Fotos: Barbara Zeininger
WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
LUDWIG II. nach dem Film von Luchino Visconti
Bühnenfassung von Bastian Kraft
Premiere: 10. Dezember 2016
Es war wieder einmal ein spannendes Erlebnis, sich die dreieinhalb (!) Kinostunden von Luchino Viscontis „Ludwig II.“ zu geben. Zwar wusste man in diesem Fall, dass Kenntnis des Originals überflüssig sein würde, wenn Bastian Kraft dem Film eine seiner berühmten „reduzierten“ Bühnenfassungen angedeihen lässt (er hat ja auch schon 2013 den Hofmannsthal’schen „Jedermann“ auf eine Figur zusammen geschmolzen – wie immer mit ausführlicher Hilfe von Video).
Sicherlich also war kein breites Lebensgemälde des tragischen, letztlich undurchsichtigen Bayernkönigs zu erwarten wie bei Visconti, der sozusagen alle Facetten dieser Geschichte – privat und politisch, erotisch und manisch – berücksichtigte. Denn im Akademietheater sind sie zu dritt – Ludwig, Cousine Kaiserin Elisabeth von Österreich und Richard Wagner. Drei weiße Gestalten vor einer Spiegel-Wand – kann man nun ein Terzett der ausgewiesensten Egozentriker ihrer Epoche erwarten?
Am Ende hat sich das Wiedersehen mit dem Film doch gelohnt, denn immerhin erkennt man breite Dialogstellen und muss auch zugeben, dass der Regisseur für seinen knapp zweistündigen, pausenlosen Abend die biographisch wichtigsten Brocken gewählt hat. Aber wie viel bekommt man eigentlich davon mit?
Denn die drei Gestalten, die da live auf der Bühne stehen, erhalten mehr als reichlich Videogesellschaft. Aber jeder, der da als Mitspieler von der Leinwand kommt, ist auch „Ludwig“ Markus Meyer. Ob Frauen (seine Mutter, seine Braut Sophie, Cosima von Bülow), ob Männer (von seinem Bruder über die Minister bis zu seinen Spielgefährten), alles Meyer oder was? Nun ist der ja ein glänzender Schauspieler, der sich beim Verwandeln nicht allein auf Kostüm- und Maskenbildner verlässt, sondern auch mit Mimik und vor allem Sprache großartig differenziert. Und außerdem gibt er nicht eine Figur, nicht einmal den Pater, der Lächerlichkeit preis. Meyer als das Personal des Visconti-Films, das ist eine Leistung für sich.
Sie erschlägt nur den ganzen Abend. Die Riesengesichter auf der Riesenleinwand lassen die drei „Echtmenschen“ da am Boden, die sich auch andauernd in der Leinwand spiegeln und regelrecht bildlich mit den Videos korrespondieren, geradezu verschwinden. Sie sind zu klein, man sieht ihnen nicht zu. Sie sind auch als Figuren nicht wirklich interessant (und das ist der dramaturgische Einbruch des Ganzen): Wer ist dieser Ludwig, wer ist diese Elisabeth und schon gar dieser völlig farblose Richard Wagner – eine Frage, die sich auch stellte, hätte man nicht Viscontis Schauspieler in Erinnerung? Die Geschichte des Untergangs verschwimmt im Maskenspiel auf der absolut virtuos gehandhabten Videowand (Video: Jonas Link). Dass der Abend auch einen Bühnenbildner nennt (Peter Baur) begreift man kaum, die weißen Kostüme (mit Schleppe für Ludwig und Elisabeth) stammen von Dagmar Bald, die Musik, die nicht Richard Wagner bemüht, von Arthur Fussy.
Dramaturgisch bringt Bastian Kraft auch immer wieder rudimentär den Film ein, Berichte von dessen Dreharbeiten, Reflexion über die einstigen schlechten Kritiken, einmal darf Wagner / Johann Adam Oest auch Visconti sein, Elisabeth / Regina Fritsch auch Romy Schneider, Ludwig / Markus Meyer auch Helmut Berger. Aber erst am Ende, wenn in einer langen Filmsequenz alle (Meyer’schen) Figuren ihre Masken ablegen und der „echte“ Ludwig splitterfasernackt in ein Loch steigt, aus dem dann Wasser plätschert (mehr bedarf des im Theater nicht für den Starnberger See) – dann hat Bastian Kraft mehr zu bieten als Videospielchen rund um das Visconti-Original. Aber die Charaktere hat der Bearbeiter / Regisseur noch immer nicht „erpackt“.
Die Großleistungen des Markus Meyer spielen sich auf der Videowand ab, der echte Ludwig versinkt, wird als Charakter nicht umrissen. Selbst wenn man nicht an Romy Schneider denkt (die diese harsche Version der „Sissi“ bei Visconti spürbar genossen hat), ist Regina Fritsch nicht im geringsten überzeugend. Und der arme Johann Adam Oest? Sein Wagner ist so profillos ausgefallen, dass er froh sein muss, wenn man ihn überhaupt bemerkt.
Fazit: Wo Visconti das breit gefächelte Untergangsszenario einer tragischen Persönlichkeit liefert, gibt es auf der Bühne des Akademietheaters ein digitales Selbstzweck-Virtuosenstück, das ins Leere rast. Und am Ende bleibt man mit der Frage zurück, ob Aufwand und Ergebnis des Abends auch nur in einer halbwegs vernünftigen Relation stehen.
Renate Wagner