Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN / Akademietheater: PHÄDRA, IN FLAMMEN

08.10.2023 | KRITIKEN, Theater

02 phädra in flammen c ruiz cruz 6781 v~1
Foto: © Marcella Ruiz Cruz

WIEN /  Akademietheater des Burgtheaters:
PHÄDRA, IN FLAMMEN von Nino Haratischwili
Österreichische Erstaufführung
Premiere: 7. Oktober 2023 

Zu Beginn könnte man noch vermuten, in der richtigen Geschichte zu sein, wenn eine Frau, die offenbar Phädra, die Königin von Athen ist, sich über ihr Schicksal beklagt. Sie hat die Nase voll (ihre Ausdrucksweise ist genau so absolut heutig) von ihrem Gatten Theseus (jener, der auch – wie jeder Opernfreund weiß – ein Verhältnis mit ihrer Schwester Ariadne hatte). Er dient zwar seine ehelichen Pflichten ab, betrügt sie aber, und eigentlich geht ihr alles auf die Nerven, auch ihr Job als Königin… Ja, wenn man aussteigen könnte, das wär’s,

Gut, wenn sie nun klar machte, dass sie sich in ihren Stiefsohn verliebt hat, wäre man bei „Phädra“, aber so, wie die georgische Autorin Nino Haratischwili die Handlung weiter spinnt, ist es reiner Etikettenschwindel. Man ist wohl auch nicht in der Antike, wenn eine Tempelzeitung heraus gegeben wird, und sowohl die lesbische Wendung (nach „Petra von Kant“ ist auch die zweite Akademietheater-Premiere davon geprägt) wie auch der politische Zeigefinger wirken klebrig.

Außerdem sind mit Ausnahme von Gatten Theseus alle anderen Figuren erfunden, die beiden leiblichen Söhne, die Phädra hier hat, ebenso wie der intrigante Hohepriester, Tatsächlich gibt es bei Jean Racine, der (nach dem Vorbild des so gut wie nie gespielten Seneca das Paradestück der „Phädra“ geschrieben hat) eine Schwiegertochter – aber dass diese als flotte Lesbe der Königin Avancen macht, dass diese sich tatsächlich verliebt, dass der Skandal aufgedeckt wird und der Hohepriester die Gelegenheit benützt, die Schwiegertochter als Menschenopfer von Hunden in Stücke reißen zu lassen…

Ja, das klingt fast spannender, als es sich dann auf der Bühne ansieht. Das liegt daran, dass der Text der von vielen hoch geschätzten Autorin kaum je auf den Punkt kommt, viel aufgeblasenes Geschwurbel und keine wirkliche Charakterzeichnung bietend, schon gar keine Dramatik. Das Geschehen plätschert dahin, und nichts daran interessiert wirklich.

Regisseurin Tina Lanik lässt in einer sich minimal verändernden Ausstattung von Stefan Hageneier (eine Variation von „eigentlich leere Bühne“) der roten Farbe huldigen, schließlich behauptet ja der Titel „Flammen“, von denen man nichts merkt. Die Männer tragen schwarze lange Kleider oder Röcke, eine seltsame, skurril gekleidete Statistenschar identifiziert sich nicht – in welcher Welt ist man eigentlich, wo die Sprache so heutig ist? („Ich stehe auf Schwänze.“)

Sophie von Kessel wirkt nicht wie eine resignierte Frau entre deux ages, die sehnsüchtig darauf wartet, dass in ihrem Leben noch etwas passiert. Sie ist zornig. Ganz in Rot, dünn, mit gespreizten Beinen da hockend, wirkt sie wie eine gefährliche Spinne, der man besser nicht in die Nähe kommt. Immerhin ist es ihre starke Präsenz, die dem Abend ein Zentrum gibt, denn rund um sie begibt sich eigentlich – nichts.

Am ehesten glaubt man noch Philipp Hauß, weißhaarig als Panopeus, dass dieser Hohepriester Schlimmes vor hat, aber dergleichen traut man ja religiösen Personen heutzutage immer zu. Ernest Allan Hausmann hat als Theseus nicht die Ausstrahlung brutaler Härte (der Mann hat schließlich den Minotaurus besiegt!), wirkt  bestenfalls wie ein Durchschnitts-Direktor, und das Handlungselement, dass er von der Macht nicht lassen kann (obwohl er es immer verspricht), tritt auch nicht eben hervor. Die beiden Söhne (Julian von Hansemann und Etienne Halsdorf) sind nicht unsympathisch, aber kaum präsent. Und Dagna Litzenberger Vinet als Schwiegertochter ist der Schwachpunkt des Abends. Früher hätte man eine Schauspielerin mit so elender Sprachtechnik nicht auf die Bühne des Burgtheaters gelassen, und sexuelle Verführung geht von dieser beiläufigen heutigen Durchschnittsfrau auch nicht aus.

Stellen wir uns einmal vor, man hätte sich das Racine-Stück hergenommen. Eine verschmähte alternde Frau klagt aus Rachegefühlen den jungen Mann der Vergewaltigung an, und ohne ihn anzuhören, wird er sofort von allen verurteilt – eine #metoo-Situation, wie sie klassischer nicht in unsere Zeit passen könnte (wo ja der Mißbrauch von #metoo auch schon vorgekommen sein soll…). Jedenfalls wäre das weit überzeugender als die „Überschreibung“, die keine ist, weil ihr kein Original zugrunde liegt und die Erfindung mager ist.

Der im Akademietheater gebotene zweistündige Abend erweckte den Eindruck, als ob die Personen auf der Bühne sich ziemlich langweilten, und zweifellos langweilte sich ein Teil des Publikums vehement mit ihnen. Aber es gab, wie immer, auch jene, die für starken Beifall sorgten.

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken