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WIEN / Akademietheater: GESPENSTER

Versteinert oder hysterisch

30.09.2025 | KRITIKEN, Theater

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Foto: © Tommy Hetzel

WIEN / Akademietheater: des Burgtheaters 
GESPENSTER von Henrik Ibsen
Neueinstudierung einer Produktion des Schauspiel Köln
Wiener Premiere: 14. September 2025,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 29. September 2025 

Versteinert oder hysterisch

Die „Gespenster“ von Henrik Ibsen sind ein Klassiker, nicht nur zu seiner Zeit (1881), als der gnadenlose Norweger der Gesellschaft (und zwar von ganz Europa) den Spiegel ihrer Verlogenheit und Fassadenhaftigkeit vorhielt. Dass Familiengeheimnisse unter den Teppich gekehrt, verschwiegen oder verleugnet werden, gibt es in jeder Genration, auch wenn man oft einen hohen Preis bezahlt.

Man ist auf jede Ibsen-Aufführung neugierig, zumal auf eine, die so legendäre Rollen hat wie dieses Stück. Dabei sind Frau Alving und ihr Sohn Osvald echte Opfer des Systems, nämlich ihres Gatten / Vaters, des verstorbenen „Kammerherrn“ (ein sehr hoher Beamter), der keinen Seitensprung ausließ und seinem Sohn seine Syphilis vererbt hat. Der Versuch der Gattin, sich von ihm zu trennen, wurde vom Pastor vereitelt, der ihr befahl, über alles Stillschweigen zu bewahren und die Fassade zu pflegen. Osvald, mit Gehirnerweichung nach Hause kommend, wähnt sich selbst schuld an seinem Untergang…

Ein Mutter-Sohn-Stück von vibrierender Dramatik, wobei die beiden von drei recht üblen Figuren umgeben sind. Der Pastor, ein Heuchler. Der Tischler, ein noch größerer Heuchler und evidenter Schurke. Und dessen Tochter, die eigentlich jene des Kammerherren ist, eine glatte Opportunistin. Man müsste das nur an Ibsens souveräner Psychologie entlang spielen und hätte spannendstes, anklagendes Theater.

Allerdings der „gestrigen“ Art, und darum beschloß Regisseur Thomas Jonigk, die Figuren zu drehen, zu wenden und zu verfremden. Letzteres auch optisch. Zuerst fällt an dem Tischler Engstrand die falsche Nase auf, nach und nach bemerkt man, dass alle Darsteller solcherart „verändert“ wurden. Vielleicht, um gleich klar zu machen, dass es sich nicht mehr um echte Menschen handelt, sondern um Marionetten, an denen etwas vorgeführt wird.. Also gibt es in dem spärlichen, schäbigen Raum (Lisa Däßler), in dem keine Familie eines Kammerherrn wohnen würde, auch kein psychologisches Theater mehr, sondern nur Kunstfiguren. Meist sind alle Personen auf der Bühne, reden Teile ihres auf 100 pausenlose Minuten zusammen gestoppelten Textes und wirken entweder wie erstarrt (da sind die Gespenster nicht jene der Vergangenheit, wie bei Ibsen, hier sind sie es selbst), oder sie brechen in irgendwelche Hysterien aus, und eines ist so unbegründet wie das andere.

Man hat die „Gespenster“ oft gesehen, auch mit Meisterleistungen in allen Rollen. Hier bleibt kaum ein großer Eindruck, auch nicht  von Anja Laïs, die eher wie eine herumirrende Figur aus einem Horrorfilm wirkt als wie eine „echte“ Frau Alving. Osvald wird meist von attraktiven, jungen und wunderbar verstörten Darstellern verkörpert. Jörg Ratjen ist nicht nur viel zu alt, sondern auch viel zu grob für diese Rolle, die tragische Gloriole des Untergangs sucht man bei ihm vergeblich.

Ratjen ist übrigens, ebenso wie Jonigk, mit Bachmann von Köln nach Wien gekommen. Um die „Gespenster“ repertoiretauglich zu machen (so muss man nur die Hauptdarstellerin immer einfliegen), wurden drei Rollen hauseigen besetzt. Norman Hacker holt nicht einmal annähernd heraus, was in der Rolle des Pastor Manders alles drinnen ist, Lilith Häßle darf weder Sinnlichkeit noch Berechnung der Regine wirklich darbieten (aber das liegt am Regiekonzept der Leblosigkeit), und warum ausgerechnet Sabine Haupt einen alten Tischler spielen muss, erschließt sich wirklich nicht.

Als Gewinn für das Stück, die Schauspieler und das Publikum kann man dieses „Gespenster“-Konzept nicht bezeichnen. Der Herr neben mir suchte nach einer Stunde das Weite und hat nichts weiter versäumt. Vielleicht könnte man bei Direktor Bachmann anregen, und das gilt auch für formalistische, aber im Grunde wenig interessante  „Katharina Blum“, dass er wirklich nicht alles nach Wien bringen muss, was in seiner Direktion in Köln erarbeitet wurde.

Renate Wagner

 

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