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WIEN / Akademietheater: FRÄULEIN JULIE

19.05.2021 | KRITIKEN, Theater

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Alle Fotos: Burgtheater / Susanne Hassler-Smith

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
FRÄULEIN JULIE von August Strindberg
Premiere: 19. Mai 2021

An sich ist „Fräulein Julie“ von August Strindberg ein Machtspiel. Die Tochter des Grafen provoziert aus purem Mutwillen und von der Höhe ihrer Stellung herab die Dienerschaft ihres Vaters. Vielleicht nur, weil ihr „fad“ ist und sie probieren möchte, wie weit sie gehen kann. Vielleicht nur, um der Köchin Kristin ihren Freund, den Kammerdiener Jean, wegzunehmen. Dabei benimmt sich die junge Dame – der Papa ist nicht zuhause – keineswegs damenhaft, im Gegenteil, sogar lustvoll schamlos. Bis Jean der männliche Geduldsfaden reißt und er zusticht, mitten zwischen die Beine des Fräuleins…

Und von da an dreht sich das Machtspiel um. Was sich bisher auf der sozialen Stufenleiter abgespielt hat, kippt in den Geschlechterkampf, und bei Strindberg und seinem, wie uns heute scheint, verbogenen Weltbild war der Mann immer der Stärkere. Julie ist nun nicht mehr die Herrin, sondern die Unterlegene. Und er versucht nun, das Spiel, das sie auf sexuellem Gebiet begann, auf ökonomischem auszubeuten. Wenn sie das Geld aus Vaters Schreibtisch stiehlt, könnte er sich endlich den Wunsch erfüllen, ein Hotel in der Schweiz aufzumachen. Und während er aufsteigt, steigt sie ab in die ultimative Demütigung, gewinnt weder Status noch Haltung wieder. Am Ende ist sie vernichtet.

So „geht“ das Stück eigentlich, so war es einmal gemeint, und wenn starke Schauspieler das mit höchster Spannung spielen, wenn sie aufeinander treffen, dass es kracht, ist das immer eine überaus wirkungsvolle lange Einakter-Stunde. Aber von dieser Vorgabe ist die neue Interpretation, die Regisseurin Mateja Koležnik im Akademietheater liefert, Lichtjahre entfernt. Aus der üppigen gräflichen Küche, von der man in den Garten sieht (draußen wird ein Fest gefeiert), ist ein schäbiges Badezimmer geworden, gleich zu Beginn schüttet die Köchin etwas Unappetitliches ins Klo, und man weiß, welche Perspektive hier eingenommen wird.

Da es aber die gräfliche Welt hier, die Unterlegenen da in dieser Form nicht mehr gibt, kann man die soziale Komponente ganz streichen. Eigentlich handelt das, was man sieht, von zwei Weicheiern, die sich gegenseitig anjammern, und einer einigermaßen stärkeren Frau, die aber auch nicht das Profil gewinnt, das sie bei Strindberg hat: Denn dort steht die Köchin Kristin als bürgerliche Selbstgefälligkeit da (mit einiger Durchtriebenheit auch) und ist jedenfalls eine Art von moralischem Parameter. Im Gegensatz zu dem haltlosen Fräulein Julie und dem Opportunisten Jean weiß sie nämlich ganz genau, was sich gehört.

