Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN / Akademietheater: VOLKSVERNICHTUNG ODER MEINE LEBER IST SINNLOS

Hasstiraden an der Kletterwand

18.10.2025 | KRITIKEN, Theater

volksv00 ernichtung wendelin riegner reinsperger h ccackl burac hackmann tuppy(c)tommy hetzel burg~1
Fotos: Tommy Hetzel

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
VOLKSVERNICHTUNG ODER MEINE LEBER IST SINNLOS von Werner Schwab
Premiere: 18. Oktober 2025

Hasstiraden an der Kletterwand

Werner Schwab (1958-1994) ist seit über dreißig Jahren tot, und sein einst enormer Bühnenruhm ist verblasst. Am ehesten greift man noch auf seinen ersten, in diesem Ausmaß nie wieder erreichten Mega-Erfolg, „Die Präsidentinnen“, zurück, weil es so ein praktisches Stück ist: Man braucht dafür faktisch nur drei exzellente Schauspielerinnen, und die lassen sich ja meist finden. „Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos“ kam bald danach, und man hat das Stück in Wien schon einige Male gesehen. 1992, ein Jahr nach der Uraufführung in den Münchner Kammerspielen, im Wiener Volkstheater, 2000 in der Theater m.b.H. der Hanna Tomek, und vor nicht allzu langer Zeit, im November 2018, an dem Ort, wo es nun wiederkehrt: Damals inszenierte es Nikolaus Habjan am Wiener Akademietheater, und wie nicht anders, wurden Schwabs abgrundtief hässliche Menschen von des Regisseurs abgrundtief hässlichen Klappmaulpuppen dargestellt. Aber, was soll’s –  es hat gepasst.

Heute fragt man sich, was die Burgtheater-Dramaturgie im Sinn hat, die beiden größten Hassdramatiker Österreichs gleich im Doppelpack zu liefern. Zwei Tage nach Thomas Bernhards „Auslöschung“ nun Schwabs „Volksvernichtung“. Hat Bernhard unter Wut- und Schimpftiraden die Familie zu Grabe getragen, werden nun extrem unappetitliche Hausbewohner von ihrer Vermieterin ermordet… o Du mein Österreich. Und man weiß, wie gerne zumal die Wiener diese obszönen Beschimpfungen auf der Bühne genießen.

Sieht man das Stück wieder (nunmehr zum vierten Mal), merkt man allerdings, dass es sich nicht gehalten hat. Im Grunde geht alle Kraft nur vom ersten Akt aus, wenn Mutter Wurm und ihr Söhnchen Hermann sich alles Böse sagen, was einem nur einfallen kann. Unterdrückung und Aufbegehren durch schmutzigste Verletzungsphantasien, Verachtung und Todeswünsche auf beiden Seiten. Und Hermann erzählt natürlich auch noch, wie er als Kind vom Herrn Vormund missbraucht wurde (und man muss nicht glauben, dass Schwab da die Worte fehlen oder dass er vor irgend etwas in der Schilderung zurück schrecken würde…

Der zweite Akt, der bei der Familie Kovacic spielt, Vater, Mutter und zwei halbwüchsige Töchter, ist schon weit weniger ideenreich, da lässt die Sprach-  und Argumentationsgewalt stark nach, Hier tritt die Nicht-Handlung auf der Stelle, weil die Herrschaften wirklich nur durchschnittlich mies sind, also kein Schwab-Format.

Der dritte Akt würde der Frau Grollfeuer (wie „Wurm“ auch ein Nestroy’scher Name!), der Hausbesitzerin, gehören, die ihre Mieter zu sich einlädt, um sie allesamt zu vergiften. Aber auch da zündet der Text nicht mehr, am wenigsten bei dem Schlusmonolg der bösen Dame… Also stellt man die „Volksvernichtung“ an diesem Abend nur zur Diskussion, um zu beweisen, dass Hassreden bei einigen Besuchern zwar noch Lacher hervor bringen (die anderen peinlich sein mögen), und man doch nicht recht weiß, was man mit der Sache eigentlich anfangen soll. Weil man inzwischen schon noch Schlimmeres auf den Bühnen gesehen hat?

