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WIEN / Akademietheater: IPHIGENIE AUF TAURIS

Seltsam, im Nebel zu wandern…

11.03.2024 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Burgtheater / Marcella Ruiz Cruz

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
IPHIGENIE AUF TAURIS von Johann Wolfgang von Goethe
Premiere: 23. Februar 2024,
besucht wurde die Vorstellung am 10. März 2024 

Seltsam, im Nebel zu wandern…

Der Spielplan des Kusej-Burgtheater ist eher auf Neues ausgerichtet. Einen Klassiker, nein, den Klassiker schlechthin, nämlich Goethe, hier zu finden, erstaunt. Aber keine Angst – es gibt keinen Goethe, auch wenn „Iphigenie auf Tauris“ angekündigt wird. Was man bekommt, ist Rasche-Stil, sonst nichts.

Man weiß es ja – Castorf, Marthaler, Herbert Fritsch, man erkennt sie auf den ersten Blick, denn alles, was sie machen, sieht gleich aus, hat nichts mit den Stücken, sondern nur mit den Herren Regisseuren selbst zu tun. Und mit ihrer „Handschrift“, die immer nur eine Masche mit Erkennbarkeitswert  ist (ein in der Konsumgesellschaft wichtiges Element).

Auch Ulrich Rasche zählt zu dieser Riege. Seine Spezialität besteht darin, die Darsteller den ganzen Abend in Bewegung zu halten, Denkt man allerdings zurück, wie diese auf Laufbändern bei seiner „Bakchen“-Inszenierng (2019 am Burgtheater) herumhetzen mussten, wirkt die „Iphigenie“ fast wie eine Light-Version. Aber das Grundkonzept bleibt – die Darsteller sind ununterbrochen unterwegs, sich gegen eine langsame Drehbühne zu bewegen. Wie öde das auf die Dauer wird, zumal der Abend optisch gar nichts zu bieten hat, muss man nicht betonen.

Aber es kommt für den Zuschauer noch schlimmer – denn die Aufführung wird zweieinhalb pausenlose Stunden lang eingenebelt, so dass man niemanden je genau erkennen kann, dazu spielt es im Halbdunkel bzw. Zwielicht, hie und da schaltet die Beleuchtung auf Rot oder Grün, manchmal wird eine Säule mit Neonröhren herumgeschoben oder -gehoben. Der Regisseur ist für diese szenische Lösung selbst verantwortlich.

Weiters ist der ganze Abend von Live-Musik unterlegt oder übertönt, die ziemlich laut ist, zu den Herrschaften auf den Keyboards kommen noch Schlagwerke dazu. Nun, die Darsteller sind mit Mikrophonen versehen, man versteht also, was sie sagen. Oder?

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In solchem Rahmen kann man Goethes Stück wirklich nicht spielen, und es ist wohl auch nicht beabsichtigt. Denn wie der Text gedreht, gewendet und gedehnt wird (wobei der Regisseur einen Chor à la Antike dazu genommen hat, den es bei Goethe nicht gibt), das ist Unnatur pur, so sprechen keine Menschen, sondern nur Schauspieler, die zu höchster Künstlichkeit angehalten sind. (Es soll Verträge geben, in denen steht: „Den Anweisungen des Regisseurs ist Folge zu leisten.“)

Was begreift man noch von dem Stück? Dass die einsame, auf Tauris versetzte Iphigenie sich von König Thoas bedrängt fühlt, dass die Geschichte ihrer Familie aufgeblättert wird (Auf ihr Geständnis „Ich bin aus Tantalus‘ Geschlecht“, antwortet der König mit dem vielleicht berühmtesten Zitat des Stücks: „Du sprichst ein großes Wort gelassen aus“), schließlich erscheint ihr Bruder Orest, berichtet von den neuesten Bluttaten, und am Ende überzeugt Iphigenie den widerstrebenden König, sie und den Bruder (und seinen Gefährten) ziehen zu lassen. Was man angesichts der schwankenden Gestalten auch nur versteht, wenn man es weiß. Wer in diese quälende Inszenierung, die kein Stück bietet, etwas hinein interpretieren will, sitzt einem Bluff auf.

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Die Oberösterreicherin Julia Windischbauer (die schon in Salzburg für „Nathan“ mit Rasche gearbeitet hat) ist frisch am Burgtheater engagiert und hatte bisher wenig Glück mit ihren Rollen. Nach der farblosen Brünnhilde für Ferdinand Schmalz darf sie nun schlank und ziellos durch den Nebel wanken. Wieder jemand, der glaubt, eine Rolle gespielt zu haben und dabei nur als Regie-Marionette etwas Text aufgesagt hat. Daniel Jesch als Thoas und Ole Lagerpusch als Orest lassen gelegentlich aufhorchen, der Rest versinkt im Chor.

Das Programmheft des Burgtheaters versichert, man habe ein politisches Stück gesehen. Hat man nicht. Ein Publikum, das nach zweieinhalb Stunden folterartiger Zustände klatscht, ist selbst schuld, es kann aber auch mit der Ahnungslosigkeit darüber zusammen hängen, dass „Iphigenie auf Tauris“ ein Stück ist, das man auch spielen (und dann am Ende gar alle politischen und auch feministischen Aspekte einbringen!) könnte, statt es in Nebel und Schreiten zu versenken.

Renate Wagner

 

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