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WIEN / Akademietheater: REICH DES TODES

03.04.2022 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: c_Marcella Ruiz-Cruz

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
REICH DES TODES von Rainald Goetz
Österreichische Erstaufführung
Premiere: 2. April 2022 

Im Grunde ist es nicht direkt ein Stück über 9/11, Der Anfang erweckt den Eindruck (nachdem ein langer „Prolog“ mehr oder minder geturnt und getanzt wurde, zu Hintergrundlichtspielen des vom Regisseur beigestellten Bühnenbilds. Warum? Wer weiß?), Da tritt Martin Schwab vor, der davon erzählt, wie ein Mann an jenem 11. September 2001 am Fenster eines der Zwillingstürme von New York stand, um fassungslos zu beobachten, wie ein Flugzeug direkt auf ihn  zuflog. Sekunden später war er tot, ebenso wie der noch einmal Allah preisende Pilot und alle Insassen dieses Fliegers. Aber darum geht es nicht.

Autor Rainald Goetz, von dem das Burgtheater im Jahr 2000 sein Theaterstück „Jeff Koons“ zeigte, hat „endlich“ – wie die deutsche Theaterszene erleichtert feststellte – wieder ein Stück geschrieben, falls man „Reich des Todes“ als solches bezeichnen kann. Tatsächlich ist es eine schier endlose, im Endeffekt dreieinhalbstündige Szenenfolge (bei der Hamburger Uraufführung hat man angeblich gut vier Stunden gebraucht), die nicht unbedingt dramaturgischen Gesetzen folgt. Was die Arbeit für die Regie einerseits schwer macht, denn man will ja doch etwas vermitteln, andererseits leicht, weil die große Freiheit bei der Interpretation herrscht.

9/11 ist für Goetz nur der Ausgangspunkt für das, was er in seinem apokalyptischen Stückwerk erzählen möchte. Es geht ihm vordringlich um die Folter, und er variiert dieses Problem im Lauf der Abends unermüdlich, viel zu lang und vor allem bewusst peinigend für die Zuschauer. Es ist ja nun auch ein Thema, mit dem sich niemand gerne beschäftigt (wenn auch die Amerikaner erst kürzlich zwei Filme dazu gemacht haben, „Der Mauretanier“ und „The Card Counter“). Darum betrachtet Goetz es wohl als seine Aufgabe, den Finger in die vor der Welt schlecht verborgene Wunde zu legen und für das Theater alles hervorzuholen, was es da an Blut, Eiter, Schmerz und Fassungslosigkeit gibt.

Von Anfang an spielen viele Szenen (und eigentlich zu parodistisch, wenn man den Ernst des Themas betrachtet) in der amerikanischen Regierung, wo Georg W. Bush als jener Dümmling dargestellt wird, der er möglicherweise war. Für seinen Stab steht fest, wie man die Katastrophe am besten nützen kann – in der totalen Einschränkung aller Bürgerrechte unter dem Vorwand, es gehe ja „nur“ gegen die bösen Terroristen. Was bedeutete, dass man sich angesichts von „Verdächtigen“ jede Freiheit zu brutalsten Foltermethoden nahm.

Goetz erspart den Amerikanern nichts, schiebt aber immer wieder Szenen aus dem beginnenden Dritten Reich ein, um klar zu stellen, dass die Verbrechen hier ganz ähnlich gelagert waren. In einer der schlimmsten Szenen, die man je gesehen hat, sinniert ein Mächtiger (Hitler?), während er mit Blut beschmiert wird, was er seinen Feinden alles antun möchte, und das ist dermaßen unvorstellbar abgründig-grauenhaft, dass man sich am liebsten die Ohren zuhalten würde. Die menschliche Perversion wird gekrönt, wenn anschließenden „Sink hernieder“ aus Wagners „Tristan und Isolde“ angestimmt wird…

