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WIEN / Akademietheater: SERGE

24.02.2023 | KRITIKEN, Theater

 

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Fotos: _c_Matthias Horn

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters: 
SERGE
Nach dem gleichnamigen Roman von Yasmina Reza
Bühnenfassung von Lily Sykes  und Andreas Karlagani
Uraufführung
Premiere:  23. Februar 2023 

Wenn sie inspiriert ist, hat Yasmina Reza durchaus ein Händchen fürs Theater und hat etwa mit „Kunst“ oder „Der Gott des Gemetzels“ erstklassige Well made plays geschrieben (nebst anderem, das ihr mehr oder weniger geglückt ist). Mit ihrer Prosa ist sie weniger überzeugend, und zumal ihren jüngsten Roman „Serge“ hat man mit einiger Ratlosigkeit aus der Hand gelegt. Am Ende bleibt vor allem das Gefühl, dass die hier gezeichnete jüdische Familie besonders meschugge ist und man eigentlich für keine der vorgestellten Personen Sympathie empfindet  – tiefer geht die Sache nicht, auch wenn die Herrschaften zwecks Tiefenbohrung nach Auschwitz reisen…

Warum man ausgerechnet dieses Buch dramatisieren musste, leuchtet nicht ein. Regisseurin Lily Sykes hat es mit dem Dramaturgen Andreas Karlagani unternommen und nun als Uraufführung im Akademietheater auf die Bühne gebracht. Mit ähnlich unbefriedigendem Ergebnis wie nach der Lektüre.

Denn eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Judentum sollte es wohl sein, unternommen von einer Generation, die sich mit ihrer Herkunft eigentlich nicht befassen will. Das ist ein „echtes“, durchaus virulentes Thema bei Nach-Holocaust-Generationen, man findet es in der Literatur des öfteren (in Herb Gardeners Stück “Conversations with my father“, das nie zu uns kam, in dem Roman „Viktor“ von Judith Fanto), nicht aber bei Yasmina Reza.

Ihr geht es vor allem darum, dass drei Geschwister – Jean, im Buch der Erzähler, Serge, der Älteste, und die Schwester Nana – sich in die Haare geraten. Vieles, was in der Erzählung schon überflüssig erscheint, kommt hier in Nebenhandlungen, etwa die Figur von Jeans entfremdeter Freundin Marion, deren kleinen Sohn er viel lieber hat als die Mutter. Wichtiger ist Serges dauernder Kampf mit Tochter Josephine, die ja doch nur Geld von ihm will, oder Nanas Sorge um ihren Sohn, der zwar nicht auftritt, aber von dessen beruflichen Eskapaden man hört. Und da ist schließlich ein sterbender Wahlonkel, der noch bekennender Jude war so wie die Mutter der drei Geschwister, deren Tod sie wieder zusammen führt.

Warum sie beschließen, nach Auschwitz zu reisen, wird schon im Buch nicht völlig klar, also auch hier nicht, denn die Männer langweilen sich dort und die Frauen (Nana und Josephine) haken Todespavillons ab, wie es oberflächliche Touristen eben tun. Nicht eine Sekunde lang wird das Thema, das Problem „Judentum“ und wie man sich darin fühlt, wirklich überzeugend angegangen.

Also gibt sich eine Handvoll Schauspieler (in einer für das heutige Burgtheater teuren Besetzung) in einem Einheitsbühnenbild (Márton Ágh) zwei pausenlosen Stunden ihren Banalitäten hin, den Streitereien, die lustig sein sollen, den Erinnerungen, dem Alltag, bis es gegen Ende immer düsterer wird. Ohne dass der Zuschauer nun besonderes Mitleid empfände oder Anteilnahme aufbringen könnte.

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Michael Maertens wankt als Jean ziellos durchs Geschehen, was zwar durchaus der Figur entspricht, aber auf dem Theater, das noch um einiges mehr Dramaturgie braucht als Prosa, viel mehr Konturen vertragen hätte. Die bietet Roland Koch mit seinem Serge durchaus, nur hat die Autorin leider vergessen zu sagen, was sie mit der Figur eigentlich will. Ähnlich geht es Alexandra Henkel als Schwester. Was der große alte Martin Schwab als sterbender  Wahlonkel Maurice  der Familie ins Geschehen würzen soll, ist auch unklar.

Warum das Burgtheater, das ja nun nicht an Personalmangel leidet, Rollen doppelt besetzen muss, bleibt unklar, aber Lilith Häßle nützt die Möglichkeiten der schnippischen Tochter und der unangenehmen Ex-Geliebten.

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Und dass Inge Maux zwei Rollen spielen darf, erweist sich geradezu als Glücksfall. Sie ist obwohl tot, gelegentlich präsent als die Mutter der drei Geschwister, und auch wenn eine jüdische Mame muribund in ihrem Stuhl sitzt, verlässt sie weder ihr scharfer Witz, noch ihre schonungslose Betrachtungsweise von Welt, Leben und Menschen und am wenigsten ihr Lebenswille. Aber von einer Sekunde zur anderen kann diese Schauspielerin sich auch (mit wilder roter Haarmähne) in die liebevolle, übersprudelnde Krankenschwester des alten sterbenden Maurice verwandeln – viel mehr Lebendigkeit als von Inge Maux kommt an diesem Abend nicht.

Was die Geschichte allerdings wollte und wohin sie führen sollte – das blieben Yasmina  Reza und Lily Sykes gleicherweise schuldig.

Renate Wagner

 

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