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WIEN / Akademietheater: ZWIEGESPRÄCH

08.12.2022 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Burgtheater © Susanne Hassler-Smith

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
ZWIEGESPRÄCH von Peter Handke
Uraufführung
Premiere: 8. Dezember 2022 

„Greisengemurmel“ hat Gregor von Rezzori einst die Erkenntnisse seines hohen Alters genannt, und so war es wohl auch hier gemeint: zwei greise Schauspieler, Martin Schwab (85) und Branko Samarovski (83) plagen sich mit dem Text eines greisen Dichterfürsten, Peter Handke (80). Wenn man schon einen Nobelpreisträger im Land hat (sogar in jüngsten Jahren zwei für Literatur, um genau zu sein), dann bringt das Burgtheater selbstverständlich dessen neuestes Stück zur Uraufführung, Ehrensache, man ist des Lobs gewiß, auch wenn sich die Sache möglicherweise als Theaterereignis nicht wirklich lohnt.

Dass man den Text nicht so präsentiert bekommt, wie er vielleicht gemeint war, falls Handke überhaupt je etwas meint („Eine Antwort, das wäre ja noch schöner!“). versteht sich im Burgtheater von selbst. Man hat absichtsvoll alte Männer mit jungen Frauen „gekreuzt“ – die 32jährige deutsche Regisseurin Rieke Süßkow, zwei Schauspielerinnen ähnlichen Alters, kurz, die Großväter in die Hände der Enkelinnen gegeben. Dass Handkes Text hier niemandem zugeordnet ist und dass er überhaupt nie einer geraden psychologischen Schiene folgt, sondern stets andere Erzählpositionen einnimmt, macht es jedenfalls leicht,  ihn zu zerstückeln und auch die Frauen damit zu Wort kommen zu lassen. Aber das ist nicht das Wesentliche.

Es geht darum, rund um die beiden zentralen Männer eine ganze Geschichte, eine ganze Welt aufzubauen. Zu Beginn sieht man die beiden Alten armselig in Unterhosen und Unterhemd im Rollstuhl, in einer Reihe von Schicksalskollegen (glücklicherweise dürfen sie sich wenig später anziehen): Hier wird in einem seltsam-abstrakten, mobilen Lamellenwand-Bühnenbild von Mirjam Stängl ein Altersheim beschworen (wobei die Optik meist in der Unifarbe beige-gelb verharrt, was nicht nur die Augen ermüdet, sondern auch vieles schlechtweg verschwimmen lässt).

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Dieses Altersheim ist gewissermaßen der Hauptdarsteller des Abends. Das Programmheft nennt neben den zentralen Schauspielern nicht weniger als 19 Namen, die hier ein Panoptikum von Pfleger- und wohl auch Terror-Figuren auf die Bühne stellen. Was in meist stummem Spiel (der Text kommt gelegentlich bröckchenweise zwischendurch) ausufert, ist fast eine Freak-Show rund um die Alten, die gefüttert und zur Unterhaltung gezwungen werden und Spielball der Willkür sind. Zum Finale wird einer (Martin Schwab) gewissermaßen tot aufgebahrt und mit allerlei Pflanzen und Früchten geschmückt – es ist geradezu erlösend, wenn er aufspringt und kundtut, dass er noch keine Lust zum Abtreten hat. „Unsereiner hat auf Ruhe kein Recht“, heißt es geradezu triumphierend am Ende. Da das Burgtheater versichert, in diesem Text stecke ganz und gar der Autor selbst, kann man wohl sicher sein, dass er auch jenseits der 80 keinesfalls aufhören wird, Handke-Texte zu produzieren.

Dieser Text, wie gesagt, versinkt in den eindreiviertel pausenlosen Inszenierungs-Stunden. Aber was hört man? Wie immer bei Handke fragt man sich zwischendurch, was er eigentlich sagt und ob er etwas Nachvollziehbares meint. Gedanken und Form laufen kreuz und quer. Wenn man einen Themenschwerpunkt sucht, ist eines der Zentralthemen des Abends – laut Handke Originalton – „die naturfixierte Idealisierung der Großväter“ (eine Behauptung, der man keinesfalls zustimmen kann – weder wenn man Handke selbst als Großvater-Generation nimmt noch jene, die immer gemeint sind, nämlich jene, die den Nationalsozialismus exekutierten. Niemand glaubt an deren Unschuld, wie Handke meint). Hört man zu, so fragt man sich, ob hier Banalitäten reflektiert oder schlicht und einfach produziert  werden– wenn zu Tausenden und Abertausenden „Großvater“-Texten der Literatur nun die Erkenntnis hinzu kommt, dass dieser Tiere geschlagen und sogar eine Schlange gequält hat. ..

So ganz funktioniert die Auseinandersetzung mit den „Ahnen“ nicht, zumal Handke ja nie sagt, was er wirklich meint. Er ist ein Dichter, der zwischen Buchdeckeln besser aufgehoben ist als auf der Bühne, wo man sich als Zuschauer wohler fühlt, wenn Texte nicht herumeiern, sondern sagen, was sie sagen wollen, während für Handke „das Ringen und Verwerfen der Worte“ im Zentrum steht, wie wir im Programmheft nachlesen dürfen. Das ist die Theorie der Literatur.

Eigentlich würde man sich wünschen, zwei so exzellente, bewundernswerte, auch sprachlich so präzise Schauspieler wie Martin Schwab und Branko Samarovski hätten versuchen dürfen, den Text ohne die überbordende Inszenierung zu befragen, eventuell zu „vermenschlichen“, aber so können sie nur Figuren auf die Bühne stellen, herumgeschubstes, aber dennoch ungebrochenes Alter. Man hat ihnen Hans Dieter Knebel beigeben, vor allem aber dürfen als zwei Pflegerinnen (oder was immer) Elisa Plüss und Maresi Riegner verschiedentlich das Wort ergreifen, wobei sich erstere durch größere Lebendigkeit auszeichnet.

Ein Wiener Premierenpublikum weiß, was von ihm erwartet wird, also gab es heftigen Applaus –  auch ohne das Erscheinen des  Autors.

Renate Wagner

 

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