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WIEN / Albertina: GOTHIC MODERN

Wie modern ist die Gotik? Wie gotisch ist die Moderne?

20.09.2025 | Ausstellungen, KRITIKEN

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WIEN / Albertina / Propter Homines Rooms
GOTHIC MODERN
MUNCH, BECKMANN, KOLLWITZ
Vom 19. September 2025 bis 11. Jänner 2026

Wie modern ist die Gotik?
Wie gotisch ist die Moderne?

„Gothic Modern“ ist ein Begriff, der im Rahmen eines Arbeitskreises gefunden wurde. Er kombiniert die Kunst der Gotik mit jener der Moderne des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, sucht nach Inspirationen und Gemeinsamkeiten. Mit dem englischen Begriff „Gothic“ (schaurig, gruselig) hat das nichts zu tun, obwohl mehrere Räume der gleichnamigen Albertina-Ausstellung in Schwarz gehalten und düster beleuchtet sind. Auch dient ein Totenkopf mit Zigarette von Van Gogh als Signet der Ausstellung – also ein bißchen schaurig-gruselig doch, zumal die Künstler der Moderne  vom Mittelalter stark das Motiv des Todes übernommen haben…

Von Renate Wagner

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Schwere Zeiten     Ende des 19. Jahrhunderts, Erster Weltkrieg, Nachkriegszeit (die, wie wir heute wissen, eine tragische Zwischenkriegszeit war), Pandemien (etwa die Spanische Grippe, an der 1914 nicht nur Egon Schiele starb): Solche Lebensumstände färben auf die Menschen, die allgemeine Stimmung und natürlich auf die Kunst ab. Auf Künstler, die sich neu erfinden wollten – und doch auf die Vergangenheit zurück griffen. Nicht im Sinn des „akademischen“ Schaffens, nicht mit dem sehnsuchtsvollen, dem Schönen zugewandten Blick des Historismus, sondern auf elementare, tief greifende Themen und auch Darstellungsformen, die so sperrig waren wie jene, die das Mittelalter zu bieten hatte. Wo Tod und Elend allgegenwärtig waren, wo auch Kriege und Seuchen herrschten – allerdings ebenso eine Frömmigkeit, die verloren gegangen war.

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Ein großes Projekt     Ralph Gleis war noch Direktor der Alten Nationalgalerie in Berlin, als Kollegen aus Oslo und Helsinki mit der Idee an ihn herantraten, die Einflüsse mittelalterlicher Kunst auf die „Moderne“ des 19, / 20. Jahrhunderts aufzuspüren. Ein großes Unternehmen, das in einer Großausstellung mündete (gut 200 Werke von über 50 Künstlern mit vielen internationalen Leihgaben). Nur dass die dritte Station nach Oslo und Helsinki nicht Berlin war, denn Ralph Gleis ist bekanntlich an die Wiener Albertina gewechselt. Die Ausstellung ist mit internationalen Leihgaben reich bestückt, hat aber auch – durch die Partner – einen deutlichen „nordischen“ Schwerpunkt, der viel Interessantes erstmals bietet. Edvard Munch steht – neben Max Beckmann und Käthe Kollwitz – auch im Untertitel der Präsentation, als jene Namen, die zusätzlich Publikum anlocken sollen. Wobei für viele auch Dürer, Cranach oder Grien ein Anziehungspunkt sein mögen…

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„Gefühlte Parallelität“   Man kommt um die Formulierung von der „gefühlten Parallelität“, die Ralph Gleis gefunden hat, nicht herum. Bei Themenausstellungen kann vieles auch einfach Behauptung sein, auch wenn es etwa auf der Hand liegt, dass religiöse Szenen nicht ohne Vorbilder entstanden sein können – „Golgotha“ von Edvard Munch fügt sich in die Tradition zahlreicher Kreuzigungs-Darstellungen, auch wenn bei ihm die grotesk starrenden Menschen wichtiger sind als der Gekreuzigte selbst.

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Memento Mori    Die Allgegenwärtigkeit des Todes, im Mittelalter ein klassisches Thema, gehört aber grundsätzlich zu den elementaren Fragen, die Menschen und Künstler immer bewegen. Die Ausstellung, die auch reichlich mit Skulpturen versehen ist (darunter die Skelette, die an das Ende mahnen), bietet zahlreiche Todesszenen damals und später, ob Hans Baldung Grien, ob Marianne Stokes, die von Graz in die Welt ging, ob Arnold Böcklin, der ein  Selbstbildnis mit fiedelndem Tod schuf. In schrecklicher Verschränkung hat Käthe Kollwitz in einer Radierung „Tod  und Frau“ dargestellt…

Religiösen Charakter findet man auch (ohne Überinterpretation), wenn „Ad Astra“ des finnischen Nationalmalers Akseli Gallen-Kallela in einem vergoldeter Holzschrein wie ein Altar  präsentiert wird oder man in der „Sonne“ von Munch plötzlich eine Heiligenerscheinung sehen wollte.

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Deutliche Parallelen      Wenn Max Beckmann im Jahr 1917 „Adam und Eva“ malte, gleichen sie in der Haltung (wenn auch nicht in der Verzweiflung, die sie ausstrahlen) formal so sehr der Adam und Eva-Darstellung des Lucas Cranach, dass diese Ähnlichkeit kein Zufall sein kann. Ob die „Stillende Mutter“ der Paula Modersohn-Becker je an die stillende Maria des Hans Baldung Grien gedacht hat, kann vermutlich nicht bewiesen werden, aber das Thema ist da, eben säkularisiert durch die knapp vier Jahrhunderte zwischen den Werken. Und man hat Egon Schiele auch als „Neugotiker“ bezeichnet. Man könnte meinen, dass die gezwungene Haltung seines „Männlichen Akts“ mit erhobenen Armen einem gequälten Heiligen Sebastian von Martin Schongauer zumindest „ideologisch“ nicht unähnlich ist.

So bringt die Konfrontation der verschiedenen Epochen den Ausstellungsbesucher dazu, Dinge, die er vielleicht schon kennt, neu zu betrachten. Wobei gerade bei dieser Ausstellung mit ihrem hohen nordischen Anteil auch vieles schlechtweg neu ist.

Albertina: GOTHIC MODERN
MUNCH, BECKMANN, KOLLWITZ
Vom 19. September 2025 bis zum  11. Jänner 2026 
Täglich 10 bis 18 Uhr,
Mittwoch und Freitag 10 bis 21 Uhr

 

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