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WIEN / Akademietheater: HOTEL STRINDBERG

27.01.2018 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Reinhard Werner/Burgtheater

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
HOTEL STRINDBERG
Simon Stone nach August Strindberg
Uraufführung | Koproduktion mit dem Theater Basel
Premiere: 26. Jänner 2018

Man erinnert sich noch an die erste Begegnung mit dem Regisseur Simon Stone. Es war bei den Festwochen 2013, und Ibsens „Wild Duck“ kam als Gastspiel aus Australien. Verblüffend, wie der Regisseur die Handlung quasi in einen Glaskasten eingesperrt und ungemein dicht vermittelt hat. Seine erste Arbeit am Burgtheater, Ibsens „John Gabriel Borkman“ im Mai 2015, schon damals gänzlich in die Gegenwart versetzt und höchst stilisiert (unaufhörliches Stapfen durch den Schnee), wurde hoch gelobt. Nun holte Simon Stone zum größten Schlag aus.

So, wie er bisher „nach Ibsen“ agiert hat, wird im „Hotel Strindberg“ von Simon Stone „nach August Strindberg“ verhandelt. Nein, die Vorlagen erkennt man im allgemeinen nicht, nur in den seltensten Fällen. Hier hat jemand aus dem Dichter heraus und in den Dichter hinein neu – gedichtet. Und das ausführlich – die angekündigten fünf Stunden Spielzeit sind es nicht geworden, aber satte viereinhalb (inklusive zwei Pausen). Drei Akte, Menschen im Hotel, Play Strindberg. Oder, genauer: Play Simon Stone.

Dafür hat Alice Babidge das Hotel auf die Bühne gebaut, Erdgeschoß und zwei Stockwerke, im ersten Akt jeweils zwei Räume pro Etage, rechts die Treppen. Im zweiten Akt andere Räume, links unten Platz für eine Band (der Musikanteil ist hoch: Bernhard Moshammer). Im dritten Akt ist das Parterre dann zur Lobby geworden, der erste Stock zum Frühstückszimmer, nur im zweiten Stock (den man immer nur zur Hälfte sieht) sind noch Hotelzimmer. Und nach und nach werden die Möbel weggeräumt, und es wird klar, wohin der Regisseur uns und seine Figuren geführt hat: ins Irrenhaus. Der originale Strindberg ist zwar nicht, wie mancher Große (von Nietzsche bis Schumann) im Wahnsinn gelandet. Aber was in seinem Leben und seinem Inneren vorging, bewegte sich weit jenseits jeder Normalität. Max Reinhardt hat einmal sehr schön formuliert, dass Strindberg „wie von einem bösen Geist durch die Höhen und Tiefen des Lebens geschleppt“ wurde.

Und das ist es, was Simon Stone in seinem total erfundenen „Hotel Strindberg“ zeigt, das aus den Werken „Gespenstersonate“, „Der Pelikan“, „Der Vater“, „Mit dem Feuer spielen“, „Gläubiger“, „Nach Damaskus“ und „Die Stärkere“ schöpft, wobei die Problematik des „Vaters“ (ist man wirklich der Vater seiner Kinder?) auch den privaten Strindberg (drei Ehefrauen, drei Töchter, ein Sohn) zutiefst bewegte.

Da ist also die aufwendige Hotel-Dekoration, durch eine schier unsichtbare Plastikwand vom Zuschauer getrennt, was die Mikroboards nötig macht – in der Folge weiß man oft nicht, woher der (verfremdete) Stimm-Klang kommt und wer gerade spricht. Erschwert wird die reale Wahrnehmung für den Zuschauer auch durch jede Menge Gegenlicht und Zwielicht (abgesehen davon, dass dergleichen auf der Bühne immer zum Schlummern im Zuschauerraum einlädt – selbst wenn so berserkerhaft herumgebrüllt wird).

