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WIEN / Akademietheater: PELLÉAS UND MÉLISANDE

13.06.2021 | KRITIKEN, Theater

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Alle Fotos: Burgtheater / c_Susanne-Hassler-Smith

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
PELLÉAS UND MÉLISANDE von Maurice Maeterlinck
Premiere: 12. Juni 2021

Keine Frage: Der überwiegende Teil auch der theaterinteressierten Zeitgenossen wird „Pelléas und Mélisande“ nur als Oper von Debussy kennen (oder vielleicht einmal auch Schönbergs Sinfonische Dichtung dazu im Konzertsaal gehört haben). Dass es ein Theaterstück ist und was dieses bedeutet – das wissen vielleicht nur noch die Theaterwissenschaftler (die das vor langer Zeit „gelernt“ haben, als Theaterwissenschaft noch eine solche und nicht bloß Medienkunde war).

Ob heute noch auf den Spielplänen der Bühnen oder nicht, der Belgier Maurice Maeterlinck (1862-1949) war der wichtigste Vertreter des europäischen Symbolismus um die vorige Jahrhundertwende, zumal mit seinem Stück „Pelléas und Mélisande“ aus dem Jahre 1892. Jugendstilranken scheinen diese spätromantische Geschichte zu durchziehen, die voll von rätselhaften Gefühlen und dunklen Mysterien durchwoben ist. Ja, es hat die Musik gebraucht, um das in seiner ganzen Magie zu vollenden. Wie wirkt das auf dem Theater? Das wissen wir leider nicht, denn das Stück haben wir nicht gesehen.

Eine Mélisande, das Mädchen, das Golaud im Wald findet und von dem man eigentlich nichts Konkretes erfährt, kann mit ihrem langen Goldhaar einen Regisseur von heute nur – an eine Barbiepuppe erinnern. So erklingt auch der erste Song des Abends, und Sophie von Kessel müht sich mit der grellblonden, lockigen Landhaarperücke der besagten Puppe auf einem Laufband ab… Unsere Zeit und Welt wird diese Inszenierung beherrschen, mit vielen lautstarken Einlagen aus der heutigen Quiz-Show-Welt. Warum? Nie sollst Du mich befragen.

Der amerikanische Regisseur Daniel Kramer zählt offenbar zu jenen Interpreten, die sich frei und berechtigt fühlen, aus einem Stück zu machen, was ihnen in den Sinn kommt. Zum Beispiel will er, wie er auf der Website des Burgtheaters berichtet, am Beispiel dieses Werks die Schicksale sämtlicher Frauen seiner Familie erzählen (was wohl nicht im Maeterlincks Sinn war). Und er dichtet eine Figur ganz in Hinblick auf die heutzutage so in den Vordergrund gerückte Gender-Problematik um. Und wo es um ein „Geschöpf aus einer anderen Welt“ in der Enge einer veralteten Gesellschaft geht – da entfernt man sich so weit von jeder Glaubwürdigkeit, dass die Geschichte überhaupt nicht trägt. Aber wer verlangt das schon heutzutage?

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Grundsätzlich sollten Melisande und Pelleas, der Bruder ihres Mannes, jung sein inmitten von lauter Alten und einem Kind, aber schon das findet nicht statt, raubt dem Stück ein wesentliches Element. Sophie von Kessel und Felix Rech sind Schauspieler in mittleren Jahren, kein Zauber der Jugend waltet. Und sie leben (das Stück hat schließlich etwas Märchenhaftes, könnte der Regisseur einwenden) in einer schrägen Horrorwelt: Der Golaud, der sich Mélisande nähert (grobschlächtig, aber ein besserer Sprecher als die meisten: Rainer Galke) tut es mit solch aufgebundenen Riesenhänden, dass man schon weiß: Mit dem ist nicht gut Kirschen essen.  Seine Mutter Geneviève (Barbara Petritsch) sitzt im Rollstuhl, künstliche Riesenbrüste hängen herab, dicke Kunstbeine machen sie gänzlich zur Groteskfigur. Und Arkel (Branko Samarovski) ist meist im Spitalsbett zu finden… Ja, vor denen kann man nur davon laufen. Dass sich in der Liebe von Mélisande und Pelléas dennoch nicht der geringste Zauber entspinnt, das ist dem verqueren Konzept, dem Alter der Darsteller, der extrem hässlichen Ausstattung (Bühne Annette Murschetz / Kostüme Heidi Hackl) und der dauernden Störung durch die eingestreuten Fernsehwelt-Passagen zuzuschreiben.

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Ja, und da ist ja noch Yniold, eigentlich einfach ein Junge, Mélisandes Stiefsohn, hier zu einer eigenen Story aufgewertet. Maresi Riegner darf wieder eine ihrer gewissermaßen schreckenerregenden Extrem-Interpretationen liefern, und vom Klo (wie schon in „Fräulein Julie“) kommt sie nicht los. Daraus holt sie sich eine Blondhaar-Perücke und Lippenstift, und ja, wir begreifen es, der Bub fühlt sich als Mädchen, schließlich liest man ja plötzlich dauernd von den Menschen, die zwischen den Geschlechtern stehen. Dazu trägt sie einmal ein weißes Brautkleid, zieht aus diesem einen wirklich riesigen Hodensack hervor und säbelt ihn mühevoll ab. Ja, ja, wir verstehen schon!

Was die Dame soll, die dauergrinsend als Quiz-Assistentin fungiert und als Vanna White (Leonie Berner) am Programmzettel steht, wohl in Erinnerung an „Monna Vanna“, einst ein anderes sehr berühmtes Maeterlinck-Stück – aber man begreift ja so vieles nicht.  

Und das ist Konzept, denn der Regisseur hat schließlich erklärt. „Mein Lieblingstheater ist jenes, das ich nicht verstehe; wenn ich nicht einordnen kann, was da passiert.“ Das hat er geschafft (nur dass es Theaterbesucher geben wird, für die genau das nicht das „Lieblingserlebnis“ ist). Er hat aus einem Zauber-Stück eine krude, hässliche Rocky Horror-Show geschaffen, die schmerzlich und misstönend an den Nerven der Zuschauer zerrt.

Renate Wagner

 

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