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WIEN/ Amtshaus Wieden: LA TRAVIATA

25.06.2012 | KRITIKEN, Oper

WIEN / AMTSHAUS WIEDEN: LA TRAVIATA am WA 19.6.2012


Sabina Zapior, Hristofor Yonov. Foto: Klaus Billand

Nach einer nicht zuletzt aufgrund ihrer Unkonventionalität eindrucksvollen Wiener Variante des „Liebestrank“ von G. Donizetti (siehe weiter unten) gab der Wiener Kulturverein Passion Artists eine Wiederaufnahme von Verdis „La Traviata“ aus dem Vorjahr und feierte mit dieser Aufführung seinen 3. Geburtstag. Nicht nur wegen der Dramatik des Stücks war also dieser Abend von vielen Emotionen geprägt, die insbesondere die Intendantin und Obfrau des Vereins, Sabina Zapior, wieder aufs Beste zu transportieren wusste. Sie war mit ihrem Regie-Berater Arno Aschauer für Idee, Konzept und Regie zuständig und spielte die Hauptrolle gar selbst – größere Personalunion auf der Opernbühne ist wohl kaum denkbar… Zapior hat die Violetta schon mehrfach in Italien gesungen, nachdem sie im Februar 2011 einen Wettbewerb gewonnen hatte (Ferrara, Buscoldo, Pavia, Trentino).

Das Klein Wien Trio, bestehend dem Pianisten und seinem Musikalischen Leiter Jacek Obstarczyk sowie zwei Geigern (Jacek Stolarczyk und Krzysztof Kokoszewski) war wieder für die Musik zuständig. Man glaubt gar nicht, wie viel von der wunderbaren Musik Verdis und ihren Stimmungen durch nur drei Musiker zum Ausdruck gebracht werden kann, wenn gleichzeitig ein intensives Bühnengeschehen zu erleben ist, welches akzentuiert die persönlichen Schicksale, Zwänge, Träume und Enttäuschungen der Protagonisten zeigt.

Wieder mit wenigen, aber umso ausdrucksstärkeren szenischen Mitteln und einem Spiel zwischen Rot (die Liebe Violettas und Alfredos) und Schwarz (die Gegner dieser Liebe, Germont und die „feine Gesellschaft“) möchte das Regieteam anhand dieser Liebesgeschichte zeigen, was aus einer Konfrontation von echten Gefühlen mit einer Welt ohne Gefühle wird. Sie wollen eine Gesellschaft zeigen, in der die Menschen zu blind und egoistisch sind, um aufeinander zu achten, in der emotionale Zuneigung als Schwäche ausgelegt und Individualismus nicht geschätzt wird. Dieses Regiekonzept ist klar erkennbar und vollzieht sich mit wachsender Intensität und immer tragischer werdender Schicksalhaftigkeit an der Person Violettas bis zum bitteren Ende. Sie wird in einer Art Wedekindscher Lulu nach der anfänglichen Begehrtheit immer mehr zum Spielball einer Gesellschaft, die all ihre Schwächen, Komplexe und Begierden auf sie projiziert. Sie, die als einzige wirklich mit all ihren Kräften liebt, muss daran jämmerlich zugrunde gehen und sinkt am Ende tot in die Arme Alfredos, während sich alle anderen von der Szene abwenden.

Zuvor hat die Polin Sabina Zapior mit einem unglaublichen und bis an physische Grenzen gehenden darstellerischen Engagement den Abstieg Violettas vorgeführt, von der lebensfrohen eleganten schönen Frau im langen roten Gesellschaftskleid bis zur Ausgegrenzten in schwarzem, abgerissenem Outfit, die nur noch einmal kurz aus ihrer tiefen Depression erwacht, bevor sie endgültig vergeht. Im Spiegel, in den sie dabei immer öfter schaut, sieht sie diese „feine Gesellschaft“, die ihr den Abstieg beschert, und in ihm soll sich diese spiegeln, die in Form des Wiedener Publikums um die offene Szene herumsitzt. Zapior kann in dieser Rolle noch mehr als Adina im „Liebestrank“ zeigen, dass sie ein ausgesprochen dramatischer Koloratursopran ist, mit einer warmen Timbrierung in der Mittellage. Sogar die Koloraturen weiß sie dramatisch auszudrücken, wobei ihr eine blendende Höhe zugute kommt, die sie zudem auch lange halten kann. Die Sängerdarstellerin ist sehr musikalisch, lebt die Rolle so, als sei sie Violetta auch in der Realität. Jeder Ton und jede Aktion wirken aus einer tiefen Empathie für die Rolle und das Schicksal der Figur heraus – ein absolutes Bühnenvieh! Die Auseinandersetzung mit Germont und die späteren mit Alfredo werden so zu Höhepunktenn des Abends. Der Bulgare Hristofor Yonov ist ein intensiver Alfredo mit schön baritonal grundiertem Timbre und kräftiger Stimme, vielleicht schon etwas zu dramatisch für die Rolle. Allein, in der Höhe neigt der Tenor zu einer gewissen Verengung, lässt bisweilen ein leichtes Näseln hören. Bei lang gehaltenen dramatischen Höhen kommt es auch zu leichten Intonationsschwankungen. Darstellerisch ist Yonov sehr überzeugend, wenngleich die amourösen Momente etwas mehr Subtilität vertragen hätten. Koichi Okugawa ist ein nachdrücklicher Germont mit einem lyrisch timbrierten Bariton, der sich nicht recht öffnet, aber eine gute Höhe hat. Da wäre weitere Arbeit an der Technik sicher von Nutzen, zumal der Sänger sehr musikalisch zu sein scheint. Magdalena Kaleta als Anina rundet das gute Sänger-Ensemble mit ihrem wohl klingenden Sopran und akzentuiertem Spiel ab. Katharina Kobelkoff als Grenvil schildert als Sprecherin von Zeit zu Zeit den Gang der Handlung in traurigen Tönen. Einige Schauspieler geben als Statisten die am Pranger stehende „feine Gesellschaft“.

Auch dieser zweite Abend hat eindrücklich gezeigt, dass der Verein Passion Artists ist mit seinem Ensemble auf dem richtigen Weg ist und weiterhin die volle Unterstützung der Wiener Gemeindebezirke verdient. Weitere Projekte sind schon in Planung für den kommenden Herbst.

(Fotos in der Bildergalerie)

Klaus Billand

 

 

 

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