WIEN / AlbertinaModern:
AI WEIWEI
In Search of Humanity
Vom 16. März 2022 bis zum 4. September 2022,
Kunst ist Weltanschauung
„Jedes Stück in der Ausstellung hat seine Geschichte“, sagt Ai Weiwei angesichts der Präsentation seiner Werke in der AlbertinaModern. Klaus Albrecht Schröder hat diese Ausstellung als ein „Lieblingsprojekt“ bezeichnet und in Superlativen agiert: Noch nie stand Ai Weiwei so viel Raum zur Verfügung, und noch nie wurde dermaßen sein Gesamtwerk präsentiert. Übersichtlich gegliedert, werden Leben, Themen und politische Anliegen des Künstlers klar, der sich bei der Pressekonferenz den Wiener Partnern gegenüber sehr dankbar zeigte. Selbst, wer seine Arbeiten in den letzten Jahrzehnten verfolgt hat, wird Neuem, noch nie Ausgestelltem begegnen.
Von Renate Wagner
Ai Weiwei Geboren am 28. August 1957 in Peking, erlebte Ai schon in seiner Kindheit alle Grausamkeiten politischer Willkür. Da sein Vater als Regimekritiker galt, lebte die Familie unter erbärmlichen Bedingungen in der Verbannung, während die Kulturrevolution die künstlerischen und geistigen Werke des Landes zu zerstören suchte. Nach Maos Tod 1976 kam Ai als junger Mann nach Peking zurück, wo er an der Filmakademie studierte und sich in der dortigen Kunstszene umtat. Filmen und Fotografieren wird für ihn zeitlebens ein zentrales Ausdrucksmittel sein. 1991 kam er zum Studium in die USA, nach New York, und erlebte eine gänzlich neue Welt mit Kunstströmungen, die ihn tief beeinflussten. Zwölf Jahre später, 1993, kehrte er nach China zurück, das zwar die Wende vom Kommunismus zum Kapitalismus, aber nicht zu einer freien Gesellschaft vollzogen hatte: 1994 findet das Tian’anmen-Massaker statt, die brutale Ermordung der Demonstranten. Neben seinen Aktivitäten als Künstler gingen jene der Regimekritik einher, u.a. mit den zeitgemäßen Mitteln der Digitalisierung (u.a. ein Blog).
Ununterbrochen Schikanen ausgesetzt, etwa als er die Regierung nach dem Erdbeben in Sichuan der Korruption und des Mordes an Schulkindern beschuldigte (sie wurden verschüttet und getötet, weil man die Schule aus minderwertigem Material gebaut hatte), wurde er 2011 verhaftet. Längst international, verbrachte er 81 Tage totaler Unsicherheit, was mit ihm weiter geschehen würde, im Gefängnis. 2015 wurde es ihm endlich ermöglicht auszureisen. Ai Weiwei verließ China und ließ sich in Berlin nieder, wo er sofort die Flüchtlingswelle erlebte, die ihm zum künstlerischen und humanen Thema wurde. 2016 widmete ihm die damalige Belvedere-Chefin Agnes Husslein eine Ausstellung im 21er Haus und den Gärten des Belvederes, wo er u.a. über tausend Schwimmwesten von Flüchtlingen im Teich ausstellte. Ebenso baute er eine chinesische Ahnenhalle auf – sein Bekenntnis zur chinesischen Tradition, sein Bedürfnis, hier zu retten und zu bewahren, was auch in der AlbertinaModern nun eine so große Rolle spielt. Die letzten Jahre verbrachte Ai Weiwei in Cambridge und zog anschließend nach Portugal.
Konzepte und Schwerpunkte Die Wiener Ausstellung, kuratiert von Dieter Buchhart und Elsy Lahner, geht weitgehend chronologisch vor, beginnt mit jenen Bildern, mit denen sich Ai Weiwei Mao „von der Seele malte“, und setzt Schwerpunkte zu einzelnen Themen – etwa jene Fahrräder, die für China, das Land der Miliarde Menschen, charakteristisch waren. Vordringlich sind es Objekte, denen Ai Weiwei als Gestalter ihre Aussagekraft gibt – Alltagsgegenstände, Fotografien, Objekte bieten Streiflichter auch auf Gefühle, er schreibt „Fuck“ an die Wand und zeigt den Stinkefinger, übermalt alte chinesische Gegenstände mit dem CocaCola-Zeichen und dokumentiert so die Verdrängung des Alten, setzt Zerstörtes wieder zusammen.
Die Toten und der Gefangene Einzelnes beeindruckt besonders. In einem Raum hängt jene „Schlange“, die Ai Weiwei aus den Schultaschen der getöteten Kinder von Sichuan gestaltet hat, riesig von der Decke. Unten befinden sich jene Szenen, die er in sechs schwarzen „Boxen“ gestaltet hat, in die man nur durch Schlitze Einblick gewinnt: Darin ist in Originalgröße Ai Weiwei in verschiedenen Situationen im Gefängnis dargestellt. In einer Vitrine liegen Handschellen.
Ähnlich frontal in das Bewusstsein und die Gefühlswelt des Betrachters bohren sich die Flüchtlingsbilder – aber auch, was ein Konzeptkünstler daraus macht, wenn er Schwimmwesten um eine Kristallkugel drapierte und plötzlich die Katastrophe mit rätselhafter Ästhetik darstellt. Ein Metalltor mit riesigen Einschusslöchern hat man schon zu Beginn der Ausstellung gesehen – Symbol für die Vertreibung derer, die einst dahinter lebten. Und ein Panda ist bei Ai Weiwei nicht das liebenswürdige Tourismus-Symbol, sondern ein Behälter, in dem er geschredderte Kopien von geleakten Dokumenten versteckt.
Rem(a)inders – die chinesische Kultur Remain und remind, bleiben und erinnern, setzt Ai Weiwei zusammen, wenn er sich jener chinesischen Kultur verpflichtet fühlt, die von Maos Kulturrevolution zerstört wurde. Auf Flohmärkten und in Antikengeschäften hat er „Reste“ der einstigen Werke gekauft und bearbeitet. Da legen fragmentarisch Möbelstücke, die er neu zusammen gesetzt hat, weggeworfene Ziegel, Holzstücke aus Tempeln, alte Keramik, in der sich symbolstark teilweise Staub befindet. Viele Dinge, wie etwa die aus Porzellan nachgebildeten Sonnenblumenkerne, würde man auf Anhieb nicht verstehen, aber die Ausstellung ist sehr gut beschriftet. Am „chinesischsten“ fühlt man sich in jenem Saal, wo die chinesischen Tierkreiszeichen als vergoldete Köpfe aufgestellt sind, die Ai Weiwei nach alten Vorbildern neu geformt hat. Außerdem sind sie in grellbunten, mit vielen Verweisen (die Hintergründe!) gestalteten Lego-Bilder an der Wand zu sehen, wie immer sein Kommentar zum vorgegebenen Material.
AlbertinaModern:
AI WEIWEI
In Search of Humanity
Vom 16. März 2022 bis zum 4. September 2022,
täglich 10 bis 18 Uhr