In der Ausstellung fotografiert, Wesemann
WIEN / Unteres Belvedere:
SÜNDE UND SECESSION
FRANZ VON STUCK IN WIEN
Vom 1. Juli 2016 bis zum 9. Oktober 2016
Zwischen Humor und Pathos
Kein Kunstfreund, der sich in München aufhält, lässt sich den Besuch der „Villa Stuck“ entgehen, das Historismus-Monument, das sich Franz von Stuck 1897 in der Prinzregentenstraße errichten ließ, die Villa eines (wenn auch mit damals Mitte 30 noch jungen) selbstbewussten Malerfürsten. Doch wird man dort im allgemeinen nur einen Bruchteil der Werke sehen, die das Belvedere nun in seiner Ausstellung „Franz von Stuck in Wien“ anbietet. Der wahre, das Publikum verlockende Titel lautet „Sünde und Secession“.
Von Heiner Wesemann
Foto: Belvedere
Franz von Stuck (1863-1928) Er war der Star, der aus dem Dorf kam. Tettenweis in Niederbayern, eine brav katholische Bauern- und Müller-Familie, ein Sohn (geboren am 23. Februar 1863), der schon als Sechsjähriger mit dem Zeichenstift seine Umwelt karikierte. Mit Karikaturen wird er, der 15jährig nach München geht und dort lebenslang bleibt, sich lange seinen Lebensunterhalt verdienen, ohne seine Ausbildung zu vernachlässigen. Der „Shooing Star“ Franz Stuck, später 1906 im heimatlichen Bayern geadelt (Ritter von Stuck), auch von Kaiser Franz Joseph (der vielleicht doch nicht so Kunst-unaffin war?) schon 1899 mit einem Orden ausgezeichnet, zählte zu den Mitbegründern der Münchner Secession, fünf Jahre früher immerhin, bevor sich die Wiener Secession formierte. Gleichzeitig ein „Skandalmaler“, dessen Werke vor allem durch erotische Implikationen schockierten, wurde er doch auch hoch gelobt und geschätzt. Stuck 32 (!), als er Professor an der Münchner Akademie wurde, und erhielt lebenslang zahlreiche internationale Ehrungen. Er war 65 und ein Star, als er am 30. August 1928 in München starb.
Die Beziehungen zu Wien Stuck startete früh. Er war noch Student, als er 1882 für den Verlag Gerlach & Schenk zu dessen graphischem Mappenwerk „Allegorien und Emblemen“ zahlreiche Werke beisteuerte, dann noch 1886 desgleichen zu „Karten & Vignetten“. „Selten hat sich ein Illustrator die Gunst des Publikums so im Sturm erobert wie er“, hieß es damals von ihm. Als Maler bekam Stuck 1892 (in diesem wichtigen Jahr, als er auch die Münchner Secession mitbegründete) eine umfangreiche Personalausstellung im Wiener Künstlerhaus, und in der Folge war er faktisch sein Leben lang in Wien an Ausstellungen der Secession (dort auch noch in seinem Todesjahr), der Galerie Miethke oder einmal auch beim Hagenbund beteiligt. Die von Alexander Klee vorzüglich kuratierte Ausstellung im Belvedere stellt Ähnlichkeiten – sowohl im Inhalt wie in der Form – von München und Wien nebeneinander. Stuck und der um ein Jahr ältere Gustav Klimt haben nicht nur in der Plakatkunst ihrer jeweiligen Secession (Stuck schuf für München einen Kopf von Minerva / Pallas Athene, der Signet-Charakter bekam) oft verwandte, ähnliche Lösungen gefunden.
Spielplatz Mythologie, Bibel, Antike So reichhaltig die Ausstellung auch ist, mit berühmten Höhepunkten wie dem „Wächter des Paradieses“, die dem damals erst 26jährigen eine Goldmedaille eintrug, thematisch wird man hauptsächlich Stucks fast spielerischen Umgang mit Figuren der Mythologie begegnen, desgleichen mit der Bibel („Judith und Holofernes“, „Susanna und die beiden Alten“) und der mystischen Antike (Orpheus, Pallas Athene, Medusa, Helena, Prometheus). Vor allem die Fabelwesen, die bockfüßigen Faune, die Kentauren mit ihrem halben Pferdeleib haben es ihm angetan. Alexander Klee wies darauf hin, dass Stuck hier ohne Rücksicht auf Überlieferung durchaus frei mit dem Material umging – Kombinationen von Faun und Nixe gibt es an sich nicht, er hat sie vielfach, als Skizze, Statur, Ölbild, geschaffen: Hoch vergnüglich, wie die Nixe lachend den Faun an den Hörnern packt – damit sie allerdings auf seinen Schultern sitzen konnte, musste der Künstler ihren Fisch-Unterkörper zu zwei Flossen umgestalten… Dennoch sollte erwähnt sein, dass trotz malerischer Perfektion das eine oder andere Werk eindeutig in die Kitsch-Ecke gerückt ist.
