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EDVARD MUNCH. LIEBE. TOD. EINSAMKEIT
Vom 25. September 2015 bis zum 24. Jänner 2016
Experimente in Melancholie
Alle Fotos von Munch-Werken: Albertina
Edvard Munch (1863-1944), Norwegens Großmeister der bildenden Kunst, gehörte vor zwei Jahren zu den allseits gefeierten „runden Geburtstagen“. Nun, wo wieder Normalität eingezogen ist, bietet die Albertina in Bezug auf Munch das Besondere. Details erfährt man nicht – wer der Privatsammler ist, der diese beachtenswerte Anzahl Munch’scher Druckgraphik (darunter viele Unikate, nicht Massenware) zusammentragen konnte. Tatsache ist, dass Klaus Albrecht Schröder hundert Munch-Blätter großzügig auf tausend Quadratmetern zeigen, dazu viele Fragen stellen und sie auch beantworten kann.
Von Heiner Wesemann
Edvard Munch Geboren 1863 in Norwegen, beschloß der Achtzehnjährige, Maler zu werden. Drei Jahre in Paris wurden für ihn zu einem starken Einfluß und brachten ihn auf die Idee, sein künstlerisches Werk in einer Art von „Lebensfries“ zu gestalten, wo sich die wesentlichen Themen seines Lebens aneinander reihen sollten. Teils in Norwegen, teils in Berlin lebend, beeinträchtigten zahllose schwere Schicksalsschläge, die er künstlerisch gestaltet, seine Gesundheit. Nach längerer Zeit in einer Kopenhagener Nervenklinik kehrte Munch 1909 auf die Dauer in seine Heimat zurück. Hoch anerkannt als einer der führenden Künstler des Expressionismus und des Symbolismus, erklärten die Nationalsozialisten sein Werk nichtsdestoweniger als entartet. Munch starb achtzigjährig im Jahre 1944.
Die Druckgraphik Munch war ein herausragender Maler, der über 1700 Gemälde hinterlassen hat, aber ganz Besonderes leistete er, wie Dieter Buchhart, Kurator der Albertina-Ausstellung betont, auf dem Gebiet der Druckgraphik. Hier nahm er viele Motive, die er schon gemalt hatte (beispielsweise den „Schrei“, das wohl berühmteste aller seiner Werke), wieder auf – nicht als Wiederholung, sondern um mit den Möglichkeiten der Graphik zu experimentieren. Man erfährt (und sieht teilweise) in dieser Ausstellung, dass Munch nicht nur besonderes Interesse an der Holzmaserung beim Holzschnitt nahm, sondern auch Techniken kombinierte, die Steinoberfläche zerkratze, Abzüge seiner Graphiken mit Tusche, Kreide oder Farbe bearbeitete. Dabei kam dem Kolorieren, dem Experiment mit verschiedener Farbigkeit, besonderer Stellenwert zu: Die Ausstellung hängt farblich verschiedene Fassungen einzelner Sujets nebeneinander. Sie wirken manchmal grundverschieden.
Liebe und Einsamkeit Den Themen von Munchs „Lebensfries“ entsprechend, bietet die Ausstellung zu den einzelnen Schwerpunkten besondere Blätter: Frauen sind ebenso unter der Bezeichnung „Madonna“ wie als „Sünde“ oder als „Vampir“ vertreten, wobei die Haare als Element der Sinnlichkeit eine besondere Rolle spielen. Stehen junge Frauen mit langen glatten Haaren allerdings mit dem Rücken zum Betrachter, nähert sich das Thema der „Einsamkeit“, die nicht aufgehoben wird, wenn zwei oder mehrere Menschen nebeneinander auf einem Blatt erscheinen.
Tod Der Tod der Mutter, der Schwester in seinen Kinderjahren erschütterte Munch tief, sein Vater starb, als er Mitte 20 war. „Das kranke Kind“ ist ein Sujet, das man durch mehrere Farbnuancen verfolgen kann, „Am Totenbett“ ist die Endstation dessen, was Munch auch in „Angst“ (einsame Menschen, die starr nach vorne sehen), mit der „Melancholie“ und natürlich dem „Schrei“ behandelt – wohin kann all das schon führen als in den Tod.
Der Dichter So, wie sich sein Freund, der Dichter August Strindberg, als Doppeltalent betrachtete und auch malte, so war der Maler und Graphiker Munch ein Künstler, der auch schrieb – viele seiner Texte finden sich neben den Bildern an den Wänden der in tiefblau und tiefgrün gehaltenen Ausstellungsräume, gelegentlich sind auch seine Zeit- und Geistesgenossen (wie Nietzsche) vertreten. Von dem Schweden Strindberg und den norwegischen Landsmann Henrik Ibsen gibt es Munch-Porträts, die weltberühmt sind – so wie sein eigenes, enigmatisches Selbstporträt, ein ruhiges Gesicht, gesenkte Augen, aber gleichsam unter dem Bild ein wie skelettierter Arm…
Vom Pariser Nachtleben zu den Alpträumen Die Herausforderung an den Betrachter besteht in dieser Ausstellung sicher in erster Linie darin, sich in den verschiedenen Fassungen eines Sujets mit Munchs Variationen auseinander zu setzen. Darüber hinaus aber bietet die Ausstellung – gemäß eines „Lebensfrieses“, in dem das Leben in der Gesamtheit enthalten ist – eine Themenspannweite, die man auf den ersten Blick nicht mit Munch verbindet: eine Pariser „Tingeltangel“-Szene ist eindeutig von Toulouse-Lautrec inspiriert, Variationen von Frauenbildnissen schwanken zwischen Lust und Bedrohung, symbolistisch verfließende Angst-Visionen erinnern gelegentlich an Kubin, den die Albertina auf einer anderen Ausstellungsebene des Hauses zeigt. Mensch und Landschaft können in demselben Holzschnitt düster und hell erscheinen, je nachdem, welche Farben der Künstler gewählt hat (wobei er manchmal auch ganz willkürlich Farbe auftrug, wie um zu fragen, was wohl daraus würde). Und aus mehr Blättern als jenen, die diese Bezeichnung tragen, scheint die Melancholie geradezu zu tropfen…
Den Katalog zur Nachbereitung dieser bemerkenswerten Ausstellung (die man vermutlich mehrmals sehen muss, um wirklich zu „sehen“), hat die Albertina, herausgegeben von Dieter Buchhart und Klaus Albrecht Schröder, selbst erstellt.
Albertina: Edvard Munch – Liebe. Tod. Einsamkeit
Bis 24. Jänner 2016. Täglich 10 bis 18 Uhr, Mi bis 21 Uhr