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DÜRERZEIT
ÖSTERREICH AM TOR ZUR RENAISSANCE
Vom 21. Oktober 2021 bis zum 30. Jänner 2022
Aus flach mach tief
Zu den Errungenschaften, die sich zwischen Gotik und Renaissance für die bildende Kunst auftaten, zählte die optische Perspektive. Gleichnishaft könnte man sagen, dass eine flache Welt tief wurde, und das in jeder Hinsicht. Jene Umbruchszeit, die man „rund um 1500“ an den Lebensdaten von Albrecht Dürer festmachen kann, thematisiert das Belvedere nun unter dem Titel „Dürerzeit“. Mit dem Fokus auf Österreich, das „am Tor zur Renaissance“ gezeigt wird. Eine inhaltlich breit aufgestellte, künstlerisch hoch ergiebige Schau im Oberen Belvedere.
Von Heiner Wesemann
Dürer und die anderen „Dürer“ ist ein Markenname, und Belvedere-Direktorin Stella Rollig gab es auf der Pressekonferenz gleich zu: Obwohl der 550. Geburtstag des Künstlers dazu einladen würde, ist es keine Dürer-Schau geworden (außerdem hat Klaus Albrecht Schröder 2019/2020 bereits eine spektakuläre Dürer-Großausstellung in der Albertina gezeigt). Es geht darum, wie sich dieses Kipp-Zeitalter in Österreich manifestierte. Ungeachtet dessen, dass er für Kaiser Maximilian gearbeitet hat, ist Dürer selbst nur auf seiner Italienreise kurz durch Österreich gekommen – Skizzen aus Tirol sind zu sehen. Die anderen waren seine großen Zeitgenossen – das „Österreichische“ daran liegt schon im Titel: Unter der Bezeichnung „Donauschule“ fasste man Künstler zusammen, die im heutigen Gebiet von Österreich und Südbayern tätig waren, also Albrecht Altdorfer, Lucas Cranach der Ältere, Jörg Breu der Ältere, Rueland Frueauf der Jüngere, Wolfgang Huber – sie alle sind mit Werken in der Ausstellung vertreten. Was sie einte ist die Form, die sie vom „Mittelalter“ abhob. Und die Namen, die man von ihnen kennt. Denn es war noch nicht lange her, da traten die Künstler hinter ihrem Werk zurück, die meisten blieben anonym. Allein an Dürer kann man das neue Selbstbewusstsein der Künstler messen, die sich durch ihre Werke behaupteten.
Die thematische Gliederung Die Belvedere-Ausstellung besticht durch ihre Übersichtlichkeit. Kurator Björn Blauensteiner hat thematische Schwerpunkte gesetzt, die das Kunstschaffen in voller Breite abdecken. Dazu gehört auch, dass alle Genres vertreten sind – Malerei, Graphik, Plastik (in Stein und in Holz, hochkomplizierte Meisterwerke), Medaillen und natürlich Altäre, denn weder die kirchliche Kunst noch die religiöse Thematik hatten an Gewicht verloren. Man hat Natur, Porträt, Antike, Perspektive und Expressives von Raum zu Raum als Kulminationspunkte gewählt.
Zwischen Gotik und Renaissance Wenn sich im ersten Zimmer Gemälde von Kaiser Maximilian I. (Ambrogio de Predis, aus dem Kunsthistorischen Museum) und seinem Enkel Erzherzog Ferdinand (von Hans Maler, auch KHM) finden, der später als Ferdinand I. die österreichischen Erblande der „Casa Austria“ beherrschen würde, ist auch familiengeschichtlich das Feld zwischen dem „Letzten Ritter“ und dem Kaiser einer neueren Zeit ausgemessen.
Natur Noch war Natur nicht der absolute Selbstzweck, noch gab es keine „Landschaftsmalerei“ an sich (abgesehen vom Beispiel Dürer natürlicih), aber die Landschaft nahm vor allem in der religiösen Malerei immer größeren Raum ein, oft ausführlicher als die dargestellte „Menschen“-Szene. In Albrecht Altdorfers „Enthauptung der Heiligen Katharina“ ist der bedrohliche Wald fast stärker als die im Vordergrund kniende Heilige und trägt viel zur Stimmung des Bildes bei.
Porträt Als besonders ergiebig erweist sich das Genre des Porträts, weil es sich damals auch wohlhabende Bürger leisten konnten, sich selbst und ihre Familienangehörigen malen zu lassen. Jakob Seisenegger, berühmt für seine Darstellungen von Karl V. und Mitgliedern der kaiserlichen Familie, malte auch „Bürger“. Ein Kaufmann ließ sich von Marx Reichlich auch mit der Wachstafel in der Hand porträtieren, wo er vermutlich seine Gewinne verzeichnete. Der Individualismus griff um sich.
Religiöse Kunst Die vom Thema her klassische religiöse Kunst ist in jedem Abschnitt zu finden, großartige Altäre und Statuen, Gemälde mit den Themen aus der Passion und der Heiligengeschichte. Es fällt auf, dass man hier krasser geworden ist – einen Höhepunkt bedeutet ein Leichnam Christi, vernutlich geschaffen von dem „Meister von Mauer“ um 1498, von beeindruckender Realistik, ein Toter mit geöffnetem Mund. Spürbar expressiver, stärker sind die Gemälde geworden, die Getragenheit vor goldenem Hintergrund wich weit größerer Bewegtheit.
Maler benützten auch klassische Themen, um neue Errungenschaften auszuprobieren – man hat den Eindruck, der erwähnte Marx Reichlich habe sich in den ausgestellten Altarbild „Heimsuchung“ weniger für die frommen Damen als für die Details der Perspektive interessiert, mit denen er dem Bild durch Häuser und Arkaden Tiefe verlieh.
Überblick im Katalog Bei nur einem Besuch kann man den 120 Werken, die sich im Oberen Belvedere ausbreiten, nicht gerecht werden. Hilfreich ist der Katalog, von Stella Rollig als „Standardwerk“ bezeichnet und tatsächlich vorbildlich in Aufbau, Inhalt, graphischer Gestaltung und Druck. Darüber kann man noch viele zusätzliche Stunden verbringen.
Belvedere / Oberes Belvedere:
Dürerzeit
Österreich am Tor zur Renaissance
Bis zum 30. Jänner 2022, täglich 10 bis 18 Uhr