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WIEN / Akademietheater: MOSKITOS

24.10.2021 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Burgtheater  / Marcella Cruz Ruiz

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
MOSKITOS von Lucy Kirkwood
Österreichische Erstaufführung
Premiere: 23. Oktober 2021 

Die Überschätzung der Lucy Kirkwood hält an, man hat noch kein bemerkenswertes Stück von ihr gesehen, dennoch wird sie immer wieder gespielt, und das neueste Angebot des Burgtheaters (im Akademietheater) gibt keinen Anlass, diese Meinung zu ändern.

Im Grunde ist „Moskitos“ eine völlig überdrehte, künstliche Familiengeschichte, die aus lauter Einzelszenen besteht, meist Dialoge, manchmal ein paar Leute mehr. Da ist eine ziemlich alte Mutter, die einmal den Nobelpreis für – ja was? Atomphysik vielleicht? fast bekommen hätte, aber er ging natürlich an ihren Mann, wie das Frauen angeblich immer wieder einmal passiert. Sie hat eine begabte, intelligente Tochter namens Alice, die in Genf bei CERN an einem Teilchenbeschleuniger arbeitet. Und eine weitere, wie man früher gesagt hätte, „missratene“ Tochter, die nichts auf die Reihe bekommt, säuft und raucht und ihr Kind sterben sehen muss, weil sie abgelehnt hat, es impfen zu lassen. Falls das die aktuelle Moral von der Geschichte sein soll… immerhin hat man bei den einleitenden Worten des Direktors vom Tonband das beschwörende „Lassen Sie sich impfen!“ weggelassen. Denn wer im Theater sitzen darf, ist ja vermutlich geimpft… und die anderen kann man nicht einmal mit den Freuden eines Theaterbesuchs dazu bewegen, wie es scheint.

Auf diese zweite Tochter Jenny mag sich der Titel des Stücks beziehen, denn sie gehört zu den Menschen (jeder kennt solche), die sich wie Blutsauger an alle heften, die es sich gefallen lassen, und von deren Kraft leben.  Im übrigen ist sie ein Geschöpf zum Fremdschämen, nicht nur, wenn sie hirnlos jeden Blödsinn aus dem Internet und den Sozialen Medien nachplappert, sondern wenn sie etwa den Freund der Schwester verführen will.

Da ist dann noch der Sohn von Alice, der sich allerlei um seinen verschwundenen Vater zurecht spinnt, von dem man nicht weiß, warum er seine Mutter so hasst, und den die Autorin in alle Teenager-Nöte hetzt (inklusive, dass eine böse Schulkollegin ihn sexuell aufreizt und dann das Foto seines besten Stücks in die Runde sendet).

Unter diesen Figuren spielt sich nun die absolut mühselige Handlung ab, die ihre Thematik recht oberflächlich behandelt  – Frauen in der Wissenschaft, Frauen, die ihren Beruf vielleicht mehr lieben als ihre Familie, aber im Fall von Alice die schwere Last Jenny auf sich nehmen (und den Sohn auch noch, und mit der Mutter ist es auch nicht leicht). Herumgeschreie, Herumgejammere, Getöns. Mühsam.

Die Trivialität des Ganzen wird nicht unbedingt besser, wenn „das Boson“ (jetzt muss man wie die dumme Jenny glatt googeln, damit man weiß, dass das „Higgs-Boson“ ein Elementarteilchen ist (das nach kurzer Zeit zerfällt) und das hier rund um Modelle für den Weltuntergang so viel Wissenschaftsgeschwafel ablässt, dass man am liebsten wegschlafen würde. Falls es da überhaupt etwas zu verstehen gibt, kann man voraussetzen, dass es wohl bestenfalls ein Prozent der  Theaterbesucher sind, die wissen, was das soll.

Vielleicht hat auch Regisseur Itay Tiran gespürt, wie müde und substanzlos die ganze Geschichte ist. Aber statt sie einfach mit Verve herunterspielen zu lassen, lässt er sie – ja, sicher, mit Verve herunterspielen, aber im gänzlich luftleeren, weißen Raum (Bühne Jessica Rockstroh  / Kostüme Su Sigmund). Die schwarze rundliche Öffnung  an der Decke ist wohl das mehrfach zitierte „schwarze Loch“.

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Im übrigen spielt der ganze dreistündige Abend in diffusem, weißen nebelartigen Zwielicht, das zwar das Geschehen „mystisch“ verfremden möchte, aber tatsächlich nur Kopfweh verursacht und auch verhindert, dass man die Schauspieler genau sieht. Dies als Inszenierungsmodus anzubieten, ist eigentlich eine Verhöhnung der Theaterbesucher.

Aber sie spielen fabelhaft, die Handvoll Darsteller auf der Bühne. Obwohl sie nicht die Hauptrolle hat, will man zuerst Barbara Petritsch als Mutter nennen. Man hat sie oft vorzüglich gesehen, aber selten so intensiv wie hier, wo man ihr sowohl die einstige große Wissenschaftlerin glaubt wie auch die kühle Pragmatikerin, die sich über die Töchter keine Illusionen macht – und auch nicht, und das ist beklemmend, über das eigene Altern und Absterben. Eindrucksvoll.

Sabine Haupt ist Alice, der Prototyp jener Frauen, die die Welt am Laufen halten, weil sie immer für alle anderen da sind (und dabei würde sie am liebsten nur in ihrem Labor arbeiten und arbeiten und arbeiten). Bis sie umkippt und sich von der Schwester nicht mehr aussaugen lassen will, führt ein weiter Weg von kraftvollem Kämpfen gegen alle Probleme (wobei der Sohn auch kein geringes darstellt). Noch einmal: eindrucksvoll.

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Es scheint, als zöge Mavie Hörbiger in der Ära Kusej die allerbesten Rollen an Land. Diese nervtötende, fordernde, rücksichtslose Jenny mag keine sympathische Zeitgenossin sein – aber was für eine Rolle! Und wie selbstverständlich geht sie durch die ganze Egozentrik ihres erratischen Verhaltens. Eindrucksvoll zum Dritten.

Sehr gut bekommt Felix Kammerer den jungen, durch alle Gefühlsabgründe schwankenden Sohn in den Griff. Bless Amada darf als Alices PoC-Freund auftauchen und ehrenwerte Figur machen, wenn er Jennys peinliche Anmache abwehrt. Zwei junge Damen aus dem Reinhardt-Seminar sind dabei, Caroline Baas mit größerer, Pia Zimmermann mit kleinerer Rolle.

Ja, und Markus Meyer sieht als „Bosom“ aus, als wäre er als „Sperma“ aus Woody Allens „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten aber bisher nicht zu fragen wagten“-Film entsprungen und muss sich ziemlich lächerlich machen. Dafür hätte man keinen Klasseschauspieler seiner Größenordnung missbrauchen müssen.

Am Ende gab es heftigen Beifall. Er kann ja nur den drei außerordentlichen darstellerischen Leistungen der Damen gegolten haben, wohl nicht dem Stück. Und auch nicht dem Regisseur, der mit seiner affektierten Beleuchtungs-Attitüde, mit seiner Nebelsuppen-Inszenierung den Besuch der Aufführung zu einer solchen Mühsal macht.

Renate Wagner

 

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