WIEN / Albertina:
MAX ERNST: RETROSPEKTIVE
Vom 23. Jänner 2013 bis zum 5. Mai 2013
Der sich stets neu erfand
Max Ernst (1891-1976) ist einer der „Parade-Künstler“ des 20. Jahrhunderts. Zu seinem Ruhm hat auch seine Schwierigkeit, Vielschichtigkeit und Unangepasstheit beigetragen. Er war ein Künstlerleben lang dem Experiment verpflichtet, was eine so breit angelegte Retrospektive wie jene der Albertina besonders deutlich macht. Wenn man lange Zeit durch die Kahn-Galleries des Hauses wanderte, um eine Ahnung der 180 ausgestellten Werke in sich aufzunehmen, bleibt als Erkenntnis: Hier schuf ein Künstler mit unendlicher Phantasie seine ureigensten Welten.
Von Heiner Wesemann
Zwischen Kontinenten und Beziehungen Max Ernst, geboren 1891 in Brühl bei Köln, verstorben 1976 in Paris, hat ein „Künstlerleben“ geführt wie wenige. Schon in seinen frühen Jahren in Deutschland bewegte sich der Mann, der das „Malen“ an sich nie gelernt hat, in den „besten Kreisen“ seiner Zeitgenossen. Ganz früh erwischte er mit seinem Werk noch einen Zipfel des Expressionismus, war aber gleich nach dem Ersten Weltkrieg schon in seiner Heimat an der Gründung der Kölner Dada-Gruppe beteiligt. Dada hat er sich dann auch in Frankreich, nach seiner Übersiedlung nach Paris 1922 angeschlossen. Die Bereitschaft von Max Ernst, immer wieder neu anzufangen, nicht nur künstlerisch, auch räumlich und beziehungsmäßig, war grenzenlos. Er wurde zum Surrealisten, entwickelte aber vor allem individuelle Collagetechniken in den verschiedensten Formen. Der Zweite Weltkrieg vertrieb ihn aus Europa, in den USA wurde die berühmte Peggy Guggenheim seine dritte Ehefrau. Mit der vierten, der Malerin Dorothea Tanning, kehrte er 1953 nach Europa zurück und erhielt (nach der deutschen und amerikanischen, nun die französische) seine dritte Staatsbürgerschaft. Er wurde hoch geehrt, mit Preisen ebenso wie schon zu Lebzeiten mit zahlreichen Retrospektiven seines Werks. Max Ernst starb ausgerechnet in der Nacht zu seinem 85. Geburtstag.
Psychologie, Psychiatrie, Freud „Bevor er hinabsteigt, weiß ein Taucher nie, was er zurückbringt“, ist einer der zentralen Erkenntnis-Sätze von Max Ernst. Sein Studium der Psychologie und Psychiatrie verwies ihn in Richtung von Freud, auf das Unterbewusste, auf den Traum. Im Gegensatz zum „bewusst gestaltenden“ Künstler wollte er – parallel zum „automatischen Schreiben“ der Surrealisten – den schöpferischen Prozess aus den unbewussten Tiefen holen. Beziehungsweise Anregung „von außen“ benützen – daher sein Collage-Prinzip, das vorhandenes Material nach einer Art Zufallsprinzip neu zusammen fügte (wobei dann noch ein letzter Prozess als „Kontrollinstanz“ des Künstlers eingeschaltet wurde). Die Techniken, die Max Ernst entwickelte und die ihn vom konventionellen Malerpinsel wegführten, haben dann auch viele Kollegen beeinflusst – sein „zufälliges“ Malen des Oszillationsprinzips inspirierte beispielsweise Jackson Pollock zu seinem Drip-Painting. Max Ernst war in vielem ein Übervater der gesamten Moderne des 20. Jahrhunderts.
„Stillosigkeit“ als Konzept Ausstellungskurator Werner Spies erinnert sich an die Max Ernst-Ausstellung 2005 im Metropolitan Museum in New York, wo die Kritiker ratlos waren und dem Künstler „Stillosigkeit“ vorwarfen. Damit hatten sie aber sein ureigenstes Wesen ebenso erkannt wie seine lebenslange künstlerische Absicht. In unserer Welt ist das Konzept, „sich selbst zu finden“, für viele Künstler entscheidend. Für Ernst wäre das der Untergang gewesen. Nicht von ungefähr wird immer wieder folgender seiner Sätze zitiert: „Ein Maler ist verloren, wenn er sich findet. Dass es ihm geglückt ist, sich nicht zu finden, betrachtet Max Ernst als sein einziges Verdienst.“ Damit zog er es vor, ohne erkennbaren „Stil“ (der etwa den Surrealisten Dali so ungemein berühmt und auch kommerziell so erfolgreich gemacht hat) durch sein künstlerisches Leben zu gehen.
Der unmögliche Überblick „Retrospektive“ nimmt in Anspruch, eine Gesamtschau zu bieten. Werkgruppen setzen Schwerpunkte – die Welt der Bäume, Pflanzen, der Vögel, die ihm so wichtig waren. Verschiedene „Stile“ springen ins Auge, die manchmal Verwandtschaft mit Zeitgenossen (von Picasso bis Dali, von Miro bis de Chirico) ahnen lassen. Ein Hauptwerk wie „Vox Angelica“ von 1943 wird deshalb so geschätzt, weil hier, wie in einem „Kasten“, ein „Sammelsurium“ von Motiven vereint ist, die man letztendlich als „typisch“ für Max Ernst erachtet. Die Ausstellung bietet auch Beispiele seiner Skulpturen und Buchillustrationen.
Das Problem der Vielfalt Denn Vielfalt macht es der rezipierenden Umwelt natürlich auch schwer: Die auf Anhieb erkennbaren Künstler (ein Chagall ist ein Chagall und kann nichts anderes sein) leben in Harmonie mit der Kunstwelt. Max Ernst bleibt schwierig. Ob er als Surrealist eine Phantastik beschwört, die auf Grusel- und Horrorästhetik unserer Zeit vorausweist, ob er parodistisch die Elemente von Trivialliteratur noch trivialer macht, ob er gänzlich abstrakt oder Reales verformend verfährt – Max Ernst ist stets neu und ein anderer. Im Endeffekt erzählt die Albertina-Ausstellung von einem, der alles wollte und alles erreichte.
Bis 5. Mai 2013, täglich 10 bis 18 Uhr, Mi bis 21 Uhr