City trafen sich Schriftsteller mit der Ambition, gänzlich neue Formen für eine neue Welt zu finden, was sich auch gestalterisch in ihren Manifesten ausdrückte.

Eine Ahnung, wie es damals war  Schließlich vermittelt die Ausstellung den Eindruck, dass man sich direkt im Cabaret Fledermaus befände, einst Ecke Kärntnerstraße / Johannesgasse, heute ist nichts mehr davon zu sehen. Aber man hat sich für die Ausstellung die Mühe gemacht, in Zusammenarbeit mit der Universität für angewandte Kunst viele der berühmte Majolika-Fliesen neu zu gestalten und damit einen Eindruck zu geben, wie es dort aussah. Die Wiener Werkstätte hatte dort ein Gesamtkunstwerk geplant und auch gestaltet. Einst wurde viel darum herum gekrittelt, und heute gäbe man etwas darum, wenn Wien dergleichen noch hätte…

„Into the Night. Die Avantgarde im Nachtcafé“,
Unteres Belvedere und Orangerie,
Bis 1. Juni, täglich 10.00 bis 18.00 Uhr,
Freitag bis 21.00 Uhr

 

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