(c) Matthias Horn / Burgtheater
WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
SCHWARZWASSER von Elfriede Jelinek
Uraufführung
Premiere: 6. Februar 2020
Wenn jemand beispielsweise mit den Namen „Michelangelo“ lockt und dann in einer Großausstellung nur zwei bis drei von dessen Werken zeigt, nennt man das „Etikettenschwindel“. Wenn das Burgtheater in all seinen „Werbetexten“ ausführlich vom Ibiza-Skandal erzählt und Elfriede Jelineks Stück „Schwarzwasser“ als ihren Beitrag zu Österreichs Politskandal ankündigt – ja, dann ist die Rechnung wohl aufgegangen. Aber absolut nur in medialer, nicht in künstlerischer Hinsicht…
Der Run auf die Premiere war ungeheuerlich, das Pressebüro stöhnte unter den Anfragen, denn natürlich wollte auch das deutsche Feuilleton bei etwas dabei sein, das hundertprozentig einen brisanten Abend und mindestens einen Skandal versprach. Österreich-Beschimpfung, gewaltige Moralpredigt, die Nobelpreisträgerin sagt es ihren Landsleuten so richtig hinein!
Und dann? Fad war’s. Es wurde unwidersprochen geklatscht, obwohl eigentlich nach fast dreieinviertel vordringlich langweiligen Stunden kaum Anlaß dafür bestand. Wenn sich herumspricht, dass im „Schwarzwasser“ der Jelinek keine Jauche und Abfälle schwimmen, sondern nur ein paar vage, undefinierte Regieideen von Regisseur / Ausstatter Robert Borgmann – wie lange soll das Hautgout des aggressiven, kritischen Zeitstücks wohl anhalten?
Man kennt die Begabung der Jelinek, oft grausig präzise mit der Sprache umzugehen, die Doppelbedeutung und die Doppeldeutigkeit von Worten zu drehen und zu wenden, messerscharf zu formulieren und genau zu treffen – und daneben endlose Sprachballungen zu produzieren, durch die man vielleicht durchsteigt, wenn man sie im stillen Kämmerlein ein paar Mal liest, die aber auf der Bühne keine Chance auf Verständlichkeit haben. Und in „Schwarzwasser“ gibt es besonders viel davon.
Zudem weiß man, dass die Jelinek keine „Stücke“ schreibt, sondern nur Texte – sie selbst erklärt (im jüngsten Burgtheater-Magazin zu gegebenem Anlass): „Meine Theatertexte sind in erster Linie Sprechtexte (auch Lesetexte)“, die sie kollektiv rezipiert wissen möchte. Kurz, jeder Regisseur, der aus Wortwüsten mit gelegentlichen Geistesblitz-Oasen ein „Theaterstück“ machen muss, ist ein armer Hund. Allerdings reißen sie sich ja darum. Und sie haben absolute Freiheit, sie können machen, was sie wollen. Alles und dessen Gegenteil, alles ist erlaubt. Was einem halt einfällt. Oder nicht.
Aber was ist Robert Borgmann für seine Umsetzung des „Schwarzwassers“ denn eingefallen? Sinnfälliges jedenfalls nicht. Sein selbst geschaffenes Bühnenbild zeigt anfangs eine Riesenwand, und er verwendet viel Zeit darauf, diese ziemlich bald grausam und ausführlich zerlegen zu lassen. (Das ist teuer, von Vorstellung zu Vorstellung alles neu…) Denn Dreck und Chaos auf der Bühne machen sich gut – und ein rosa Gorilla dazu! Super! Wenn man gegen die Mitte des Geschehens kommt, sitzen spanische Infantinnen herum (nicht fragen, warum), man begegnet auch dem „Joker“ aus dem Kino, es gibt ein Live-Interview (mit gestotterten Strache Zitaten) vor Publikum (dieses wird vom „Chor“ gestellt). Und nach der Pause ist man in einem Museum. Auch nicht ganz klar, warum. Wenn man in der einschlägigen Szene nicht bewandert ist, fragt man sich, wer die so lieblich biedermeierlich gekleidete Dame auf dem Gemälde wohl sei. Glücklicherweise kann man so etwas nachlesen: Es soll die rechtsradikale deutsche Terroristin Beate Zschäpe sein. Die schafft es ja wohl auch nur auf dem Theater – ins Museum.
Jelinek-Text, was tun damit, wie verteilen, wie strukturieren? Borgmann bekam ein Spitzenpaar des Burgtheaters (für manche „das“ Spitzenpaar überhaupt), Caroline Peters und Martin Wuttke, zwei Darsteller, deren Bereitschaft zur Selbstentäußerung man kennt. Sie sind, ja, man kann es sagen, für jeden Blödsinn zu haben. Werfen sich in alles, was man ihnen abverlangt. Christoph Luser und Felix Kammerer bleiben da eher am Rande, obwohl Luser ganz unverkennbar den Kickl spielen durfte … dessen Aussprüche brauchen keine Jelinek-Verstärkung, da stehen einem von selbst die Haare zu Berg.
Den Sebastian Kurz mag die Autorin auch nicht gern, an dem höhnt sie herum, was das Zeug hält. Vergleichsweise kommt HC Strache eher milde weg. Dessen Philippa als „Blondine aus dem Osten“ zu beschimpfen, zeugt nicht von weiblicher Solidarität (und die Hündchen, die da herumspringen müssen – der Chor ist auch dazu gut -, machen sie unverkennbar). Apropos Chor…
Man ist beim Thema der akustischen Verständlichkeit, und wenn man es sich auch nicht recht vorstellen kann, so könnte man doch glatt vermuten, dass der Regisseur die Autorin, die schließlich nur aus Sprache besteht, eigentlich unhörbar machen möchte (findet er den Text sooo schlecht?). Entweder die Musik ist so laut, dass alles Gesagte untergeht. Oder der rosa Affe hat eine Maske auf, was die Verständlichkeit auf Null senkt. Oder der Chor „skandiert“, und das durchwegs so unpräzise, dass man keine Ahnung hat, worum es geht. (Wenn gar junge Damen singen, dann versteht man auch nichts, aber vor allem rollt es einem die Nägel auf, so scheußlich klingt es.)
Oder Peters und vor allem Wuttke machen sich einen Spaß daraus, ihre Sprache entweder so zu verbiegen oder dermaßen zu flüstern, dass man ohnedies nichts mitbekommt. Wenn man es genau nimmt, war das penetrant-boshafte Geflüstere von Martin Wuttke gegen Ende des Stücks das Einzige, was wirklich provokant wirkte. Am liebsten hätte man ihm zugerufen: „Verdammt nochmal, mach den Mund auf und sprich ordentlich!“ Aber er tat es absichtsvoll und mit Lust nicht. Warum? Nicht fragen.
Kein Skandal, worauf hätte sich dieser schließlich beziehen sollen? Sie hat ja niemandem weh getan (abgesehen davon, dass Langeweile im Theater eine schwere Sünde ist). Im übrigen schienen ohnedies nur „Freunde“ im Theater zu sein. Also Beifall, weit mehr, als Stück und Aufführung verdienten.
Ja, und „Ibizia“? Davon hat man, seien wir ehrlich, so gut wie gar nichts bemerkt…
Renate Wagner