WIEN / Albertina / Propter Homines Halle:
MODIGLIANI
REVOLUTION DES PRIMITIVISMUS
Vom 17. September 2021 bis zum 9. Jänner 2021
Sie nannten ihn einen „Prinzen“…
Die Albertina hatte ihre Großausstellung für Amadeo Modigliani akkurat zum 100. Todestag 2020 geplant. Die Pandemie hat nicht zuletzt den weltweiten Leihverkehr der Museen lahm gelegt, der für die Ambitionen von Klaus Albrecht Schröder notwendig war. Mit einjähriger Verspätung ist die Ausstellung, die Leihgaben buchstäblich aus aller Welt versammelt, mit 128 Werken nun zu sehen. Neben 80 von Modiglianis eigenen Bildern, Zeichnungen und Skulpturen werden Zeitgenossen ebenso heran gezogen wie Beispiele der Kunst der Dritten Welt, die für ihn eine große Rolle spielten. Tatsächlich ist hier die bisher größte Modigliani-Ausstellung in Europa geglückt.
Von Heiner Wesemann
Amadeo Modigliani Geboren am 12. Juli 1884 in Livorno in eine wohlhabende, assimilierte jüdische Familie, war Modigliani von Kindheit an von Krankheiten verfolgt. Im Lauf seines Lebens führten Drogenmissbrauch und schließlich offene Tuberkulose zu seinem tragisch frühen Tod 35jährig am 4. Januar 1920 in Paris. Dort lebte und arbeitete er seit 1906. Pablo Picasso und Constantin Brâncuși zählten zu seien Künstlerfreunden, die ihn förderten und schätzten. Anfangs vor allem als Bildhauer tätig, wandte sich Modigliani ab 1914 der Malerei zu. Dabei setzte er die Prinzipien der Abstraktion, Verfremdung und Konzentration aufs Wesentliche, denen er bei seinen Skulpturen gefolgt war, auch in seinen Gemälden um. Er erregte mit seiner unromantischen Darstellung nackter Frauen zwar Skandal, ohne dass er es zu Lebzeiten je zu jenem Ruhm und der Anerkennung gebracht hätte, die ihm heute zuteil werden. Seine Freunde wussten, was sie verloren hatten: Als sie ihn zu Grabe trugen, begruben sie nach eigener Aussage einen „Prinzen“….
Marc Restellini und Klaus Albrecht Schröder bei der Pressekonferenz
Immer hinter Picasso Kurator Marc Restellini, der auch das Werkverzeichnis der Gemälde Amadeo Modiglianis betreut, hatte für diese Ausstellung ein besonderes Anliegen. Bis heute steht Modigliani im Schatten seines Kollegen, des versatilen Pablo Picasso, Gerade darum ist die Wiener Schau mit Werken gerade von Picasso, aber auch anderen Zeitgenossen angereichert – um die Unverkennbarkeit des „kühlen“ Werks des italienischen Intellektuellen zu zeigen.
Modilgiani und Picasso 1916 am Montparnasse
Dass Picasso einfallsreicher war und viel geschickter, indem er sich im Lauf seines Lebens experimentierfreudig immer neu erfand, kann dabei natürlich nicht bestritten werden. Allerdings wurde Picasso 91 Jahre alt, hatte also ungleich mehr Lebens- und Schaffenszeit zur Verfügung.
Picasso, Rivera, Soutine gemalt von Modigliani
Von keiner Konvention beengt Modigliani malte – Menschen. Ausschließlich. Er interessierte sich nicht für Landschaften, für Genrebilder, für Stilleben (ganz, ganz wenig davon ist von ihm bekannt), nur für Gesichter und Formen, die er auch vorgezeichnet hat, als Studien für seine Figuren. Wenn er auch zumeist Frauen malte und nie „im Auftrag“, so kamen doch seine Malerfreunde unter seinen Pinsel – Pablo Picasso, Diego Rivera, Chaime Soutine. Nichts, was die Konvention von einem Porträt erwartet, ist hier zu finden, obwohl man bei diesen Bildern das Gefühl hat, es stecke der Versuch dahinter, das Wesen der Dargestellten zu erfassen.+
Porträts und die leeren, traurigen Augen Modiglianis Frauenbilder zeigen zweifellos „echte“ Vorbilder, manche kommen auch in verschiedener Form wieder. Aber es ist ihnen eine gewisse Steifheit zueigen, Verfremdung wie durch einen leichten Zerrspiegel. Die Köpfe oft leicht gebeugt, die Hände oft gefaltet. Im Grunde steif. Jedenfalls unverwechselbar. Vor allem entdeckt man eine Traurigkeit, die aus den leeren Augen spricht.
Die gar nicht erotischen Nackten So wenig Modigliani bei seinen Frauenporträts irgendwelche Attribute weiblicher Attraktivität gelten lässt, so wenig sind seine Nacken erotisch. Denkt man an analoge Darstellungen bei Rubens, bei Renoir, wo nackte Frauenkörper zweifellos auch darauf hinzielten, im Betrachter ein gewisses Interesse zu erwecken, so sitzen und vor allem liegen sie da in schöner Gleichgültigkeit. Dass Modigliani weibliches Schamhaar malte, wurde zum Skandal. So weit wie Schiele ist er allerdings nie gegangen.
Die „primitiv“ reduzierten Köpfe Bei der Pressekonferenz der Ausstellung wurde das Gespräch beinahe hitzig, als man dem Direktor vorwarf, mit dem Untertitel „Revolution des Primitivismus“ ein Wort zu gebrauchen, das heutzutage nicht mehr „korrekt“ ist. Niemand würde sagen, dass die Kunst der Dritten Welt im geringsten „primitiv“ ist. Der Terminus war damals, in sprachlich unschuldigeren Zeiten, auch nicht abwertend gemeint. Schröder versicherte glaubhaft, dass nicht nur Modigliani, auch Picasso und die anderen Künstler, die sich an afrikanischen Masken und kykladischen Statuen begeisterten, diese Kunst nie als minderwertig sahen, sondern im Gegenteil, als hoch inspirierend. Sie begegneten den unbekannten Künstlern dieser Welt mit Respekt auf Augenhöhe. Dass man in Wien mehrere abstrahierte Skulpturen Modiglianis zeigen kann, der ja die Bildhauerei gesundheitsbedingt dann zu Gunsten der Malerei aufgegeben hat, gilt als Sensation. Im übrigen sind Originale vom Kongo bis Kambodscha eine schlechtweg faszinierende Ergänzung.
Sensation sucht Publikum Die Ausstellung ist in ihrer Fülle und auch in der Konfrontation Modiglanis mit den Zeitgenossen sensationell. Die Hoffnung, es könnte bis zu einer halben Million Besucher geben wie in den Goldenen Zeiten jenseits der Pandemie, ist illusorisch. Auf 200.000 Besucher hofft man immer noch. Möge sich der Reiseverkehr lockern – für den Ausstellungs-Tourismus ist diese Schau hoch geeignet.
Albertina:
Modigliani. Revolution des Primitivismus
Bis 9. Januar 2022 , täglich 10 bis 18 Uhr