WIEN / Albertina Modern:
THE BEGINNING
Kunst in Österreich 1945 bis 1980
Vom 27. Mai 2020 bis zum 15. November 2020
Als alles neu begann
Das Plakat zeigt einen Mann im bunten Anzug und mit grünen Schuhen (Robert Klemmer ist sein Schöpfer). Er hat dem Betrachter den Rücken zugekehrt – und läuft. Wohin? In die Zukunft vermutlich. So, wie die Künstler sich diese Zukunft in jenem Jahr Null, das der Zählung nach 1945 hieß, wünschten und schufen.
„The Beginning“ heißt die erste Ausstellung der ALBERTINA MODERN im Künstlerhaus, und es ist ein Beginn in vieler Hinsicht. „Wien hat nun – wie es das in anderen Städten längst gibt, denken wir an die Tate Modern in London oder das Museum Reina Sofia in Madrid – ein eigenes Haus für die eigene Moderne“, sagt Klaus Albrecht Schröder. Einziger Wermutstropfen: Dass er durch die Corona-Krise seine ALBERTINA MODERN nicht so international präsentieren kann, wie er es erhofft hat. Aber es werden bessere Zeiten kommen.
Von Heiner Wesemann
Das Haus Die Geschichte ist mittlerweile oft erzählt worden. Wie der Industrielle Hans Peter Haselsteiner Klaus Albrecht Schröder fragte, welche Vision er für die Sammlung Essl hätte, die der Albertina zugeschlagen worden war. Schröder träumte von einem eigenen, repräsentativen Haus für Gegenwartskunst. Das Künstlerhaus, ein Ringstraßen-Juwel aus dem Jahre 1865, rottete und tümpelte vor sich hin (nicht nur in der Bausubstanz, aber das ist ein anderes Thema). Haselsteiner investierte ein Vermögen, um das Gebäude im alten Glanz wieder auferstehen zu lassen, inklusive aller modernen Anforderungen an ein Museum von heute. Für Schröder war auch wichtig, hier einen „Exorzismus“ vorzunehmen. Dass dieses Künstlerhaus im Zuge seiner wechselnden Geschichte auch ein Nazi-Hort gewesen ist, kann mit den Kunstwerken der Moderne gewissermaßen „gesäubert“ werden. Auch Kunst, ja gerade Kunst bewegt sich nie außerhalb der Politik. Nun wird auf 2000 Quadratmetern im Erdgeschoß und im Untergeschoß Kunst ab 1945 gezeigt (man nimmt es nicht als negatives Zeichen, dass viele Damen, voran Valie Export, „nach unten“ verbannt wurden).
Die Sammlung und das Konzept Die Albertina besitzt aus eigenen Beständen sowie mit der Sammlung Essl und durch zahlreiche Schenkungen rund 60.000 Werke von 5.000 Künstlerinnen und Künstlern der Moderne. Schröder hat mit seinen Mitarbeitern für dieses Projekt (Dr. Brigitte Borchhardt-Birbaumer, Dr. Elisabeth Dutz, Dr. Berthold Ecker, Dr. Antonia Hoerschelmann und Dr. Angela Stief) nun das Konzept für den „Anfang“ des neuen Museums gefunden. Das Ende des Krieges war eine Stunde Null – und eine Fanfare zu einem neuen Anfang. Man wählte mit wenigen Ausnahmen jene Künstler, die 1945 wirklich „jung“ und „neu“ waren. Das bedeutete, viele große Namen, die in der Nachkriegszeit noch schaffend tätig waren, nicht zu berücksichtigen – von Wotruba bis Kokoschka, von Gütersloh bis Boeckl. Alle berühmt und wichtig, aber alle gewissermaßen rückwärts gewandt: „Sie meinten, man müsse den Nationalsozialismus ausblenden und dort weitermachen, wo man früher gestanden hatte.“ Schröder und seine Mitarbeiter wählten vielmehr jene Künstler, die in die Zukunft blickten – und das in aller Radikalität.
Die Umwertung der Werte Grundsätzlich interessant ist bei dem so weit gespannten Blick in die Vergangenheit, wie sich die Maßstäbe änderten. Wer hatte nach dem Krieg schon Verständnis dafür, dass Rudolf Hausner in seinen „surrealen“ Bildern das ganze verzweifelte Innenleben seines „Adam“ nach außen stülpte? Und wie berühmt und teuer sind er und seine Kollegen als „Phantastische Realisten“ (Ernst Fuchs, Anton Lehmden, Wolfgang Hutter und Arik Brauer) dann geworden! Wie ablehnend und verständnislos stand man einer Valie Export gegenüber, die man nun, zu ihrem „Achtziger“ nicht genug ehren kann? Wie lange hat es gedauert, bis die „Umstrittenen“ – ob Lassnig, ob Nitsch, ob Rainer – in die Museen der Welt einzogen? Wobei Klaus Albrecht Schröder im Grunde bedauert, dass es mehr und mehr der Kunstmarkt ist, der den „Wert“ der Künstler bestimmt – dass sich bei Auktionen erzielte Preise dann gewissermaßen als künstlerische Rangerhöhung werten lassen… Immerhin, indem sich in einem Dreiviertel-Jahrhundert bis heute so viel gedreht und gewendet hat, kann die ALBERTINA MODERN mit einer großen Zahl teils auch international berühmter Namen aufwarten. Dass man auch Unbekannten begegnet, ist eine interessante Überraschung.
Ein Spaziergang durch Vorstellungswelten Es gibt, wie Klaus Albrecht Schröder betont – keine „österreichische Avantgarde“. Es gibt viele. Gleichzeitig haben sich die verschiedensten Formen der Kunst entwickelt, einzelne Gruppen (etwa rund um die Galerie Würthle, rund um die Galerie St. Stephan) nebeneinander, unabhängig und entsprechend vielfältig. So geht auch die Ausstellung vor, die jeder Entwicklung ihren Raum zuteilt, beginnend mit den „Phantasten“ in ihren Anfängen. Nach einer Welt, die alles, was nicht peinlich realistisch war, abgelehnt hatte, musste die Abstraktion explodieren, und sie tat es. Ein Kosmos für sich war Hundertwasser, stilbildend, aber keinesfalls so gefällig, wie er später vermarktet wurde. Der Wiener Aktionismus zerstörte Körper und stellte die Frage nach dem Menschen ganz neu, radikal und gnadenlos. Dunkel sind die Welten von Arnulf Rainer, rabenschwarz die Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus, die sich in vieler Form finden. Das ist Art Brut mit seiner ungeheuren Kraft. Wütend waren die Frauen – und sehr viel bunter Humor erwartet den Betrachter im Untergeschoß, wenn die österreichische Spielart der Popart ironische Kapriolen schlägt, sich schamlos lästerlich auch an „heiligen Werten“ vergreifend.
Der Katalog Der Katalog ist nicht nur gewaltig an Größe, Schwere und Umfang, sondern auch an Inhalt, mit einer Abbildung der Werke und hervorragenden Fachartikeln. Besonders bemerkenswert am Ende: die Chronologie, zusammengestellt von Brigitte Borchhardt-Birbaumer, wo das angesprochene Phänomen der Gleichzeitigkeit verfolgt werden kann. Schade nur, dass ein tabellarisches Verzeichnis der Künstler und ihrer ausgestellten Werke fehlt.
ALBERTINA MODERN im Künstlerhaus
THE BEGINNING
Kunst in Österreich 1945 bis 1980
Vom 27. Mai bis 15. November 2020
Täglich von 10 bis 18 Uhr