Zwischen Humor und Pathos Der Humor, der sich in den Karikaturen von Stuck findet, hat immer wieder in sein Werk Eingang gefunden. Der „Putto mit Champagnerflasche“, die er öffnet und entsetzt aufzuschreien scheint, weil der Korken schon in der Luft schwebt, oder ein kleiner „Amor Triumphator“, der sich mit Helm, Schwert und entschlossener Miene lächerlich macht, sind da nur zwei Beispiele für viele. Scherze sind bei Stuck immer wieder gleichsam einprogrammiert. Auch die Wunderkammer- Objekte, die er schuf (und die in die Kunstkammern der Renaissance zweifellos Einlass gefunden hätten) scheinen von gewisser Ironie umweht. Am anderen Ende seiner Ausdrucksskala, die sich bis zu den großen Allegorien bewegt, herrscht dann neben farblicher Dunkelheit ein gewaltiges Pathos vor. Der weiß leuchtende Frauenkörper, Gesicht und Gewand ringsum in Düsternis, die Schlange kaum zu erkennen, für „Die Sünde“ (die einst Skandal verursachte), detto für „Die Sinnlichkeit“, wo sich die gewaltige Schlange noch viel provokanter um das weiße Fleisch windet, das Starren seiner Medusa oder seines Lucifer – da ist Erotik, Düsternis, Geheimnisvolles. Doch wie bei Klimt bietet Stuck stets eine so ausgefeilte Ästhetik, dass das Pathos nie lächerlich wird. Auch nicht, wenn gleich im ersten Raum eine Speer schwingende Amazone, überlebensgroß in Bronze, auf den Zuschauer zuzureiten scheint.
Landschaften und Porträts Es gelingt der Wiener Ausstellung, die Vielfalt von Stucks Können und Interessen auszuschreiten, mit seinen ebenfalls in düsteren Farben gehaltenen Landschaftsbildern, die gelegentlich den Expressionismus, auch sogar die Abstraktion zu streifen scheinen. Und mit seinen Porträts, wobei er gerade seine Tochter Mary liebend gern „verkleidet“ hat – als Spanierin, als Infantin, und wie sie auf einem roten Stuhl sitzt (der sich in der Ausstellung wieder findet), scheint Stuck fast à la Klimt zu malen. Die Schauspielerin Tilla Durieux erscheint als Circe viele Male reizvoller als sie in Wirklichkeit war – das Motto „Nur der Schönheit“ waltet bei den Frauengesichtern, keinerlei Provokation, wie sie sich in den Allegorien findet.
Hilfsmittel Fotografie Als hätte man parallel zur gleichzeitig laufenden Ausstellung „Inspiration Fotografie“ gedacht, kann hier am Beispiel von Franz von Stuck gezeigt werden, welche Rolle die Fotografie für seine Arbeit spielte. Und gerade am Beispiel von Tilla Durieux erweist sich, wie die Fotostudie der Circe dann von dem Bild übertroffen wird, nicht nur durch die Farbe, auch durch den Ausdruck, die Spannung. Das lässt sich auch anderswo beobachten, und dennoch wäre man ohne diese Fotos (die den Künstlern viele Skizzen „ersparten“, wenn es denn künstlerisch nicht ein Verlust ist, keine Skizzen zu besitzen) in dieser Ausstellung viel ärmer. Es gibt nämlich nicht nur Vorlagen zu sehen, sondern auch etwa viele zeitgenössische Fotos der Villa Stuck, wie sie sich zu Lebzeiten des Künstlers präsentierte. Der Historismus, der sich bei ihm mit Jugendstil und Symbolismus so unvergleichlich paart, hat sich in diesen Räumen materialisiert.
Unteres Belvedere
SÜNDE UND SECESSION. Franz von Stuck in Wien
Bis 09. Oktober 2016, täglich 10 bis 18 Uhr, Mi bis 21 Uhr