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WIEN / Akademietheater: KASPAR

11.11.2023 | KRITIKEN, Theater

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Alle Fotos: © Susanne Hassler-Smith

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
KASPAR von Peter Handke
Premiere: 10. November 2023 

Es ist mehr als ein halbes Jahrhundert her, dass die „Achtundsechziger“  aufbrachen, die Welt ihrer Väter in Stücke zu hacken (was ihnen so nachdrücklich gelang, dass seither nichts mehr richtig funktioniert). Peter Handke war eine Galionsfigur der Bewegung, berühmt geworden als „Publikumsbeschimpfer“, aber auch mit „Kaspar“ als der Mann, der „Theater“ von realer Handlung loslöste und in Sprache umsetzte. (Wobei er als „Sprach-Spieler“ später noch von Kollegin Jelinek übertroffen wurde.)

Dass Bewusstsein und auch Individualität durch Sprache „gemacht“ werden gilt heute wie damals, heute, wo zügellose Terroristen oder randalierende Antisemiten nur ausagieren, was ihnen einmal „Einsager“ eingebläut haben. Solche „Einsager“, wie Handke sie seiner Hauptfigur Kaspar, dem Mann ohne Sprache und Hintergrund (genannt nach Kaspar Hauser, aber absolut kein historisches Stück), beigegeben hat. Das wäre durchaus ein Werk der Stunde, wenn man es ernst nähme,

Die Inszenierung des Amerikaners Daniel Kramer (der vor allem in der Opernszene unterwegs ist) zeugte allerdings von entschiedenem Mangel an Vertrauen in den Text. Das ersetzte der Regisseur  durch die spürbare Hektik in Überlegungen, die besagt haben mögen: Was kann mir immer wieder an szenisch möglichst Originellem einfallen, damii das Publikum sich nicht langweilt, denn wer will heutzutage schon „Text“ hören, zumal anspruchsvollen? Darum gibt sich die Aufführung auch nicht die geringste Mühe, dass man Handkes Gedanken am Leitfaden der Sprache auch nur einigermaßen folgen kann – denn man versteht sie so gut wie nicht.

Gewiß, Handke selbst hat einmal geschrieben, die „Einsager“ sollten nicht wie Menschen, sondern wie „technisch verfremdet“ klingen, aber das heißt nicht, dass der Text gar nicht mitspielen muss. Die Einsager, in schwarze Plastikplanen gehüllt (Kostüme: Shalva Nikvashvili) sprechen die längste Zeit durch eine Art Gasmasken, was garantiert, dass man hauptsächlich Gescheppere vernimmt. Der Kaspar-Darsteller ist allerdings auch kein sonders klarer, präziser Sprecher, also geht verloren, was das Stück ausmacht – das Indoktrinieren des leeren menschlichen Gehirns bis, wenn man es darauf angelegt hat, ein Monster dabei heraus kommt… Die von Handke selbst dezidiert „Sprechfolterung“ genannte Vorgabe des Stücks versinkt in jeder Menge Pop-Musik.

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Was als Kopfakrobatik für den Zuschauer gedacht war, ist in den Augen des Kusej-Burgtheaters als Komödie denkbar,  „die sich zwischen Clownerie und Comic, zwischen Puppentheater und Pop-Performance höllisch und heiter zu entfalten vermag.“ So viel zum hinweisenden Website-Text. Ja, wem das genügt…

Es besteht der Versuch, Kaspar, der (wie üblich) vom Himmel fällt, durch ein paar Stadien des Menschseins zu schicken, wozu sich das Bühnenbild (Annette Murschetz) regelmäßig und reizlos wandelt. Kaspar als Baby, wohl in der Schule, Erfahrungen mit dem Tod bis er am Ende in einer unerträglich langen stummen (und erfundenen) Szene in einer Wohnung landet, die er offenbar mit seinen vier Einsagern teilt,

Ja, und hier passiert es dann – waren die ersten Akademietheater-Premieren („Petra von Kant“ und „Phädra“) Lesben-Stücke, so wird nun die andere Reichshälfte bedient: Alle drei Herren des Stücks dürfen sich ausziehen und solcherart präsentieren, und da die dramaturgische Notwendigkeit dafür Null ist (ebenso wie die Klobenützung, aber ohne die geht es ja nicht mehr), kann dahinter nur die Spekulation stehen, etwas mehr Publikum zu gewinnen, das sonst vielleicht nicht in das Stück käme…

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Am Ende dieser Szene bringen sich die vier Einsager offenbar um, während Kaspar mit einer Maschinenpistole davon stürmt, und damit könnte man es gut sein lassen. Aber man muss noch eine grellbunte Zirkusclown-Szene darauf kleben, und am Ende sitzt der wieder nackte Kaspar sinnend an einem Theater-Schminktisch vor einer Art großer Kapsel. Ist es eine Bombe? Ist es ein Raumschiff? Will er sich in den Weltraum schießen lassen?

Was auch immer – es ist einem herzlich egal, was dieser Mann tut, der eigentlich kein Profil gewinnt. Marcel Heuperman wird immer als des Burgtheaters kraftvolles Riesenbaby eingesetzt, aber so viel er auch tobt (am Ende blutüberströmt im Frauengewand, nicht fragen, warum), es kommt absolut keine Figur dabei heraus, um deren Formung es gegangen wäre.

Wer immer die vier Einsager gespielt hätte, sie sind für sich, das Stück und das Publikum verlorene Liebesmüh, da sie ohnedies meist nicht als Individuen erscheinen. So erkennt man spät, aber doch Markus Scheumann (welch eine Verschwendung), so darf Jonas Hackmann eine zeitlang als Leiche herumliegen, so bemühten sich die beiden Damen Laura Balzer und Stefanie Dvorak fruchtlos.

Handkes Text zielt an diesem Abend ins Leere. Die geschmäcklerisch bemühte (und teilweise alberne) Inszenierung erst recht. Dafür gab es, wie immer im Burgtheater, viel Beifall des Premierenpublikums. Der Autor war glücklicherweise nicht anwesend.

Renate Wagner  

 

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