00 volksvernichtung cc vv wendelin riegner r(c)tommy hetzel burg2~1

Der noch nicht 30jährigen deutschen Regisseurin Fritzi Wartenberg mag klar gewesen sein, dass es möglicherweise wenig effektvoll gewesen wäre, das Ganze in den vorgegebenen Zimmerdekorationen zu spielen. Sieht man allerdings die um 90 Grad aufgeklappte Wand, die erst Küche der Wurms, dann Wohnzimmer der Kovacics und am Ende den Nobelsalon der Frau Grollfeuer zeigt, so denkt man verblüfft, den Effekt habe man doch gestern erst im Volkstheater gesehen. Aber da ging es (im Parodiestil auf „Mission Impossible“) darum, quasi im rechten Winkel auf der Wand zu gehen wie auf einem Boden. Im Akademietheater (Bühnenbild: Jessica Rockstroh) sind Möbel und Gebrauchsgegenstände zwar korrekt „ums Eck“ angeschraubt, dienen hier nur dazu, dass die Darsteller sich den ganzen Abend daran herumhanteln. Zwei pausenlose Turnstunden an der Kletterwand, wobei einiges nicht ungefährlich aussieht. Jedenfalls gibt es etwas zum Schauen, wenn das Hängen und Würgen zwischen Sesseln und anderen Gegenständen natürlich auch nicht abendfüllend ist. Der Text auch nicht. Was bleibt?

v0 olksvernichtung s ccie r einsperger hn(c)tommy hetzel burg

Man ist im Burgtheater des Stefan Bachmann schon dermaßen abgestumpft über seine genderfluide Besetzungspolitik, dass man nur der Ordnung halber anmerkt, dass Sohn Hermann Wurm von einer Frau verkörpert wird  und die beiden Töchter Kovacic von Männern gespielt werden. Vor allem, weil man sich kaum vorstellen kann, dass irgendein Mann eine dichtere, schonungslosere Leistung als dieser arme, böse Hermann liefern könnte als Stefanie Reinsperger. Mit welch tragischer Lust bohrt sie sich in die Vorstellungen, was sie der Mutter antäte – das ist die „Radikalkomödie“, die den Untertitel des Stücks bildet, und das ist der Fäkaldramatiker Schwab, als der er berühmt wurde.

Dass die Mutter Wurm von einer so jungen Frau wie Maresi Riegner gespielt wird, ist allerdings nicht einzusehen, da würde eine ältere Darstellerin vielleicht überzeugender Kontra gegeben haben.

Die Familie Kovacic hat, wie erwähnt, viel weniger Möglichkeiten, Zeynep Buyraç bietet vor allem ihr bemerkenswert gutes Aussehen, Jonas Hackmann und Tilman Tuppy scheinen es lustig zu finden, Frauen zu spielen, und Sebastian Wendelin flüchtet sich immer wieder in lautstarke Wutausbrüche, um wenigstens etwas Beachtung zu finden. Die Figur des angepassten Balkan-„Tschuschen“, der um Anerkennung brüllt, hat schon Schwab nicht genau genug ausgeführt.

Und da ist noch Frau Grollfeuer, eigentlich die Nemesis jener Menschen, die an Canetti („Hochzeit“) ebenso erinnern wie an Brecht („Kleinbürgerhochzeit“) und noch viel böser sind als bei Horvath je. Franziska Hackl ist der Schwachpunkt des Abends, vielleicht, weil zu jung, vielleicht, weil zu wenig schneidend in der Sprache, jedenfalls nicht das Monster, das sich des Gesindels entledigt. Ihr langer Schlussmonolog plätschert dahin, man hört kaum zu (teils, weil unüberzeugend dargeboten, wohl auch, weil substanziell zu wenig heruus kommt). Es ist Stefanie Reinsperger, die dann einen Schlusseffekt setzt, der unter die Haut geht.

Am Ende wurde viel geturnt. Die „Leber“ im Untertitel bezieht sich auf den Alkohol, den sie zu verarbeiten hat. Tragisch, wenn man bedenkt, dass Werner Schwab an den Folgen seines Alkoholismus (so betrunken, dass er an seinem eigenen Erbrochenen erstickt ist) gestorben ist. Auch so eine hässliche Geschichte…

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken