WIEN / Albertina:
MATISSE UND DIE FAUVES
Vom 20. September 2013 bis zum 12. Jänner 2014
„Wir sind frei!“
Man kann den Schock nachvollziehen, den die Besucher des Pariser Salons 1905 empfangen haben, als sie die Bilder einer Gruppe sahen, die in einem südfranzösischen Dorf malte: Da hielt man im Grunde noch am historisierenden, glatten Akademie-Stil fest, da hatte man sich vielleicht einigermaßen an die Impressionisten gewöhnt – und dann malten junge Leute in jeder Hinsicht so zügellos, dass man sie nur „Fauves“ – also „Wilde“ – nennen konnte. Als solche stehen sie heute in der Kunstgeschichte. Und die Albertina widmet ihnen eine ausführliche Ausstellung.
Von Renate Wagner
Treffpunkt Collioure Man muss sich die Situation zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorstellen. Der Aufbruch zum Neuen erfolgte allerorten, vor allem in der bildenden Kunst („Wien um 1900“ hatte da schon seinen Teil beigetragen), und Frankreich war immer das Zentrum für die Malerei. Wer in den „Salons“ ausstellen konnte, gehörte dazu. Neu und anders zu sein, bewegte wohl die meisten der jungen Künstler. Und dass man sich zeitweise irgendwohin in einer Kleinstadt niederließ, gehörte gewissermaßen zum Verhaltensschema. Henri Matisse (1869-1954) zog sich im Sommer 1905 zusammen mit dem um einiges jüngeren André Derain (1880-1954) in das Fischerdorf Collioure in Südfrankreich zurück. Später kamen andere Künstler dazu. Was sie einte, war die Tendenz, die man vielleicht unter dem Motto „Malen, wie wir wollen“ zusammenfassen kann. Nicht, wie man es gelernt hat, nicht das malen, was man sieht, keinerlei Gesetzen folgen, sondern einfach der momentanen Empfindung. Sehr farbig. Wild. Als im Herbst 1905 im Salon d’Automne die erst im Sommer entstandenen Bilder ausgestellt wurden und ein Aufschrei des Erschreckens durch die Szene ging, fand man für sie den Begriff „Fauves“ – die Wilden.
Henri Matisse: Die Dächer von Collioure André Derain: Collioure
Sturm gegen die Klassik Da die „Fauvisten“, wie man sie heute nennt, nicht mehr als drei Jahre zusammen blieben (was 1905 begann, zerstreute sich bereit 1908 in alle Winde), sind sie als Gruppierung nicht so effektvoll wie andere –ismen der Kunstgeschichte. Für Klaus Albrecht Schröder allerdings bedeuten sie die erste Avantgarde-Bewegung der Moderne und den Beginn jeder Ausdruckskunst: Was immer folgte, vor allem der Expressionismus, basierte auf der Grundhaltung der Fauvisten, sich von der Wirklichkeit abzukoppeln bzw. diese nur als „Futter“ für das Temperament und die Phantasie des Künstlers zu betrachten. Sie hatten, wie Schröder es nennt, die „Lizenz, gegen die Klassizität zu verstoßen“.
Kees van Dongen: Die Zigeunerin Raoul Dufy: Der 14. Juli in Le Havre
Matisse und die anderen Die Albertina-Ausstellung bringt ca. 160 Werke von (alphabetisch) Georges Braque, Robert Delaunay, André Derain, Kees van Dongen, Raoul Dufy, Othon Friesz, Henri Manguin, Albert Marquet, Henri Matisse, Georges Rouault, Louis Valtat und Maurice de Vlaminck, wobei man Leihgaben höchstrangiger Institutionen aus aller Welt bekommen konnte. Nicht alle Künstler sind gleich wichtig, aber es ist jedenfalls logisch, dass man Matisse auch in den Titel stellt: Schließlich ist er einer der größten Namen in der Kunst des 19. / 20. Jahrhunderts, einer, der wie Picasso auch immer weiter ging. Aber die „Fauves“-Bewegung war für ihn so essentiell wie für die anderen, die sich später mancher anderer Kunstrichtung zuwandten. Es gibt von Matisse in der Ausstellung nicht nur Genrebilder, Stillleben, Frauenbildnisse und Akte, Landschaften (wobei weder er noch die anderen sich herabgelassen haben, von Collioure niedlich-dörfliche Szenen zu malen), man sieht auch Zeichnungen und Plastiken, und er war es auch, der zuerst seinen Blick auf außereuropäische Kunst richtete und etwa afrikanische Masken und Statuen erwarb, deren Einfluss auf das eigene Werk unverkennbar ist.
Entdeckung Derain Aber es ist neben Matisse, den man ja nun doch kennt, vor allem André Derain, der in seiner unglaublichen thematischen und stilistischen Vielfalt Bewunderung erregt. Er malte auch jenes Bildnis von Matisse, das Plakat und Katalog der Ausstellung ziert (und ein anderes, das viel „wilder“ ist). Man – auch das gehörte dazu – porträtierte und malte einander in diesen Gruppen auch immer wieder, Matisse etwa Kollegen Marquet an der Staffelei, als dieser einen Akt malt… Es gibt auch ein Porträt von Derain von Matisse. Besonders eindrucksvoll sind Derains Bilder von London, wohin er von dem Kunsthändler Ambroise Vollard (der auch in Picassos Leben eine große Rolle spielte) geschickt wurde. Und tatsächlich, hatte Monet nicht lange davor ein in schimmernden Nebeln versinkendes London geliefert, so sprintete Derain mit wilden Farben und Formen darauf los, alle klassischen Errungenschaften der Bildkomposition ebenso missachtend wie reale Farben der Natur. Der Ausdruck des „Primitivismus“ mag gerade Derain, der manchmal wie einen Hauch von „naiver Malerei“ mitschwingen lässt, besonders oft getroffen haben. Seine Vielfältigkeit zeigt die Ausstellung nicht nur in Skulptur und bemalter Keramik, sondern auch in einem Riesenbett, das der Künstler mit Schnitzereien verzierte…
André Derain: Bett Maurice de Vlaminck: Chaville, l´Etang de l´Ursine
Der nichts verlernen musste Im Grunde ist jeder der vertretenen Künstler eigentümlich und interessant, Georges Rouault mit seiner Düsternis, Kees van Dongen mit seinen Frauenbildnissen, Raoul Dufy mit seiner Leichtigkeit, Georges Braque mit seiner Auflösung der Formen, aber es ist Maurice de Vlaminck, der immer wieder verblüfft, weil er es gewissermaßen schafft, noch „wilder“ zu sein als die anderen. Kunststück, war er doch Autodidakt und musste nicht erst „verlernen“, was man ihm auf Schulen beigebracht hatte, sondern malte einfach drauf los. Die Fauvisten haben der Kunstwelt ein „Wir sind frei!“ entgegen gerufen. An Vlaminck erlebt man es besonders stark.
Bis 12.Jänner 2014, täglich von 10 bis 18 Uhr, Mittwoch bis 21 Uhr.
Katalog