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WIEN / Akzent: HÄUPTLING ABENDWIND

05.11.2016 | KRITIKEN, Theater

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Foto: Lilli Crina Rosca

WIEN / Akzent:
HÄUPTLING ABENDWIND von Johann Nestroy
Premiere: 4. November 2016

„Häuptling Abendwind“ war das letzte Stück von Johann Nestroy, eine Offenbach-Paraphrase, in seinem Todesjahr 1862 uraufgeführt, eine nicht eben geschmackssichere „indianische Faschings-Burleske“, die auf den Bühnen selten gelingt (auch Robert Meyer hatte 2009 in der Volksoper wenig Erfolg damit). Aber zumindest ist die Sache kurz – der Einakter kann in einer Stunde über die Bühne hüpfen.

Kann, aber muss nicht. Wenn man sich nach zweieinhalb Stunden im Akzent von seinem Sitz erhebt, fragt man sich, was da eigentlich vor sich gegangen ist. Nun, Hubsi Kramar wurde mit seiner Truppe dort engagiert, um „Häuptling Abendwind“ zu spielen, weil ihm (nicht als Erstem) eingefallen ist, die Menschenfresser-Satire sei schließlich enorm politisch und könne hervorragend gegen Österreich gewendet werden. Eh schon wissen, die Eingeborenen auf der Insel, und jeder, der am Strand angespült wird, wird aufgegessen. Oder, wie der Nachbar-Häuptling meint, anfangs sei man auf seiner Insel noch recht nächstenlieb gewesen, aber jetzt hasse man die Fremden nur noch, die da dauernd kommen… Nicht, dass etwas davon bei Nestroy steht. Will man einen Einakter auf abendfüllend aufblasen, muss man eine Menge dazudichten: Hubsi Kramar selbst, Eva Schuster und Gunter Falk haben das unternommen. Begnadetes ist ihnen dazu nicht eingefallen.

Die Exposition ist lang: Ein Song von Hubsi, eine Art politisches Auftrittslied, wie es bei Nestroy einst üblich war, aber der Text schwach, die Darbietung gänzlich ohne Nachdruck und der nötigen scharfen Artikulation, im Hintergrund sorgt Martin Kratochwil (Komposition, Musik, Leitung, Piano) für die Untermalung. Dann mehrfaches Auftreten von „Lucy McEvil“, Diseusen-Transvestit von Niveau (den sollte man der Josefstadt für den „Käfig voller Narren“ leihen), die nicht nur singen muss (gut, gewiß, aber völlig unnötig), sondern auch noch eine „Talk-Show“ über Kannibalismus leitet… Es dauert, bis man auf Nestroys Insel angelangt ist.

Dort (die „Insel“ stammt von Markus Liszt) sind die Wilden los, aber nicht so, dass „Theater“ daraus würde, sondern ein brüllender, grölender Fetzenhaufen (Hubsi selbst hat ihnen die so genannte Kostüme über ihre Weichteile geschnallt), der zum Selbstzweck randaliert.

Die schon bei Nestroy nicht so komische Geschichte der beiden „Wilden“ Abendwind (Hubsi Kramar) und Biberhahn (kein souveräner Schauspieler: Patrik Huber), die sich gegenseitig die Ehefrau weggeschmaust haben, entfaltet sich, ohne dass man viel von der Handlung mitbekommt – zumal noch so manches dazwischen geschoben wird, u.a. Nestroys Holofernes (schaurig: Christian Rajchl). Nestroy wird ohnedies nicht gespielt, dennoch wirkt Stefano Bernardin (als „Liebhaber“ Arthur) sprachlich überfordert, während Gioia Osthoff eine Art Teenager-Südsee-Charme mitbringt.

Alle Versuche, das Stück mit sprachlichen und sonstigen Verrenkungen gewaltsam auf heutige Aktualität hinzubiegen, können nicht gelingen. Die ganze „Menschenfresserei“-Geschichte wendet sich an diesem Abend nur gegen Nestroy: Ihn hat man in Stücke geteilt und brutal verkocht, ohne dass auch nur etwas halbwegs Genießbares daraus geworden wäre.

Renate Wagner

 

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