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Zwei monologische Szenen setzen weitere Schwerpunkte – in einem sinniert ein Opfer, der alle Stadien seiner Folterung schildert, darüber nach, wer wohl die Menschen sein mögen, die dergleichen zu ihrer persönlichen Wonne exekutieren. Und ein junger Mann, der in einen Käfig klettert, kommt in  seinen (akustisch nicht sehr verständlichen) Reflexionen gewissermaßen vom Hundertsten ins Tausendste, um das Thema in seiner schrecklichen Fülle zu umreißen…

Nach der Pause bleibt Goetz zwar durchaus bei der Folter, aber man hat das Publikum noch nicht genug gequält. Nun geht es um den ungerechtfertigten Krieg, den die Amerikaner mit dem Vorwand 9/11 begonnen haben, vor allem aber werden die Hinrichtungen des Ehepaares Ceausescu und von Saddam Hussein geradezu minutiös geschildert…

All das ergibt, wie gesagt, kein Stück, sondern eine Szenenfolge, und Regisseur Robert Borgmann hat anhand von Werken von Ewald Palmetshofer und Elfriede Jelinek schon gezeigt, dass er dergleichen sehr gut kann. Sein Bühnenbild, das nie real ist, bewegt sich häufig, und die Darsteller agieren mehr oder minder in einer Art Choreographie, wobei es immer wieder zu Aktionen kommt, deren Sinn man wohl nicht einmal verstehen soll (etwa wenn die Darsteller gegen Ende den Fußboden aufreißen). Letztendlich ist es zwar keine Show, aber als Polit-Performance mit viel Musik und  „Action“ zu nehmen. Durch absichtliche akustische Überlagerungen (Komposition: Alva Noto) ist nicht alles, was auf der Bühne gesagt wird, zu verstehen, aber der emotionale Schock des Abends geht ohnedies weit über den verbal formulierten Erkenntniswert hinaus.

Das wird besonders schlimm, wenn Martin Schwab am Ende wieder kommt und eine „erklärende“ Rede hält, die wie der Vortrag eines eher verschwurbelten Gelehrten klingt, der im Endeffekt nichts besonders Einleuchtendes zu sagen hat. Goetz ist nicht der Erste, dem eingefallen ist, dass die Neigung der Menschheit zu Gewalt irgendwo tief in den Genen sitzt und dass Menschen sich zu leicht dazu verführen lassen… Mit diesem schwächlichen Schlußgerede, das auch noch langweilt, stürzt der Abend in seiner Wirkung ab, was den Schlußapplaus aber nicht beeinträchtigt hat.

Das Ensemble umfasste (gelegentlich von einer Statistenschar verstärkt) drei Damen und fünf Herren, wobei die Damen (Elisa Plüss,  Safira Robens, Andrea Wenzl) durchaus glänzend waren, allerdings in ihren solistischen Möglichkeiten weit hinter den Männern blieben. Marcel Heuperman genoß den Monolog, wie man Menschen quälen kann, und zeigte wieder einmal seine auch aus seiner Körpermasse resultierende Kraft, entsetzlich zu brüllen und sich bis zum Exhibitionismus lustvoll auszutoben. Felix Kammerer war trotz mangelnder Verständlichkeit vor allem in dem „Käfig“-Monolog beeindruckend. Mehmet Ateşçı̇ „sang“ (obwohl er natürlich sprach) in Frauenkleidern seinen Monolog als Gefolterter wie eine elegische Arie. Scharfe Nuancen setzte Christoph Luser, weniger Glück mit seinem Text (zumal dem schwächlichen Schlußmonolg) hatte Martin Schwab.

Nehmt alles nur in allem waren es dreieinhalb Stunden, die nur Sadisten oder Masochisten goutieren werden, für normale Menschen ist es eine  ziemliche – Folter. Der Autor war selbst erschienen, um sich den doch sehr überzeugend klingenden Applaus für seine Horrorschilderung abzuholen. Immerhin – das Theater als moralische Anstalt. Und Moral ist ja nun einmal anstrengend.

Renate Wagner

 

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