WIEN / Albertina / Basteihalle:
AMERICAN PHOTOGRAPHY
Vom 24. August 2021 bis zum 28. November 2021
Mehr Wirklichkeit
als Traum
Man kennt die Vorliebe von Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder für Fotografie. Er sorgt dafür, dass sein Haus permanent mindestens eine Ausstellung zu diesem Thema zu bieten hat. Meist finden diese allerdings in den sechs Räumen der Tietze Galleries statt. Diesmal hat er der „American Photography“ allerdings die gesamte Basteihalle gegeben, das heißt, das ganze Untergeschoß des Hauses dafür bereit gestellt. Es ist eine der umfangreichsten Fotoausstellungen, an die man sich erinnert – aber es ist auch ein ebenso breites wie großes Thema, das hier geradezu überbordend abgehandelt werden kann.
Von Renate Wagner
Die Bilder des 20. Jahrhunderts Rund 180 Fotos, die in der Form und in ihrem Inhalt nicht divergierender sein könnten, umfassen amerikanische Fotokunst von den Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts bis zu dessen Ende. Dabei hat Kurator Walter Moser, Leiter der Fotosammlung der Albertina, 33 Persönlichkeiten ins Zentrum gestellt, von denen man viele kennt (Cindy Sherman beispielsweise, um eine der in jeder Hinsicht spektakulärsten Erscheinungen zu nennen), andere mit Gewinn kennen lernt. Er konnte dabei auf die bemerkenswerten Bestände der Albertina selbst (es wird auf diesem Gebiet permanent gesammelt) sowie auf die Privatsammlung von Trevor Traina (einst Botschafter in Wien) zurück greifen.
Jenseits der Klischees So gut wie keines der Fotos – manche wie aufwendige farbige Ölgemälde wirkend, andere kleine, schwarzweiße Schnappschüsse, fast wie hingeworfene Graphiken – bedient irgendein Klischee. Der Standpunkt der Fotografen mag brutal sein oder liebevoll, in jedem Fall ist er kritisch. Werbefotos von Wolkenkratzern und Naturschönheiten haben hier keinen Platz.
„American Dream“ und amerikanische Realität Wie sich der Mythos Amerika in europäischen Köpfen spiegelte, wissen wir etwa aus der Faszination, die der Kontinent jenseits des Atlantiks mit seinem Dickicht der Großstädte etwa auf den jungen Bert Brecht ausübte – bis er später die Realität kennen lernte. Lange Zeit hat auch Hollywood – selbst in Gangsterfilmen! – an einem Bild eines faszinierenden, glanzvollen Amerika gearbeitet. Die Fotografen hingegen wussten es schon immer besser. Nicht der große Gatsby war das Ziel jener Künstler mit der Kamera, die hier ausgestellt sind, sondern der kleine Mann, der beim Rodeo sitzt (fotografiert von Robert Frank) oder im Drugstore, die Durchschnittsfrau ganz ohne Glamour, die schäbigen Häuser und Tankstellen, die abseits der Großstädte vielfach ihren Lebensraum bestimmten. Kein Traum, die Wirklichkeit.
Blick auf das Gesicht der Monroe Die Ausstellung wählt vielfache Zugänge zu dem Thema. Die „visuelle Vermessung der USA“, die hier beabsichtigt ist und erreicht wird, erfolgt nach verschiedenen Gesichtspunkten. Wobei das menschliche Gesicht natürlich eine besondere Rolle spielt – und wenn es so berühmt ist wie jenes von Marilyn Monroe, natürlich alle Blicke auf sich zieht. Doch sieht man genau hin, fühlt man, dass man sie selten so gesehen hat wie durch die Kamera von Richard Avedon 1957: Sie war damals 31 und längst ein Weltstar, aber der traurige und verlorene Ausdruck ihres Gesichts macht klar, dass man es mit einem zutiefst unglücklichen Geschöpf zu tun hat. Der Aufstieg der amerikanischen Brünetten aus niedriger Gesellschaftsschicht zur Göttin von Hollywood mag wie der „amerikanische Traum“ ausgesehen haben – das Foto vermittelt die Wirklichkeit, wie man heute weiß. Und dann sieht man die grotesk. exhibitionistische Sängerin in einem Cafè, wie Lisette Model sie einfing, und weiß, dass Porträts Welten öffnen können.
Von der Banalität zur Exzentrik Sozialen und realen Landschaften gelten andere Schwerpunkte der Ausstellung, Dokumentarisches zeigt Menschen in Extremen, Farbvisionen lassen manche Szenen wie „gemalte“ Plakatsujets erscheinen, nur dass man damit für nichts „werben“ konnte. Viele Bilder sind leise, einfach traurig in ihrer Banalität. Andere sind laut wie jene von Cindy Sherman, die mit einem geradezu verzerrten bunten Frauengesicht „grüßt“, wenn man die Rolltreppe zur Ausstellung hinunter gefahren ist, und die später mit grellen, geradezu erschreckenden Clowns (das ist die Welt eines Stephen King) erzählt, welche Abgründe in dieser amerikanischen Welt lauern.
Der Beitrag der Europäer Nicht nur amerikanische Fotografen haben das Bild der USA eingefangen, man findet hier etwa Lisette Model aus Wien, emigrierte Jüdin, die in Europa mit Straßenfotografie begonnen hatte, in den USA das Leben in New York einfing und als Lehrerin etwa die später berühmte Diane Arbus zu ihren Schülerinnen zählte. Oder der Schweizer Robert Frank, der nach dem Krieg berühmte dokumentarische Bildreportagen über die USA schuf. So setzt sich aus der Fülle der Persönlichkeiten hinter der Kamera und dem, was sie sahen, ein faszinierendes Kaleidoskop eines großen Themas zusammen.
Albertina / Basteihalle: American Photography
Bis zum 28, November 2021, täglich 10 bis 18 Uhr