WIEN / Albertina / Tietze Galerie:
BRUEGEL UND SEINE ZEIT
Vom 14. Februar 2023 bis zum 24. Mai 2023
Die große Welt im Kleinen
Die Albertina setzt derzeit einen Schwerpunkt zum Thema Druckgraphik. Solche hat die Präsentation zu „Bruegel und seine Zeit“ nicht zu bieten, wohl aber noch kostbarere, unikatere „Graphik“: Denn hier geht es um Zeichnungen und vereinzelt Aquarelle mit Feder oder feinem Pinsel, auf hellem oder dunklem Papier, eine künstlerische Welt für sich, wie sie Niederlande des 16. Jahrhunderts hervorbrachten und wie sie die Albertina zu Tausenden besitzt. An die hundert Werke wurden hervorgeholt, vieles für diesen Zweck restauriert, manches noch nie Gesehene ausgestellt. Ein Kosmos, der um den zentralen Stern Pieter Bruegel kreist.
Von Renate Wagner
Dank an Herzog Albert Dass die Wiener Albertina als die größte Graphische Sammlung der Welt gilt, verdankt sie ihrem Schöpfer und Namensgeber Herzog Albert von Sachsen-Teschen. An sich ein jüngerer und mittelloser Sohn des sächsischen Kurfürsten und polnischen Königs August III., heiratete er in die Familie Habsburg, die die Fähigkeiten dieses außergewöhnlichen Mannes zu nutzen wusste. Als er 1780 Generalgouverneur der Niederlande wurde, eröffnete sich für den leidenschaftlichen Kunstliebhaber und –sammler eine Welt. In den zwölf Jahren seiner Tätigkeit gelang es ihm, Tausende und Abertausende Kunstwerke der unmittelbaren Vergangenheit und damaligen Gegenwart zu erwerben, die er dann großteils (ein Schiff mit Schätzen versank im Kanal) nach Wien brachte, wo er jenes Palais erwarb und bezog, in dem heute noch die „Albertina“, seine Sammlung kostbarster Graphiken aller Art und aller damals möglichen Künstler, untergebracht ist.
Die Qual der Wahl Kuratorin Laura Ritter hat jahrelange Arbeit hinter sich, in der es galt, die Bestände des niederländischen 16. Jahrhunderts in ihren tausenden Blättern zu sichten und schließlich daraus auszuwählen. Die Schwerpunkte wurden neben den großen Namen bei der thematischen Entwicklung ebenso gesetzt wie beim Hervorholen jener Künstler, deren Namen der Nachwelt nicht so vertraut sind, die sich aber als wahre Meister der Technik und Erfindung erweisen. So kommen auch Persönlichkeiten wie Jan de Beer, Maarten van Heemskerck oder Hendrick Goltzius (und das sind nur wenige der vielen hier vertretenen Namen) zu ihrem Recht.
Der kleinteilige Blick auf die Welt Es gibt mit Ausnahme von zwei über zwei Meter hohen Kirchenfenster-Entwürfen von Jan de Beer keine flächenmäßig „großen“ Werke in der Ausstellung, tatsächlich bietet die Zeichnung, die oft als Vorlage für Druckgraphik oder als Skizze zu Gemälden diente, sich in diesem Jahrhundert aber auch als eigenständiges Kunstwerk emanzipierte, die große Welt der Kunst in kleinteiliger Form. Oft müsste man näher an die Werke herangehen, als es erlaubt ist, um sie im Detail zu erfassen (wofür zuhause der Katalog exzellente Möglichkeit bietet – aber es ist eben nicht das Original). Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder empfahl die Lupen-Funktion, die jedes Smartphone bietet, allerdings mit dem Ersuchen, nicht auch das Licht einzuschalten…
Die Großmeister: Bosch und Bruegel Zwei Namen überstrahlen die Epoche, wobei Hieronymus Bosch (1450 – 1516) schon mindestens ein Jahrzehnt lang tot war, als Pieter Bruegel (später genannt „der Ältere“, 1525/1530 – 1569) geboren wurde. Ersterer galt als das große Vorbild des Letzteren, und die Kunstgeschichte steht vor dem interessanten Faktum, dass ihre Werke oft unter dem Namen des anderen verkauft wurden – eine Frage gleicher Qualität und künstlerischer Weltanschauung. (Bruegels Zeichnung vom „Jüngsten Gericht“ etwa zeigt, wie viel er Bosch verdankt.)
Von Hieronymus Bosch besitzt die Albertina mit „Der Baummensch“ (braune Feder auf Papier) eines seiner mysteriösen gezeichneten Hauptwerke, über dessen Bezugsreichtum man vermutlich ein Buch schreiben könnte.
Was Bruegel betrifft, so existieren von ihm nur knapp über 60 Zeichnungen. Mit 6 davon besitzt die Albertina etwa zehn Prozent des Erhaltenen. Als zentrales Werk, weltberühmt, tausendfach reproduziert, steht das Selbstporträt „Maler und Käufer“ im Mittelpunkt – ein verdrießlich aussehender Künstler, dem ein gieriger potentieller Kunde über die Schulter schaut: ein Gleichnis ebenso für die Situation des Künstlers wie jene des Kunstmarkts. Man kennt Bruegel ja auch als hintergründigen Satiriker und Zeitkritiker – hier stellt seine Pinselzeichnung „Die großen Fische fressen die kleinen“ einen Höhepunkt dar.
Von der Religion hinein ins volle Leben Im übrigen ging es der Kuratorin darum, das in jeder Hinsicht ungeheuer zerrissene 16. Jahrhundert so darzustellen, wie sich dessen Entwicklung in der Kunst abbildete – es war ebenso eine Welt der dauernden Kriege gegen die spanische Besatzungsmacht, desgleichen ein Krieg der Konfessionen, aber auch eine Welt zunehmenden Wohlstands (der dann auch Kunst und Bedarf nach Kunst förderte) durch den Kolonialhandel und das Aufblühen der Städte. Dominierten zu Beginn des Jahrhunderts noch die katholischen Heiligendarstellungen, so wurde man zunehmend „profaner“, bildete den Alltag ab (auch in seiner Mode), schwelgte in Landschaften, fertige Porträts in Zeichnungen an. Hier öffnet sich die thematische Breite der künstlerischen Möglichkeiten wie auch der Techniken – wenn man nicht auf weißem, sondern dunklem Papier zeichnete, konnte man die Effekte beispielsweise erhöhen.
Auch Wien ist eine Ansicht wert Schließlich war es auch eine Welt, in der man (so unruhevoll sie war) reisen konnte. Künstler kamen nicht nur in die Niederlande für neue Eindrücke, auch die Niederländer fuhren in den Rest von Europa, teils um ihre Werke zu verkaufen, teils um solche mitzubringen. Sie schufen, wie alle, die italienischen Motive, aber es finden sich auch Stadtansichten von Wien und Linz… Lucas von Valckenborch zeichnete Wien vom Nordosten, Joris Hoefnagel Linz vom Pöstlingberg aus gesehen
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BRUEGEL UND SEINE ZEIT
Bis zum 24. Mai 2023
Täglich 10 – 18 Uhr , Mittwoch bis 21 Uhr