Man tut sich nicht leicht dabei, das Konzept der Regisseurin zu „lesen“. Man kennt ihre Wiener Arbeiten, hat in der Josefstadt unter ihrer „Wildente“ gelitten und an Schnitzlers „Einsamem Weg“ total verzweifelt, sie hat im Akademietheater Maria Lazars „Der Henker“ inszeniert, und wie viele ihrer Regiekollegen hat auch sie einen Spleen. Zwar ist das Bühnenbild (Raimund Orfeo Voigt / Kostüme eher hässlich: Ana Savić-Gecan) diesmal fix (bei Schnitzler ließ die Regisseurin ja nur ununterbrochen Wände hin und her schieben und nannte es eine Inszenierung), aber man braucht bei ihr nicht alles sehen und (akustisch) verstehen: Sie lässt absichtsvoll (es wirkt eigentlich eher provokant als überzeugend konzeptionell) Szenen in dem Raum hinter dem Bad stattfinden, da wird viel gemurmelt, da spielt sich wohl auch der Sex zwischen Julie und Jean ab, bis sie ins Bad kommt, sich ganz auszieht und zwischen den Beinen wäscht. Sein T-Shirt ist dann blutig, ob ihr Menstruations- oder ihr Entjungferungsblut, wer weiß das schon? Plus ein bißchen Pulsadern aufschneiden… Verwirrt bis zum äußersten war sie schon vorher.

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Das Fräulein Julie, das Maresi Riegner spielen muss und das die Enttäuschung und den Schwachpunkt des Abends darstellt, ist – eigentlich gar nichts. Von Anfang an eine in sich versunkene Molluske, der man gar nichts glaubt. So, wie sie hergerichtet ist (allerdings mit sehr störendem Kopfmikrophon mitten auf der Stirn), könnte sie eine mutwillige Prinzessin Salome sein, aber sie streicht und schleicht eigentlich von Anfang bis zum Ende nur kraftlos herum. Nichts an ihr entwickelt sich, kein Absturz aus den Höhen eingebildeter Überlegenheit, kein Fall ins Unendliche. Sie war nie oben, sondern immer nur unten. Wer ist dieses Geschöpf?

Auch bei Jean ist man nicht so sicher, was man von ihm halten soll. Gut, er ist ein Mann, wenn Julie ihm zwischen die Beine greift, wird er nervös. Aber das Changieren seiner Stimmungen und seiner Attitüden kommt viel zu schwach herüber, und wenn er am Ende brutal und rücksichtslos sein müsste, fehlt ihm auch dazu die Kraft: Itay Tiran ist als Weichei der Gegenpol zu Julie, zwei, die nichts mit sich und nichts miteinander (und schon gar nichts mit dem Stück) anzufangen wissen.

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Wenn man die Kristin mit Sarah Viktoria Frick besetzt, dann weiß man um den Stellenwert der Figur, die in dieser Küche (mit Ausnahme einer großen Szene Julie / Jean) eigentlich immer da ist, die in diesem ihrem Reich manisch putzt. Aber auch für sie ist in dem Konzept von Mateja Koležnik nicht die stolze Härte vorgesehen, die aus dem Bewusstsein der Rechtschaffenheit kommt. Am Ende putzt sie wieder (es ist längst nicht mehr nötig, aber wir nehmen es als Symbol) – und der Vorhang fällt. Kein wirkungsvoller Abgang für Jean (der im Hintergrund läuft, den Grafen zu bedienen) und Julie, von der man wenigstens eine Ahnung bekommen sollte, was sie vor hat (das Rasiermesser, das ihr Jean bei Strindberg anbietet, hat man nicht gesehen…). Aber, um ehrlich zu sein, es ist einem eigentlich auch egal.

Was war das also? Eine neue Sicht auf das Stück? Hat sie etwas gebracht? Aus Strindbergs Härte wurde knieweiches Gemaule. Ging es darum, die Klassengesellschaft a priori untergehen zu lassen, indem man sie gar nicht mehr zeigt? Schwer zu sagen.

Aber es war Live-Publikum im Saal und klatschte. Vor der Vorstellung sagte die mir unbekannte Dame, die sich zwei Sitze von mir entfernt niederließ, im Tonfall ehrlicher Beglückung: „Schön, dass man wieder da sein darf.“ Ja, natürlich. Nicht vergessen, jeder Abend ist neues Spiel, neues Glück. Die nächste Premiere folgt schon am Sonntag.

Renate Wagner

 

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