Kurz, Stones Szenen „à la Strindberg“, die sich schon durch keinerlei besondere inhaltliche Klarheit auszeichnen, sind durch Optik und Akustik noch schwieriger und ermüdender zu rezipieren. Der Versuch, gleichzeitig in verschiedenen Zimmern spielen zu lassen, wird glücklicherweise nicht wirklich ausgereizt – vermutlich ist Stone bei den Proben zu der Erkenntnis gekommen, dass dieses synchrone Verfahren zu absoluten Chaos führt…

Zentrum des Abends ist Martin Wuttke in einer Rolle, die als „Alfred“ eingeführt wird, zwischendurch ihre Identität verliert und zum alternden Pop-Star mutiert (nicht leicht nachzuvollziehen), und am Ende, wenn er wie irre gegen die Welt tobt und flucht und schimpft und sich gegen die durchsichtige Wand zum Publikum presst, offensichtlich Strindberg sein soll, der in seinem Wüten jeglichen Boden unter seinen Füßen verloren hat… Wuttke zählt zu jenen Schauspielern, deren Virtuosenstücke immer wieder verblüffen.

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Und Caroline Peters fasziniert desgleichen. Sie ist die Frau von diesem Alfred, sie sind ins Hotel gezogen, weil ihre Wohnung „ausgeräuchert“ wird (Ratten), sie streiten um die Tochter, und als ihm diese Charlotte ihren angeblichen Jugendfreund (Simon Zagermann) vor die Nase setzt, dann beginnt Alfred eines jener grausamen Psychospielchen, für die Strindberg berühmt ist. Den grausigen Höhepunkt erreicht das Paar Wuttke / Peters allerdings im zweiten Akt, wenn sie sich eine Schrei- und Haß-Orgie liefern, wie man sie nicht alle Tage sieht, das ist Schauspielkunst am Hochseil.

Ähnliches verlangt der Regisseur Franziska Hackl ab, in einer eindeutig dem Einakter „Die Stärkere“ nachempfundenen Szene von Wut und Verzweiflung, die hier am Telefon und mit viel Alkohol und Pillen stattfindet – aber wenn man da nicht hundertprozentig trittsicher ist, mag es auch immer wieder in schlichte Übertreibung und Unglaubwürdigkeit ausarten.

Im übrigen: ein Chaos von Szenen und Figuren, die selten zu sich und zu einer Aussage finden. Vielleicht hätte man sich um viel weniger rund um Wuttke konzentrieren sollen (allerdings wollte man Peters nicht als die Frau missen, die im Treppenhaus ihren Schwiegersohn verführt). Das Problem der Szenen-Suppe besteht darin, dass sie zu gleichförmig wirkt, wenig Interessantes zu bieten hat.

Das Burgtheater steuert für diese Ko-Produktion, die nach Basel wandern wird (in dieser Stadt wurde Stone geboren, bevor seine Eltern mit ihm nach Australien auswanderten, und hierher ist er als Hausregisseur des Theaters zurückgekehrt), noch Aenne Schwarz und Roland Koch bei, sie oft sehr sinnlich unterwegs, er eher komisch. Barbara Horvath, Max Rothbart und Michael Wächter sind neben Simon Zagermann in so vielen Rollen eingesetzt, dass man sie immer wieder nicht erkennt.

Es sind, wie gesagt, viereinhalb Stunden, hoch emotional, oft so überreizt, dass blanke Theatralik daraus wird (und von da ist es ja nur ein Schritt zu schlechtem, künstlichem Theater). Aber mit Schauspielern wie Wuttke und Peters, mit einem Autor / Regisseur, der kein Risiko scheut und sich und seine Figuren so „zerreißt“, wie Strindberg es in seinen Stücken und im Leben tat, kann man sich auf einen Besuch im „Hotel Strindberg“ schon einlassen. Auch wenn man es, das muss man schon sagen, hauptsächlich mit Verrückten zu tun hat…

Renate Wagner

 

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