Foto: Lalo Jodlbauer
WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
ORLANDO
nach dem Roman von Virginia Woolf in einer Fassung von Tom Silkeberg
Premiere: 8. September 2024
An der Handlung entlang geblödelt
Virginia Woolf hat „genderfluid“ erfunden, bevor es noch den Begriff gab. Ihr Romanheld Orlando stellt sich dem Leser als junger Mann im 16. Jahrhundert als Günstling am Hof von Queen Elizabeth I. vor und endet als Heldin Orlando 1928, zur Zeit der Autorin und des Erscheinen des Buches. Heutige Trans-Fragen befassen sich allerdings mit sexueller Identität. Für Virginia und ihre streitbare Freundin Vita Sackville-West war es jedoch eine gesellschaftspolitische Frage, warum sie als Frauen weniger wert sein sollten als Männer… wobei es zu Zeiten der Autorin auch knallhart um das Geld ging, das Frauen oft nicht erben und besitzen durften.
„Orlando“ ist immer wieder verfilmt, vertont und auch dramatisiert worden. Die zweite Premiere der Ära Bachmann, die erste im Akademietheater, wurde der schwedischen Regisseurin Therese Willstedt anvertraut, die in einer Fassung von Tom Silkeberg eigentlich wenig mehr im Sinn zu haben scheint, als die Stationen der Handlung flüchtig und gewissermaßen als Theaterg’spaß mit viel Geblödel nachzuerzählen.
Es beginnt damit, dass vor leichten grauen Vorhängen (Bühne und Licht: Mårten K. Axelsson) Figuren auf und ab marschieren – die Musik (Emil Assing Høyer) macht dabei einen solchen dramatischen Lärm, dass man meint, sie kämen direkt aus der Hölle. Dann formieren sich die Darsteller auf der Bühne – sieben Damen und Herren, darunter zwei ältere Semester. Alle tragen dieselbe schwarze, lockige, halblange Perücke – alles Orlando, oder was? Nach fünf Hamlets nun sieben Orlandos? Aber sie werden nicht differenziert, die längste Zeit werfen sie sich nur, schwarz gewandet, Brocken aus dem Roman zu.
Dieser ist nun logischerweise, schon durch die Unsterblichkeit des Helden / der Heldin, ein absurdes Werk, auch im wirren Geschehen, wobei viele den Wert des Buches auch in den Reflexionen von Virginia Woolf über England im Lauf der Jahrhunderte sehen. Die Handlung ist ein echte Tohuwabohu, die Geschlechts-Wandlung Orlandos in Konstantinopel wird von der Autorin nicht begründet. Ein Roman auf vielen Ebenen und fraglos ein Meisterwerk.
In der Wiener Aufführung hat man nach einer Stunde fast die Hoffnung aufgegeben, dass sich unter den herumschäkernden schwarzen Herrschaften noch etwas tut, bis sich die Regisseurin dann (Konstantinopel ist bunt) zu einigen Theatereffekten entschließt (warum ein Schwimmreifen dazu gehören muss, weiß man nicht), Orlando als Frau bekommt dann entsprechende Kleidung, im 19. Jahrhundert tauchen Krinolinen auf, und schließlich geht es nach 110 pausenlosen Minuten abrupt zu Ende.
Die Darsteller knäulen sich meist als Kollektiv, einzelne haben gelegentlich eine Szene, die herausragt – Elisabeth Augustin, wenn sie entdeckt, dass sie, also Orlando, eine Frau geworden ist; der grotesk gekleidete Markus Meyer, der erkennt, dass das Frauenleben gar nicht so angenehm ist; Seán McDonagh, der eine der kritischen Passagen der Autorin andeuten und über das Viktorianische Zeitalter reflektieren darf; oder Stefanie Dvorak mit dem forschen Auftritt des Marmaduke, der später Orlandos Mann wird. Da sind auch noch Nina Siewert, Martin Schwab und Itay Tiran (den man am allerwenigsten bemerkt).
Natürlich kann die Umsetzung von Romanen auf die Bühne immer nur punktuell erfolgen (deshalb fragt man sich auch, warum es immer wieder geschieht, wo doch die Erfolgsaussichten so gering sind). Wie viel diejenigen, die „Orlando“ nicht gelesen haben, davon an diesem Abend mitbekommen, sei dahingestellt. Nicht alle anderen werden die Interpretation, wie sie hier geschieht, schlüssig finden. Was dem Applaus keinen Abbruch tat – natürlich. Aber niemand, der „Orlando“ vorher nicht kannte, soll glauben, er wisse nach diesem Abend etwas über das Buch. Lesen!
Renate Wagner